Japanisch lesen

Auf Japanisch lesen zu lernen, ist aufgrund des abweichenden Schriftsystems für Lernende eine besonders herausfordernde Aufgabe. Während man beim Lesen in den meisten europäischen Fremdsprachen zumindest auf die lateinischen Buchstaben oder ein zahlenmäßig sehr überschaubares anderes Alphabet zurückgreifen kann und so vor allem die Erkennung von Rechtschreibmustern oder Morphemen im Mittelpunkt steht, muss für das Japanische erst einmal die Grundlage für eine sehr aufwändige Mustererkennung geschaffen werden.

Dekodiert werden müssen zunächst die beiden Silbenschriften Hiragana und Katakana, die jeweils 46 Grundzeichen enthalten und deren Zahl sich durch die Ausstattung mit diakritischen Zeichen (dakuten ゛und handakuten ゜) sowie durch die Kleinschreibung der Silbenzeichen ya や, yu ゆ und yo よ zur Palatisierung des Vokals i (so wird z. B. die Silbe ki き durch die Kombination mit einem nachfolgenden, kleingeschriebenen ya ゃ zur Silbe kya きゃ) bzw. des Silbenzeichens つ zur Verdoppelung eines nachfolgenden Konsonanten auf jeweils etwas mehr als 100 Laute erweitert. Jedes Zeichen hat hier i. d. R. genau einen Lautwert.

Wesentlich aufwändiger gestaltet sich allerdings der Erwerb der aus dem Chinesischen übernommenen Schriftzeichen, der Kanji. 2010 hat die japanische Regierung eine Liste mit 2.136 Zeichen und 4.288 Lesungen vorgelegt, die Jôyô-Kanji-Liste, die als Richtschnur für den Gebrauch in offiziellen Dokumenten dient. Diese Zeichen bestehen im Schnitt aus 10–11 Strichen und haben – im Unterschied zur chinesischen Sprache – meist mehrere Lesungen. Hier zeigt sich deutlich der hohe Anspruch, der an Japanischlernende gestellt wird.

Während Lesen in der Erstsprache erst nach der Erwerb der gesprochenen Sprache beginnt, läuft dies bei der Fremdsprache normalerweise zeitgleich. Wenn man Japanisch – sei es in der Schule, in der Universität oder in der Erwachsenenbildung – zu lernen beginnt, handelt es sich oft um die dritte, vierte oder gar fünfte Fremdsprache. Lernende haben also hier die Möglichkeit, an bereits vorgelernte Sprachen anzuknüpfen.

Bei distanten Sprachen wie dem Japanischen sind diese Anknüpfungspunkte im sprachlichen Bereich allerdings eher gering. Sie beschränken sich auf das Stratum der aus „westlichen“ Sprachen – vor allem aus dem Englischen – übernommenen Lehnwörter (gairaigo). Bei diesen können Lernende zumindest teilweise erschließen, was sie bedeuten. Gairaigo machen allerdings nur etwa gut 10% des japanischen Wortschatzes aus, für die anderen Lexeme sind Ableitungen aus vorgelernten Sprachen (wenn es sich nicht gerade um Chinesisch handelt) nicht möglich.

Dennoch muss auch Japanisch nicht so gelernt werden, als handele es sich um die erste zu erwerbende Fremdsprache, denn (Lese-)Strategien aus anderen (Fremd-)Sprachen lassen sich auch für Japanisch nutzen. So hilft es, sich vor der Lektüre erst einmal einen Überblick zu verschaffen, worum es in dem Text eigentlich geht, und zu dem Thema bereits vorhandenes Vorwissen zu aktivieren. Bei Texten, die mit außersprachlichen Informationen wie Illustrationen oder anderen Abbildungen versehen sind, können diese betrachtet werden. Solche top-down-Strategien werden im Japanischunterricht vor allem im Bereich der Grundstufe oft nicht ausreichend genutzt, weil der Fokus auf der Dekodierung der Schrift liegt und Lernende Wort für Wort den Text durchgehen und zu verstehen versuchen (bottom-up-Vorgehen). Dennoch ist auch hier schon die Nutzung beider Vorgehensweisen möglich. Ebenso ist in den transversalen Kompetenzbereichen Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz die Anknüpfung an vorgelernte (Fremd-) Sprachen möglich.

