Anime – typisch „japanisch“, aber anders …

Anime-Serien haben längst einen festen Platz in der hiesigen Fernsehlandschaft. Zwar wurden in den 1970ern bereits Serien wie „Die Biene Maja“ oder „Heidi“ ausgestrahlt. Diese wirkten aber so „unjapanisch“, dass die Enthüllung der Herkunft aus dem Fernen Osten Jahre später für große Überraschung sorgte. Mit dem Anime-Boom seit Ausstrahlung der Serie Sailormoon Ende der 1990er Jahre wächst die Sensibilität für die typisch „japanischen“ Charakteristika des Anime. Häufig wird hier das Einfrieren von Bewegungen, die Flächigkeit der Darstellung etc. angeführt und mit Japans traditioneller Kultur in Bezug gesetzt. Anime sind zweifelsohne typisch „japanisch“, aber auf eine Art, die irgendwie anders „typisch“ ist. Ein kurzer Blick auf den Beginn des Fernsehanime soll dies verdeutlichen.

Astro Boy. Quelle: https://ja.wikipedia.org/wiki/%E3%83%95%E3%82%A1%E3%82%A4%E3%83%AB:Nerima_Oizumi-animegate_Chronological_table_Astro_Boy_1.jpg

Japans erster Fernsehanime geht nur zehn Jahre nach Aufnahme des Sendebetriebs 1953 an den Start. Die Serie „Astro Boy“ (Tetsuwan Atomu) von dem Mangaka Tezuka Osamu (1928–89) macht den Anfang. Sie wird von Januar 1963 bis Dezember 1966 auf dem Sender Fuji Television Network in 193 Folgen ausgestrahlt. Die Serie ist wegweisend für die Entwicklung des Fernsehanime in drei Aspekten. Erstens begründet Tezuka das Tie-up zwischen Anime- und Manga-Branche. Denn Tezuka greift auf seinen von 1952 bis 1968 in Shônen (Kôbunsha) serialisierten Manga Tetsuwan Atomu zurück. Das erspart Zeit und minimiert das Risiko. Zweitens führt Tezuka Sponsoring und Franchising als erfolgreiche Geschäftspraxis von Anime-Produktionen fürs Fernsehen ein. Der Sponsor Meiji Seika erhält von den 30 Minuten, die pro Folge zur Verfügung stehen, 3 Minuten Sendezeit für Werbung. Zudem darf er Tezukas Character-Design für seine Produkte verwenden. Drittens etabliert Tezuka eine Reduktion der im Realfilm üblichen 24 auf maximal 8 Bilder/Sekunde. Aufgrund begrenzter Finanz- und Humanressourcen muss bei „Astro Boy“ die Zahl der pro Folge benötigten Bilder (cels) auf 1500–2000 beschränkt bleiben, was beispielsweise durch das Einfrieren bzw. die Reduktion von Bewegungen oder aber das Recyceln von einzelnen Bildern bzw. ganzen Bewegungssequenzen ermöglicht wird. Diese allgemein als limited animation (später auch full limited animation) bezeichnete Produktionsweise soll zum Markenzeichen nachfolgender japanischer Fernsehproduktionen werden. Trotz einer im Vergleich zu Kinoproduktionen deutlich „geringeren“ technischen Qualität, erreicht die Serie eine Zuschauerquote von knapp 30%. Ein Grund, warum in kürzester Zeit auch andere Fernsehanstalten Anime-Serien produzieren.

Schokolinsen mit Astro Boy. Quelle: https://tezukaosamu.net/jp/mushi/201202/special2.html