Weitere Lesestrategien bestehen darin, diejenigen Wörter, die man bereits versteht oder aus dem Kontext erschließen kann, zu markieren und – falls das Lesen innerhalb des Unterrichts erfolgt – mit eine*m/*r Lernpartner*in über das Verstandene zu sprechen. Erst wenn klar ist, dass ein Wort für das Verstehen des Textes zentral ist, es aber nicht aus dem Kontext erschlossen werden kann, sollte der Griff zum Wörterbuch erfolgen. Daneben helfen das Markieren von Schlüsselwörtern, die Gliederung des Textes in Sinnabschnitte und die Vergabe von Überschriften für diese Abschnitte oder ihre Zusammenfassung dabei, die Aussage und Struktur des Textes zu erfassen.

Natürlich ist es auch wichtig, das Lesen zu üben, um eine gewisse Routine darin zu entwickeln. Gerade für Anfänger eignen sich vereinfachte Lektürebücher (graded reader), die das extensive Lesen (tadoku) fördern. Für Japanisch hat die NPO Nihongo tadoku kenkyûkai eine Vielzahl solcher Bücher herausgebracht. Diese stehen z. T. in der Bibliothek des Ostasiatischen Seminars, können aber auch über die Bibliothek des Japanischen Kulturinstituts entliehen werden. Sie sind komplett mit Lesehilfen (furigana) versehen, und zu jedem Text gibt es auch eine Audioausgabe.

Aber auch für fortgeschrittenere Lernende bestehen Möglichkeiten für das extensive Lesen, solange noch nicht die Originaltexte ohne Hilfsmittel rasch rezipiert werden können. So können Pop-up-Wörterbücher wie yomichan, rikaikun oder rikaichamp als Browsererweiterungen installiert und zur Unterstützung des Lesens genutzt werden. Des weiteren bietet die öffentlich-rechtlich organisierte japanische Rundfunkgesellschaft Nippon Hôsô Kyôkai (NHK) neben ihrem Online-Nachrichtenangebot (NHK News) seit 2012 das Portal NHK News Web Easy an, auf dem zwischen dem Originalbeitrag und einem lexikalisch und grammatisch vereinfachten, kürzeren Text zum selben Thema gewählt werden kann. Neben der möglichen Einblendung der furigana kann man sich auch Eigennamen von Personen oder Institutionen farblich auszeichnen lassen, die oft aus schwer zu lesenden und/oder vielgliedrigen Kanjikomposita bestehen. Auch zu diesen Texten gibt es die Möglichkeit, sich eine Audioaufnahme anzuhören.

Unter dem Schlagwort yasashii Nihongo (leichtes Japanisch) gibt es noch viele andere Seiten im Internet, die hier nicht alle genannt werden können. Weitere Hinweise zum Lesen finden sich aber auf der Portalseite Nihongo-e-na.com.

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Lexikalische Erdbeeren – Nachschlagen in der Edo-Zeit (1603-1868)

Abb. 1

Der japanische Duden
Wenn wir heute für ein bestimmtes Wort das entsprechende Schriftzeichen nicht oder nicht mehr wissen, dann greifen wir automatisch zu einem Lexikon. Wir schlagen dann, beispielsweise im Kôjien 広辞苑, dem so genannten japanischen „Duden“, nach der Lesung des Wortes ichigo (Erdbeere) nach. Dort finden wir, neben einer botanischen Erklärung, natürlich auch die gesuchten Schriftzeichen. Dabei ist für uns die Sortierung der einzelnen Einträge nach dem Alphabet oder besser gesagt nach der 50-Laute-Ordnung des Japanischen (aiueo, kakikukeko usw.) ganz selbstverständlich – denn wie sollte man sonst noch einen Überblick über die scheinbar unendlich vielen Einträge in einem Lexikon bekommen? (vgl. Abb. 1)

 

Mit welchen Kanji schreibt man noch ’mal ichigo?
Wollte man nun in der Edo-Zeit wissen, mit welchen Schriftzeichen das Wort ichigo geschrieben wurde, dann griff man natürlich ebenfalls zu einem Lexikon. Nur dass dieses Lexikon nicht nach dem für uns so „selbstverständlichen“ Ordnungsprinzip aufgebaut war, sondern einer ganz eigenen Logik folgte. Diese Logik mag uns heute „ungewöhnlich“ erscheinen, wurde in Japan aber noch bis in die 1910–20er Jahre hinein für Nachschlagewerke verwendet. Doch wie sahen diese Lexika nun also aus?

 

Abb. 2

Setsuyôshû
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde in einem Kyôtoer Kloster ein neues Lexikon-Genre entwickelt, das programmatisch den Titel setsuyôshû 節用集 trug. Der Titel im Sinne von „eine Sammlung von Wörtern zur zeitsparenden Benutzung“ deutete bereits auf die Absicht hin, den Nutzer*innen die Suche maßgeblich zu erleichtern. Hierfür wurden bestehende traditionelle Nachschlageverfahren miteinander kombiniert. Bis zum Ende des 16. Jahrhundert wurde dieses Lexikon ausschließlich handschriftlich kopiert, revidiert und erweitert. Erst mit dem 17. Jahrhundert begann dann die massenhafte Produktion durch Spezialverlage in Kyôto, Ôsaka und Edo (heutiges Tôkyô) – den drei Verlagshochburgen der Zeit.

 

Abb. 3

A-i-u oder I-ro-ha?
Ein setsuyôshû ist zunächst grob geordnet nach dem Iroha, einer Anordnung der 47 Silben des Hiragana-Alphabets in Form eines Gedichtes, die in Japan seit der Heian-Zeit (794-1185) in Nachschlagewerken weit verbreitet war. Unter den jeweiligen Silbenrubriken (bu 部) „I“, „Ro“, „Ha“ etc. befinden sich dann so genannte Themenfelder (mon 門) wie „Himmel und Erde“ (tenchi 天地), „Speisen und Kleidung“ (ishoku 衣食), „Pflanzen und Bäume“ (kusaki 草木) etc. zur weiteren Unterteilung (vgl. Abb. 2). Je nach setsuyôshû konnte sich das Spektrum dieser Themenfelder auf bis zu 20 verschiedene Kategorien erstrecken. Wie ermittelte man also die Schreibvarianten für ichigo? Zunächst wurde die Rubrik „I“ aufgeschlagen, dann das Themenfeld „Pflanzen und Bäume“ gesucht und anschließend geschaut, ob und wo ein oder mehrere Kanji mit der entsprechenden Lesung ichigo stehen: in unserem Falle 覆盆子 (vgl. Abb. 3). Da es in den Themenfeldern keine weitere Unterteilung der Worteinträge gab und man folglich die Einträge der Reihe nach durchgehen musste, war hier Geduld gefragt. Zugegeben, aus heutiger Sicht scheint dieses Vorgehen recht archaisch und umständlich. Die damaligen Nutzer jedoch waren mit großer Sicherheit an diese Art des Nachschlagens gewöhnt.

 

Abb. 4

Ist „Erdbeere“ gleich „Erdbeere“?
Konnte man sich denn sicher sein, dass ichigo mit den Zeichen 覆盆子 geschrieben wird? Der Blick in ein anderes setsuyôshû offenbart die Schreibung苺 – also mit einem komplett anderen Kanji, wo zuvor noch drei Schriftzeichen verwendet wurden. Erst im Kleingedruckten findet sich ganz am Ende die zuvor in einem anderen Werk ermittelte Variante (vgl. Abb. 4). D.h. je nachdem welche Quellen die Verfasser*innen dieser Nachschlagewerke zu Rate gezogen hatten, unterschieden sich die vorgeschlagenen Kanji für das entsprechende Wort. Erst in den verschiedenen Neuauflagen dieser Werke wurden dann diese Wortbestände immer weiter revidiert und nivelliert, bis sich eine gewisse Standardisierung der Verschriftlichung abzuzeichnen begann. Ausgefallene Schreibweisen gehörten dann ab einem gewissen Punkt der Vergangenheit an.