Charakter und Erscheinungsbild des Serienhelden aus „Astro Boy“ verfügen über eine so große Attraktivität und Faszination, dass die aus der limited animation resultierende Reduktion der Bewegung und die Flächigkeit der Darstellung nicht als Makel empfunden wird. Die Fokussierung auf das Character-Design nimmt in Folge die zentrale Rolle bei der Anime-Produktion ein, wie die Beispiele von „Doraemon“ (Shin’ei Animation 1973, 1979–) oder aber die ab 1997 auf TV Tôkyô ausgestrahlte Serie „Pokémon“ (Pocket Monster; OLM) verdeutlichen. Helden wie Doraemon oder Pikachû sind nicht mehr nur im Fernsehen, im Kino oder in Manga-Zeitschriften zu finden. Sie werden als Media-Mix in Produktmarketing (z. B. die Doraemon-Würste der Firma Nissui) oder Werbung (z. B. der Pokémon-Jet bei ANA) wirkungsvoll eingesetzt. Diese Form des cross-medialen Franchising hat sich zum grundlegenden Geschäftsmodell der Anime-Produktion für den Fernsehmarkt zur Deckung der Herstellungskosten durchgesetzt.

Doraemon-Würste der Firma Nissui. Quelle: http://photozou.jp/photo/show/879881/91292620

Die Produktion einer 30-minütigen Folge kostet heute im Schnitt 11–13 Mio. Yen (ca. 80–90.000 Euro) für eine Serie im Bereich Kinder- und Familienunterhaltung (ohne Titellied oder Hintergrundmusik). Da die Sender meist mehrere Serien in ihrem Programm haben, können sie die Produktion nicht finanzieren. Stattdessen sind es externe Sponsoren, die mittels großer Werbeagenturen den Großteil der Produktionskosten tragen und damit die Lizenzen zur Weitervermarktung erhalten. Die verbleibende Differenz der Kosten wird zudem über die aus den Lizenzvergaben an Spielwarenhersteller und/oder weitere Content-Distributoren (für z. B. DVD, Handy etc.) erzielten Gewinne abgedeckt. Den Fernsehanstalten kommt vor allem eine Vermittlerfunktion bei der Bereitstellung der Medieninhalte in ihren Programmslots zu. Der Erwerb der jeweiligen Senderechte macht nur rund ein Viertel des Gesamtgewinns der Produktionsstätten aus. Das Mitspracherecht ist bei der Produktion dementsprechend gering, denn es gilt zunächst, den Wünschen und Forderungen der Hauptsponsoren gerecht zu werden.

Der ANA Pokémon-Jet. Quelle: https://japanese-autobus.at.webry.info/201702/article_11.html

Die besondere Ästhetik des Fernseh-Anime ist, analog zum Manga, in erster Linie den besonderen Produktionsbedingungen geschuldet. Fernseh-Anime sind durchaus typisch japanisch, und zwar in dem Sinne, wie die gesamte Populärkultur Japans typisch japanisch ist. Dieses „typisch“ Japanische ist vielleicht nicht traditionell im klassischen Sinne, aber dennoch nicht weniger spannend.

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Promovieren finanzieren

Für Promovierende stellt sich oft die Frage der Finanzierung. Nach den mindestens fünf Jahren Studium bis zum Masterabschluss (Auslandssemester nicht mitgezählt) entscheiden sich nur die wenigsten für die Promotion. Als Doktorand*in erhält man die Vergünstigungen nicht mehr, die man als Student*in noch genossen hat. Dazu zählen u.a. ein vergünstigter Beitrag bei der Krankenversicherung, ein Platz im Studentenwohnheim oder der Anspruch auf BAföG. Laut einer Studie, die 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegeben wurde, beträgt die durchschnittliche Promotionszeit in der Regel zwischen vier und fünf Jahren (siehe Studie S. 13), also noch einmal genauso lange wie Bachelor- und Masterstudium zusammen. Die Frage nach der Finanzierung des Unterhalts ist dabei ein grundlegendes Problem, das für viele bereits das erste Hindernis auf dem Weg zum Doktortitel darstellt. Um zumindest für einen Teil der Promotionszeit abgesichert zu sein, bewerben sich viele auf Stipendien.