 

Abb. 5

Setsuyôshû als Wissensspeicher
Heutzutage kennen wir etwas mehr als 800 verschiedene setsuyôshû-Titel. Über einen Zeitraum von rund 550 Jahren waren setsuyôshû „das“ Referenzwerk für korrektes Schreiben in Japan. Sie dienten als Wissensspeicher für die unterschiedlichsten Nutzer*innen und fungierten gleichzeitig als eine Art Schmelztiegel für die unterschiedlichsten Schreibtraditionen – wie eben auch im Falle des Wortes ichigo. Am Ende eines langen Raffinierungsprozesses bildeten die setsuyôshû die Basis für die Verschriftlichung des modernen Japanischen, wie wir sie aus den modernen Lexika kennen. Auch wenn wir heute ichigo nicht mehr als 覆盆子 schreiben, so sollten wir zumindest doch wissen, dass wir die Reduktion der Fülle an früheren möglichen Schreibvarianten japanischer Begriffe auf ein überschaubares Maß mitunter den Bemühungen von setsuyôshû-Verfasser*innen verdanken.

 

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Worteinträge nach der 50-Laute-Ordnung im Genkai 言海 (1886). Digitalisat von der Kokkai toshokan.

Abb. 2: Hauptrubrik „I“ mit dem ersten Themenfeld „Himmel und Erde“ (tenchi 天地) im Onna setsuyô(shû) mojibukuro 女節用(集)文字嚢 (1721/1762). Digitalisat von der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Abb. 3: Schreibweise ichigo 覆盆子 im Onna setsuyô(shû) mojibukuro. Digitalisat von der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Abb. 4: Schreibweise ichigo 苺 im Otoko setsuyôshû nyoi hôju taisei 男節用集如意宝珠大成 (1716/1736). Digitalisat von der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Abb. 5: Beispiele diverser setsuyôshû. Quelle: https://www1.gifu-u.ac.jp/~satopy/ogatabons.jpg

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LRS in Japan – (k)ein Thema?

Die Anfrage kam von einem Hörer des WDR 5-Wissenschaftsmagazins Quarks, und von dort ging die Frage dann weiter an die Kölner Japanologie. Konkret ging es darum, ob es Menschen mit Dyslexie oder Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) auch in Ländern gibt, die nicht das Alphabet als Schrift verwenden (zum Quarks-Beitrag geht es hier). Hintergrund dafür ist, dass Japanisch neben den beiden Silbenalphabeten Hiragana und Katakana ja auch über eine logographische Schrift, die Kanji, verfügt, die nicht nur für einen oder mehrere Laute, sondern auch für eine (oder mehrere) Bedeutung(en) stehen.

Während in Europa Forschungen zu Legasthenie bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts betrieben werden, hat dieses Thema in Japan erst in jüngerer Zeit mehr Aufmerksamkeit erhalten. Das liegt sicherlich daran, dass LRS u. a. auch auf der mangelnden Zuordnung von Lauten zu einem Schriftbild oder umgekehrt beruht, ein Problem, das vor allem in Sprachen stark ausgeprägt ist, bei denen die Lautung und die Orthographie weit voneinander abweichen können. Im Japanischen hingegen ist die Beziehung zwischen der Aussprache der Laute und der Verschriftung mit Kanazeichen relativ stabil. Das ist aber auch ein Grund dafür, dass LRS nicht so schnell auffällt und deswegen lange nicht erforscht wurde (vgl. Ishii 2004, S. 14).

Dennoch kommt LRS auch in Japan vor, wie beispielsweise Beobachtungen aus dem Schulalltag von Lehrenden an einer Mittelschule in Nara zeigen. Genannt werden u. a. Schwierigkeiten beim lauten Vorlesen von Kanji und Hiragana/Katakana sowie beim Lesen und Schreiben von Kanji sowohl in der Erwerbs- als auch in der Sicherungsphase (vgl. Tomiyama u. a. 2017, S. 132).

Ishii 2004, S. 15.

Dass die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben sich tatsächlich nicht nur auf die Kana-Silbenalphabete beziehen, belegt auch eine aktuelle Studie (Sanbai u. a. 2018),  bei der Schüler*innen mit und ohne LRS Aufgaben mit echten oder ausgedachten Kanji sowie Kanjiwörtern vorgelegt bekamen. Sie sollten entscheiden, ob es sich um tatsächlich existierende Zeichen oder Wörter handelt. Bei der Wahl der tatsächlich existierenden Zeichen gab es zwischen der LRS-Gruppe und der Kontrollgruppe keinen signifikanten Unterschied, aber bei nicht existierenden Zeichen, die in ihrer Form wirklich vorkommenden Zeichen ähnelten, lag die Zahl der richtigen Antworten der LRS-Gruppe signifikant unter denen der Kontrollgruppe. Auch bei der Aufgabe zum Kanjiwortschatz schnitt die LRS-Gruppe bei nicht existierenden Wörtern deutlich schlechter ab als die Kontrollgruppe. Die Studie geht davon aus, dass bei LRS Schwächen in der visuellen Analyse dafür verantwortlich sind, dass das orthographische Lexikon schwach entwickelt ist und Wortschatz-informationen so nur unzureichend genutzt werden können (Sanbai u. a. 2018, S. 225). Last, but not least macht diese Studie jedoch deutlich, dass die Leistungen der LRS-Gruppe auch bei Kanji unter denen der Kontrollgruppe liegen.

Neben den Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben der Kanji kommt es aber auch bei den Kanazeichen zu Problemen.

Ishii 2004, S. 15.

Hierunter fallen Verwechslungen ähnlich aussehender Zeichen wie z. B. あund め,
いund こ, れ und わ oder さund ち,
Zeichen, die aufgrund bestimmter Übereinstimmungen auch von Japanisch als Fremdsprache-Lernenden anfangs oft verwechselt werden.

Darüber hinaus werden Zeichen wie や, ゆ, よ, die in bestimmten Kombinationen auch klein geschrieben und dann anders ausgesprochen werden (きや z. B. wird kiya ausgesprochen, きゃ hingegen kya), nicht korrekt erkannt. Das mag auf den ersten Blick kein großer Unterschied sein, kann aber zu echten Bedeutungsverschiebungen wie bei byôin (Krankenhaus) und biyôin (Friseursalon) führen.

Empirische Untersuchungen zu LRS und Dyslexie in Japan basieren allerdings auch heute noch meist auf kleineren Stichproben und sind regional begrenzt.  Entsprechend geringen Umfang haben auch Forschungen für Japanisch als Fremdsprache, auch wenn dieses Feld in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt aufgrund der UN-Menschenrechtskonvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und deren Umsetzung in den Bildungsinstitutionen – verstärkt ins Blickfeld der Fach-/ Fremdsprachendidaktik gerückt ist. Da die Gründe für LRS unterschiedlich sind, muss jeder einzelne Fall diagnostiziert werden, um individuell zugeschnittene Lösungswege beschreiten zu können. Auf diese Weise kann aber auch ein Lernangebot entwickelt werden, das für alle Lernenden Vorteile bringt, denn jede*r lernt unterschiedlich, und eine Methodenvielfalt und das Angebot unterschiedlicher Lernwege und -materialien führen dazu, dass alle die Chance haben, den für sie passenden Zugang zu finden.

  • Ishii, Kayoko 石井加代子: Yomikaki nomi no gakushû konnan (disurekushia) e no taiôsaku 読み書きのみの学習困難(ディスレクシア)への対応策. In: Kagaku gijutsu dôkô 科学技術動向 (Science & Technology Trends) 12/2004, S. 13–25.
  • Sanbai, Ami 三盃亜美, Uno, Akira 宇野彰, Haruhara, Noriko 春原則子 u. a.: Hattatsusei disurekushia jidô seito no shikakuteki bunseki oyobi moji nyûryoku jisho no hattatsu 発達性ディスレクシア児童生徒の視覚的分析および文字入力辞書の発達. In: Onsei gengo igaku 音声言語医学 59 (2018), S. 218–225.
  • Tomiyama, Atsushi 冨山敦史, Wakamori, Tatsuo 若森達哉, Iwasaki, Chihiro 岩﨑千尋, Ônishi, Takako 大西貴子: Yomikaki shôgai (hattatsusei disurekushia) ni tekishita kyôzai to shidôhô no kaihatsu ni mukete 読み書き障害(発達性ディスレクシア)に適した教材と指導法の開発に向けて. In: Jisedai kyôin yôsei sentâ kenkyû kiyô (Nara kyôiku daigaku) 次世代教員養成センター研究紀要(奈良教育大学)3 (2017), S. 131–137.
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Anime – typisch „japanisch“, aber anders …