Foto: Sonja Hülsebus

Für Studierende der Japanologie gibt es neben den sogenannten strukturierten Promotionsprogrammen noch die Möglichkeit, sich um Stipendien bei außeruniversitären Einrichtungen zu bewerben. Für kurze Forschungsaufenthalte in Japan ist sicherlich das Deutsche Institut für Japanstudien (DIJ) eine der ersten Anlaufstellen. Das DIJ zählt zu einem von insgesamt zehn Auslandsinstituten der Max Weber Stiftung. Die meisten Auslandsinstitute sind Historische Institute, mit einem – wie der Name bereits erahnen lässt – Schwerpunkt auf Geschichtswissenschaften. Das DIJ hingegen ist breiter aufgestellt. Die Forschungsprojekte verfolgen interdisziplinäre Ansätze aus den Bereichen Politikwissenschaft, Soziologie, Wirtschaft, Kulturwissenschaften, Geschichtswissenschaften usw. D.h. auch die dort beschäftigten Mitarbeiter*innen kommen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, was eine sehr gute Gelegenheit für wissenschaftlichen Austausch bietet. Von April bis September 2018 hatte ich die Chance, als Promotionsstipendiatin mein eigenes Forschungsvorhaben mit der Unterstützung des DIJs voranzubringen, weshalb ich die Vorzüge des DIJs kurz vorstellen möchte.

Das DIJ liegt auf dem Campus der Sophia Universität Tôkyô. Man hat also nicht nur den Anschluss an das Forschungsinstitut, sondern wird auch über Veranstaltungen der Uni auf dem Laufenden gehalten. Die Lage im Stadtteil Yotsuya ist zudem überaus praktisch. Denn von hier aus sind es nur wenige Gehminuten zu Fuß zum Goethe-Institut und auch die National Diet Library (NDL) ist nicht allzu weit entfernt. Die Anbindung an diverse Bahnlinien ist ebenfalls gut.

Foto: Sonja Hülsebus

Der Haupteingang zum DIJ befindet sich im Jôchi Kioizaka Biru 上智紀尾井坂ビル. Wer noch nie hier war, sollte sich vorher eine detaillierte Wegbeschreibung heraussuchen, denn der Gebäudename über dem Haupteingang kann schnell übersehen werden. Neben einer eigenen Institutsbibliothek bietet das DIJ jedem Stipendiaten/jeder Stipendiatin einen eigenen Arbeitsplatz. Wenn man in Tôkyô nicht gerade in einem ruhigen Viertel wohnt oder vielleicht seine Wohnung teilen muss, weiß man den ruhigen Arbeitsplatz samt Computer und Druckmöglichkeit zu schätzen. Außerdem gibt es Zugriff auf diverse Datenbanken. Der Zugang zu mehreren Bibliotheken ist ein weiteres Merkmal, das das DIJ auszeichnet. Die Bibliothek der Sophia Uni kann mitbenutzt werden, aber auch für die der Waseda Uni erhält man einen Nutzerausweis. Ein Ausweis für die NDL ist kostenlos und kann unkompliziert vor Ort beantragt werden.

Die Stipendienrate für Doktoranden ist zudem sehr großzügig. Mit monatlichen 2.400€ kann man sich eine kleine Wohnung in Tôkyô leisten. Aber auch für Aufenthalte außerhalb Tôkyôs, um Feldstudien oder Forschungsreisen durchzuführen, reicht das Budget aus. Normalerweise erhält man die Stipendienzusage für sechs Monate. Im Bedarfsfall kann mit guter Begründung die Förderung um maximal sechs weitere Monate verlängert werden. Wer für sein Promotionsprojekt mehrfach verreisen muss, erhält i.d.R. unproblematisch eine Genehmigung dafür. Für Stipendiat*innen, die noch relativ japan-unerfahren sind, kann der Austausch mit den anderen Doktorand*innen und Mitarbeiter*innen sehr hilfreich sein.

Nicht zuletzt erhält man die Möglichkeit, seine Forschungsergebnisse einem interessierten Publikum vorzustellen. Im Rahmen des Veranstaltungsformats „Study Group“ wird ein Kurzvortrag zum aktuellen Stand der Dinge gehalten und offene Fragen werden im Anschluss im Plenum diskutiert. Um die Organisation dieser Study Group kümmert sich zudem ein*e Ansprechpartner*in der Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aus den Bereichen „Business&Economics“, „History&Humanities“ oder „Social Sciences“, sodass man neben der organisatorischen Stütze auch fachliche Beratung erhält. Die Veranstaltungen sind öffentlich, was zu einem gemischten Publikum führt. Alles in allem bietet das DIJ für Doktorand*innen daher sehr viel, um die eigene Forschung voranzubringen, weshalb ich eine Bewerbung nur empfehlen kann.