Anime-Serien haben längst einen festen Platz in der hiesigen Fernsehlandschaft. Zwar wurden in den 1970ern bereits Serien wie „Die Biene Maja“ oder „Heidi“ ausgestrahlt. Diese wirkten aber so „unjapanisch“, dass die Enthüllung der Herkunft aus dem Fernen Osten Jahre später für große Überraschung sorgte. Mit dem Anime-Boom seit Ausstrahlung der Serie Sailormoon Ende der 1990er Jahre wächst die Sensibilität für die typisch „japanischen“ Charakteristika des Anime. Häufig wird hier das Einfrieren von Bewegungen, die Flächigkeit der Darstellung etc. angeführt und mit Japans traditioneller Kultur in Bezug gesetzt. Anime sind zweifelsohne typisch „japanisch“, aber auf eine Art, die irgendwie anders „typisch“ ist. Ein kurzer Blick auf den Beginn des Fernsehanime soll dies verdeutlichen.

Astro Boy. Quelle: https://ja.wikipedia.org/wiki/%E3%83%95%E3%82%A1%E3%82%A4%E3%83%AB:Nerima_Oizumi-animegate_Chronological_table_Astro_Boy_1.jpg

Japans erster Fernsehanime geht nur zehn Jahre nach Aufnahme des Sendebetriebs 1953 an den Start. Die Serie „Astro Boy“ (Tetsuwan Atomu) von dem Mangaka Tezuka Osamu (1928–89) macht den Anfang. Sie wird von Januar 1963 bis Dezember 1966 auf dem Sender Fuji Television Network in 193 Folgen ausgestrahlt. Die Serie ist wegweisend für die Entwicklung des Fernsehanime in drei Aspekten. Erstens begründet Tezuka das Tie-up zwischen Anime- und Manga-Branche. Denn Tezuka greift auf seinen von 1952 bis 1968 in Shônen (Kôbunsha) serialisierten Manga Tetsuwan Atomu zurück. Das erspart Zeit und minimiert das Risiko. Zweitens führt Tezuka Sponsoring und Franchising als erfolgreiche Geschäftspraxis von Anime-Produktionen fürs Fernsehen ein. Der Sponsor Meiji Seika erhält von den 30 Minuten, die pro Folge zur Verfügung stehen, 3 Minuten Sendezeit für Werbung. Zudem darf er Tezukas Character-Design für seine Produkte verwenden. Drittens etabliert Tezuka eine Reduktion der im Realfilm üblichen 24 auf maximal 8 Bilder/Sekunde. Aufgrund begrenzter Finanz- und Humanressourcen muss bei „Astro Boy“ die Zahl der pro Folge benötigten Bilder (cels) auf 1500–2000 beschränkt bleiben, was beispielsweise durch das Einfrieren bzw. die Reduktion von Bewegungen oder aber das Recyceln von einzelnen Bildern bzw. ganzen Bewegungssequenzen ermöglicht wird. Diese allgemein als limited animation (später auch full limited animation) bezeichnete Produktionsweise soll zum Markenzeichen nachfolgender japanischer Fernsehproduktionen werden. Trotz einer im Vergleich zu Kinoproduktionen deutlich „geringeren“ technischen Qualität, erreicht die Serie eine Zuschauerquote von knapp 30%. Ein Grund, warum in kürzester Zeit auch andere Fernsehanstalten Anime-Serien produzieren.

Schokolinsen mit Astro Boy. Quelle: https://tezukaosamu.net/jp/mushi/201202/special2.html

Charakter und Erscheinungsbild des Serienhelden aus „Astro Boy“ verfügen über eine so große Attraktivität und Faszination, dass die aus der limited animation resultierende Reduktion der Bewegung und die Flächigkeit der Darstellung nicht als Makel empfunden wird. Die Fokussierung auf das Character-Design nimmt in Folge die zentrale Rolle bei der Anime-Produktion ein, wie die Beispiele von „Doraemon“ (Shin’ei Animation 1973, 1979–) oder aber die ab 1997 auf TV Tôkyô ausgestrahlte Serie „Pokémon“ (Pocket Monster; OLM) verdeutlichen. Helden wie Doraemon oder Pikachû sind nicht mehr nur im Fernsehen, im Kino oder in Manga-Zeitschriften zu finden. Sie werden als Media-Mix in Produktmarketing (z. B. die Doraemon-Würste der Firma Nissui) oder Werbung (z. B. der Pokémon-Jet bei ANA) wirkungsvoll eingesetzt. Diese Form des cross-medialen Franchising hat sich zum grundlegenden Geschäftsmodell der Anime-Produktion für den Fernsehmarkt zur Deckung der Herstellungskosten durchgesetzt.