Neben dem Promotionsstipendium des DIJ gibt es noch weitere Möglichkeiten der Förderung. Beispielhaft seien hier das Jahresstipendium des DAAD, die Förderprogramme der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) und das Fellowship Program der Japan Foundation genannt. Darüber hinaus gibt es sicherlich noch weitere Stiftungen und Institute, über die eine Finanzierung der Promotion möglich ist.

(Dieser Beitrag wurde von Sonja Hülsebus, Doktorandin und Projektmitarbeiterin der Japanologie, verfasst.)

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Partnerschulen der Japanologie in Japan

Studierende des Unterrichtsfachs Japanisch haben die Möglichkeit, ihr Berufsfeldpraktikum auch an einer Schule in Japan zu absolvieren. Dazu bieten neben der Deutschen Schule Tôkyô Yokohama auch Schulen, die mit Kölner Partneruniversitäten zusammenarbeiten, sowie die Dokkyô Junior and Senior High School und die Keisen Junior and Senior High School Praktikumsplätze an. Die Bewerbung erfolgt nicht über das Programm internships@schoolsabroad, sondern direkt über die Japanologie.

Die Schulen

Die Deutsche Schule Tôkyô Yokohama (DSTY) ist für Studierende des Unterrichtsfachs Japanisch eine besonders wichtige Anlaufstelle. Studierende haben hier die Gelegenheit, in ihrem Praktikum ein breit gefächertes Angebot an Japanischunterricht von Klasse 1–12 kennenzulernen, das sonst an keiner deutschen Schule in diesem Umfang verfügbar ist. An der DSTY gibt es nicht nur Kurse für Japanisch als Fremdsprache, sondern hier werden auch Schüler*innen mit Erstsprache Japanisch unterrichtet. In der Vergangenheit hat die Schule es Studierenden ermöglicht, dort Unterrichtsforschung für ihre Masterarbeit durchzuführen.

Dokkyô-Mittel- und Oberschule

Mit der Dokkyô Junior and Senior High School und der Keisen Junior and Senior High School hat die Japanologie der Universität zu Köln gesonderte Abkommen über die Aufnahme von Praktikant*innen geschlossen. Die Dokkyô-Schule ist eine Mittel- und Oberschule für Jungen und liegt in Tôkyô im Bezirk Bunkyô. Sie gehört zum PASCH-Netzwerk und bietet Deutsch als Wahlfach ab der Oberschule, also für Schüler zwischen 16 und 18 Jahren, an. Jedes Jahr in den Sommerferien führt die Schule ein zehntägiges Field-Study-Programm in Kooperation mit einer Hannoveraner Schule durch.

 

Keisen Junior & Senior High School

Die Keisen-Schule wiederum ist eine Mädchenschule und liegt im Tôkyôter Bezirk Setagaya. Auch sie verfügt über  viele internationale Programme und bietet neben ausländischen Praktikant*innen auch japanischen Studentinnen die Möglichkeit, ihre Schulpraktika dort zu absolvieren. Auf diese Weise kommen Kölner Studierende auch in Kontakt mit japanischen Lehramtsstudentinnen. An beiden Schulen haben die Studierenden die Gelegenheit, den Alltag an einer japanischen Schule aus erster Hand kennenzulernen und direkte Verbindungen zu einer japanischen Bildungseinrichtung zu knüpfen.

Die Universität zu Köln hat weiterhin eine Vielzahl von Partnerschaften mit japanischen Universitäten, an denen die Studierenden ihren Auslandsaufenthalt absolvieren. Einige von ihnen, so z. B. die Keiô University, die Ochanomizu University und die Kyôto Sangyô University, haben diesen Studierenden bereits die Chance geboten, ein Praktikum an einer affiliierten Schule zu absolvieren.

Es gibt an der Universität zu Köln also vielfältige Kooperationen, um die Internationalisierung des Studiums und die Professionalisierung der angehenden Lehrer*innen zu fördern. Derzeit werden verschiedene Möglichkeiten geprüft, wie die Praxisphasen in den lehramtsbezogenen Studiengängen – vor allem in Kooperation mit der Deutschen Schule Tôkyô Yokohama  – noch stärker genutzt werden können.

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Forschungsklasse UNESCO-Welterbe vor Ort: Mino, Japan

Im September und Oktober ging es für vier Wochen auf eine Forschungsreise nach Mino in der Präfektur Gifu. Anlass hierfür war die Forschungsklasse UNESCO-Welterbe der Universität zu Köln (http://welterbe.uni-koeln.de). In dieser Klasse kommen Studierende aus den verschiedensten Disziplinen der Philosophischen Fakultät zusammen und entwickeln eigenständig Projekte, die sie das gesamte Semester über unter Betreuung verfolgen. Ziel der Klasse ist es, den Studierenden projektorientierte Arbeit in der Wissenschaft näher zu bringen und sie erste Erfahrungen sammeln zu lassen.

Auf zur Forschung nach Japan.

Das Echte Japan-Papier
Das UNESCO-Erbe des hier vorgestellten Projekts ist das Hon-Minoshi, also „Echtes Mino-Japanpapier“, das 2014 im Rahmen des Antrags „Washi, craftsmanship of traditional Japanese hand-made paper“ in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. Neben dem Echten Mino-Japanpapier, das aus der Region Mino (nördlich von Nagoya) kommt, wurden noch zwei weitere Japanpapiere (washi) in den Präfekturen Saitama (nordöstlich von Tôkyô) sowie Shimane (im Westen der Hauptinsel Honshû) zum immateriellen Erbe ernannt. Die UNESCO sieht in diesen drei Papieren eine besondere Qualität und eine besondere handwerkliche Leistung, die unter Schutz gestellt werden sollte. Neben diesen technischen Aspekten beschreibt sie aber auch die papierherstellenden Gemeinden, in denen die Handwerkskunst lebendig weitergegeben werde und das Papier das zentrale Element des gesellschaftlichen Lebens sei. Parallel zur Sichtweise der UNESCO muss allerdings auch eine Gefährdung der Handwerkskunst gesehen werden, da die Zahl der washi-Produzenten immer kleiner wird und der Papierbedarf ebenfalls sinkt. Ausgehend von dieser Diskrepanz sollte die Forschung sich damit befassen, in welchem Rahmen die Beschreibungen der UNESCO zur Papierherstellung in Mino zutreffen.

Eine der beiden Papierschöpfwerkstätten in Mino, die das Echte Mino-Japanpapier herstellen. Vor dem Haus links die Stele der UNESCO, rechts die etwas kleinere Stele des nationalen immateriellen Kulturerbes.

Vorbereitung der Feldforschung in Nagoya
Für die Forschung wurden mehrere Standorte gewählt: Dies war aufgrund ihrer geographischen Lage und ihrer Möglichkeiten zur akademischen Vernetzung mit anderen Universitäten zum einen die Stadt Nagoya und zum anderen die Stadt Mino selbst. In Nagoya befassen sich mehrere Universitäten mit dem Thema Japanpapier, so dass die dort stattfindenden Vorlesungen und Ausstellungen für die Durchführung des Projekts genutzt werden konnten. Dabei stellte sich heraus, dass das Echte Mino-Japanpapier nur ein kleiner Ast in der großen Familie des Japanpapiers ist und dass es, trotz der UNESCO-Ernennung, vielleicht gar keine so große Aufmerksamkeit erhalten würde. Dies wurde unter anderem beim Vortrag „Kami no Michi“, also etwa „Der Weg des Papiers“, an der Präfekturuniversität Aichi deutlich. Hier trugen Herr Sugimoto (früher Kaiserliches Hofamt) und Prof. Shibazaki (Präfektur-Kunstuniversität Aichi) vor, wie sich die Kunst des Papierschöpfens von China aus über Zentralasien und den Nahen Osten bis ins spätmittelalterliche Europa verbreitete. Sie bezogen sich dabei vor allem auf die zahlreichen lokalen Papiere aus ganz Japan. Das Echte Mino-Japanpapier erwähnten sie nicht weiter, wohl aber die UNESCO-Ernennung. Der Vortrag machte deutlich, dass es viele traditionelle Japanpapiere gibt, die mindestens ebenso wichtig sind wie die von der UNESCO ausgezeichneten.