Doraemon-Würste der Firma Nissui. Quelle: http://photozou.jp/photo/show/879881/91292620

Die Produktion einer 30-minütigen Folge kostet heute im Schnitt 11–13 Mio. Yen (ca. 80–90.000 Euro) für eine Serie im Bereich Kinder- und Familienunterhaltung (ohne Titellied oder Hintergrundmusik). Da die Sender meist mehrere Serien in ihrem Programm haben, können sie die Produktion nicht finanzieren. Stattdessen sind es externe Sponsoren, die mittels großer Werbeagenturen den Großteil der Produktionskosten tragen und damit die Lizenzen zur Weitervermarktung erhalten. Die verbleibende Differenz der Kosten wird zudem über die aus den Lizenzvergaben an Spielwarenhersteller und/oder weitere Content-Distributoren (für z. B. DVD, Handy etc.) erzielten Gewinne abgedeckt. Den Fernsehanstalten kommt vor allem eine Vermittlerfunktion bei der Bereitstellung der Medieninhalte in ihren Programmslots zu. Der Erwerb der jeweiligen Senderechte macht nur rund ein Viertel des Gesamtgewinns der Produktionsstätten aus. Das Mitspracherecht ist bei der Produktion dementsprechend gering, denn es gilt zunächst, den Wünschen und Forderungen der Hauptsponsoren gerecht zu werden.

Der ANA Pokémon-Jet. Quelle: https://japanese-autobus.at.webry.info/201702/article_11.html

Die besondere Ästhetik des Fernseh-Anime ist, analog zum Manga, in erster Linie den besonderen Produktionsbedingungen geschuldet. Fernseh-Anime sind durchaus typisch japanisch, und zwar in dem Sinne, wie die gesamte Populärkultur Japans typisch japanisch ist. Dieses „typisch“ Japanische ist vielleicht nicht traditionell im klassischen Sinne, aber dennoch nicht weniger spannend.

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Promovieren finanzieren

Für Promovierende stellt sich oft die Frage der Finanzierung. Nach den mindestens fünf Jahren Studium bis zum Masterabschluss (Auslandssemester nicht mitgezählt) entscheiden sich nur die wenigsten für die Promotion. Als Doktorand*in erhält man die Vergünstigungen nicht mehr, die man als Student*in noch genossen hat. Dazu zählen u.a. ein vergünstigter Beitrag bei der Krankenversicherung, ein Platz im Studentenwohnheim oder der Anspruch auf BAföG. Laut einer Studie, die 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegeben wurde, beträgt die durchschnittliche Promotionszeit in der Regel zwischen vier und fünf Jahren (siehe Studie S. 13), also noch einmal genauso lange wie Bachelor- und Masterstudium zusammen. Die Frage nach der Finanzierung des Unterhalts ist dabei ein grundlegendes Problem, das für viele bereits das erste Hindernis auf dem Weg zum Doktortitel darstellt. Um zumindest für einen Teil der Promotionszeit abgesichert zu sein, bewerben sich viele auf Stipendien.

Foto: Sonja Hülsebus

Für Studierende der Japanologie gibt es neben den sogenannten strukturierten Promotionsprogrammen noch die Möglichkeit, sich um Stipendien bei außeruniversitären Einrichtungen zu bewerben. Für kurze Forschungsaufenthalte in Japan ist sicherlich das Deutsche Institut für Japanstudien (DIJ) eine der ersten Anlaufstellen. Das DIJ zählt zu einem von insgesamt zehn Auslandsinstituten der Max Weber Stiftung. Die meisten Auslandsinstitute sind Historische Institute, mit einem – wie der Name bereits erahnen lässt – Schwerpunkt auf Geschichtswissenschaften. Das DIJ hingegen ist breiter aufgestellt. Die Forschungsprojekte verfolgen interdisziplinäre Ansätze aus den Bereichen Politikwissenschaft, Soziologie, Wirtschaft, Kulturwissenschaften, Geschichtswissenschaften usw. D.h. auch die dort beschäftigten Mitarbeiter*innen kommen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, was eine sehr gute Gelegenheit für wissenschaftlichen Austausch bietet. Von April bis September 2018 hatte ich die Chance, als Promotionsstipendiatin mein eigenes Forschungsvorhaben mit der Unterstützung des DIJs voranzubringen, weshalb ich die Vorzüge des DIJs kurz vorstellen möchte.