Die Forschung vor Ort: Mino
Von Nagoya aus ging es dann nach Mino. Die Lage der Stadt ist an sich schon sehr ländlich, doch das Zentrum der Papierherstellung seinerseits liegt noch einmal ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Da Landflucht und Überalterung in Japan große Probleme sind, ist der öffentliche Nahverkehr in ländlichen Regionen oftmals sehr karg. So auch in Mino, wo es lediglich einen Bus zum UNESCO-Erbe gibt, der nur frühmorgens und spätnachmittags fährt. Darüber hinaus gibt es noch einen Anruf-Taxibus-Service, der allerdings voraussetzt, dass man des Japanischen mächtig ist, um ihn zu nutzen. Besucher aus dem Ausland, die kein Japanisch sprechen, würden hier vermutlich scheitern.

Das Museum „Heimat des Mino-Japanpapiers“.

Das Minowashi no Satokaikan
Erste Anlaufstelle war das Minowashi no Satokaikan, also etwa das Museum „Heimat des Mino-Japanpapiers“. Das Museum, das 1994 eröffnet und 2017 generalüberholt wurde, beschäftigt sich schon seit seiner Einrichtung mit dem Mino-Japanpapier, nicht zu verwechseln mit dem von der UNESCO gelisteten Echten Mino-Japanpapier. Das Mino-Japanpapier wird ebenfalls in der Region Mino hergestellt und gehört innerhalb Japans zu einer Gruppe von Papieren ist, die den Status eines nationalen, immateriellen Kulturerbes haben.

In dem Museum kann man neben einer Ausstellung von Papierkunst auch die geschichtlichen Grundzüge sowie die Herstellung der drei UNESCO-Japanpapiere entdecken. Es gibt zudem einen Museumsladen mit verschiedenen Produkten und einen Papierworkshop, in dem man sich selbst am Papierschöpfen versuchen kann. Gerade mittags ist dieser Workshop von Schulklassen gut besucht. Aber auch hier im Museum stand das Mino-Japanpapier ganz allgemein im Mittelpunkt, und das Echte Mino-Japanpapier war nur ein kleiner Teil der Ausstellung und der zum Verkauf stehenden Produkte.

Die UNESCO-Ernennung an der Papierschöpfwerkstatt der Familie Suzuki.

Gespräch mit den Papierschöpfern
Als Ansprechpartner für das Echte Mino-Japanpapier stand das Ehepaar Suzuki zur Verfügung, das zu den drei letzten Papierschöpfern für Echtes Mino-Japanpapier gehört. Es war ebenfalls möglich, das Ehepaar bei der Arbeit zu beobachten. Suzuki Takehisa, der mit 65 Jahren noch einmal Lehrling seiner Frau wurde und in das Papierschöpfen einstieg, berichtete dabei, dass auch er den Eindruck habe, dass sein Papier nur eines von vielen in der japanischen Papierlandschaft sei. Weiterhin, so sagte er, gäbe es zwar viele junge Leute, die Echtes Mino-Japanpapier schöpfen wollten, doch verfolgten diese lieber ihre eigenen Vorstellungen des Papierschöpfens, als die traditionellen Handwerkstechniken zu erlernen.

Dennoch werde sein Papier immer noch gebraucht: Die shôji, die traditionellen Papierschiebetüren, würden nach wie vor hergestellt, und für diese sei das Echte Mino-Japanpapier das Beste. Tatsächlich ist eines der UNESCO-Kriterien die besondere Textur des Papiers, die das Licht besonders ästhetisch durchscheinen lässt. Nach dem Gespräch mit Herrn Suzuki war die Frage, wie es mit dem Papier weitergeht, also umso wichtiger und soll in der weiteren Forschung stärker beachtet werden.