Das DIJ liegt auf dem Campus der Sophia Universität Tôkyô. Man hat also nicht nur den Anschluss an das Forschungsinstitut, sondern wird auch über Veranstaltungen der Uni auf dem Laufenden gehalten. Die Lage im Stadtteil Yotsuya ist zudem überaus praktisch. Denn von hier aus sind es nur wenige Gehminuten zu Fuß zum Goethe-Institut und auch die National Diet Library (NDL) ist nicht allzu weit entfernt. Die Anbindung an diverse Bahnlinien ist ebenfalls gut.

Foto: Sonja Hülsebus

Der Haupteingang zum DIJ befindet sich im Jôchi Kioizaka Biru 上智紀尾井坂ビル. Wer noch nie hier war, sollte sich vorher eine detaillierte Wegbeschreibung heraussuchen, denn der Gebäudename über dem Haupteingang kann schnell übersehen werden. Neben einer eigenen Institutsbibliothek bietet das DIJ jedem Stipendiaten/jeder Stipendiatin einen eigenen Arbeitsplatz. Wenn man in Tôkyô nicht gerade in einem ruhigen Viertel wohnt oder vielleicht seine Wohnung teilen muss, weiß man den ruhigen Arbeitsplatz samt Computer und Druckmöglichkeit zu schätzen. Außerdem gibt es Zugriff auf diverse Datenbanken. Der Zugang zu mehreren Bibliotheken ist ein weiteres Merkmal, das das DIJ auszeichnet. Die Bibliothek der Sophia Uni kann mitbenutzt werden, aber auch für die der Waseda Uni erhält man einen Nutzerausweis. Ein Ausweis für die NDL ist kostenlos und kann unkompliziert vor Ort beantragt werden.

Die Stipendienrate für Doktoranden ist zudem sehr großzügig. Mit monatlichen 2.400€ kann man sich eine kleine Wohnung in Tôkyô leisten. Aber auch für Aufenthalte außerhalb Tôkyôs, um Feldstudien oder Forschungsreisen durchzuführen, reicht das Budget aus. Normalerweise erhält man die Stipendienzusage für sechs Monate. Im Bedarfsfall kann mit guter Begründung die Förderung um maximal sechs weitere Monate verlängert werden. Wer für sein Promotionsprojekt mehrfach verreisen muss, erhält i.d.R. unproblematisch eine Genehmigung dafür. Für Stipendiat*innen, die noch relativ japan-unerfahren sind, kann der Austausch mit den anderen Doktorand*innen und Mitarbeiter*innen sehr hilfreich sein.

Nicht zuletzt erhält man die Möglichkeit, seine Forschungsergebnisse einem interessierten Publikum vorzustellen. Im Rahmen des Veranstaltungsformats „Study Group“ wird ein Kurzvortrag zum aktuellen Stand der Dinge gehalten und offene Fragen werden im Anschluss im Plenum diskutiert. Um die Organisation dieser Study Group kümmert sich zudem ein*e Ansprechpartner*in der Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aus den Bereichen „Business&Economics“, „History&Humanities“ oder „Social Sciences“, sodass man neben der organisatorischen Stütze auch fachliche Beratung erhält. Die Veranstaltungen sind öffentlich, was zu einem gemischten Publikum führt. Alles in allem bietet das DIJ für Doktorand*innen daher sehr viel, um die eigene Forschung voranzubringen, weshalb ich eine Bewerbung nur empfehlen kann.

Neben dem Promotionsstipendium des DIJ gibt es noch weitere Möglichkeiten der Förderung. Beispielhaft seien hier das Jahresstipendium des DAAD, die Förderprogramme der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) und das Fellowship Program der Japan Foundation genannt. Darüber hinaus gibt es sicherlich noch weitere Stiftungen und Institute, über die eine Finanzierung der Promotion möglich ist.

(Dieser Beitrag wurde von Sonja Hülsebus, Doktorandin und Projektmitarbeiterin der Japanologie, verfasst.)

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