Die Papier-und-Lichtkunstausstellung

Kunstwerke in der Ausstellungshalle.

Die jährlich stattfindende Papier-und-Lichtkunstausstellung markierte einen weiteren Höhepunkt des Aufenthalts in Mino. Im Rahmen dieser Ausstellung präsentieren verschiedenste Künstler aus ganz Japan ihre Papierkunst, die in der Abenddämmerung und der darauffolgenden Dunkelheit beleuchtet wird. Dieses Event ist auch im Hinblick auf die Besucherzahlen der Höhepunkt in jedem Jahr.

Illuminierte Kunstwerke in der Innenstadt von Mino.

Zusätzlich zu der ganzjährig geöffneten Ausstellungshalle werden die Kunstwerke an den Wochenenden des Lichtkunstveranstaltung in der Innenstadt ausgestellt. Mino, dessen Innenstadt auch für seine Architektur berühmt ist, erstrahlt so in angenehm warmem Licht und bietet ein sehr pittoreskes Bild.

 

Die in Mino durchgeführte Feldforschung wird im Wintersemester 2018/19 ausgewertet, und die Ergebnisse werden im Februar 2019 auf dem öffentlichen Symposium der Welterbeklasse der Universität zu Köln vorgestellt. Die Ankündigung der Veranstaltung erfolgt auf der Seite der Forschungsklasse Welterbe (http://welterbe.uni-koeln.de/news). Interessierte sind dazu herzlich eingeladen.

(Dieser Beitrag wurde von Felix M. Krause, Student im Master Japan-Studien, verfasst.)

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Tagungsbericht – Wie erzählt die Welt?

「学問の堂を作るは一朝の事にあらず、又一人の事にあらず」
„Der Tempel des Wissens wird nicht an einem einzigen Tag
und auch nicht von einer einzigen Person erbaut.“

Mit wenigen Worten beschreibt der japanische Schriftsteller Natsume Sōseki (1867–1916) in seiner 1907 erschienenen „Abhandlung über die Literatur“ (Bungakuron 文学論) zwei grundlegende Aspekte wissenschaftlicher Forschung: Zum einen braucht es einiges an Zeit, um Fortschritte zu machen. Zum anderen können diese Fortschritte nur im Austausch mit anderen erzielt werden. Frei nach diesem Motto fanden sich am 15. und 16. Juni 2018 Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Fachdisziplinen in der Kölner Japanologie zusammen, um gemeinsam über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Die literarische Figur
Dreh- und Angelpunkt des interdisziplinär ausgerichteten literaturwissenschaftlichen Symposiums war die Kategorie der literarischen Figur. Unter dem Titel Wie erzählt die Welt? wollten Vertreter*innen der Anglistik, Germanistik, Islamwissenschaften, Japanologie, Komparatistik und Sinologie der Frage auf den Grund gehen, welche Auswirkungen gesellschaftliche Wandlungsprozesse auf die Darstellung literarischer Figuren haben. Dabei sollten insbesondere solche Texte im Fokus stehen, die sich thematisch mit der Moderne und ihren Herausforderungen für Individuum und Gesellschaft auseinandersetzen.

Theoretische und methodische Zugänge
Ein weiteres zentrales Anliegen der Veranstaltung bildete die Suche nach theoretischen und methodischen Zugängen, die eine wissenschaftlich fundierte Analyse literarischer Figuren ermöglichen. Im Sinne einer Bestandsaufnahme der Istzustände der einzelnen Fachdisziplinen sollte es hierbei auch um die Erörterung der Möglichkeiten und Grenzen eines Theorie- und Methodentransfers gehen. Wirkt sich die kulturelle Bedingtheit literarischer Texte auch auf die notwendigen Analysekriterien aus? Sind an europäischen Texten entwickelte Konzepte auch auf außereuropäische Literaturen anwendbar?

Die Vorträge
Den Auftakt des Symposiums bildete ein Vortrag von Ralf Schneider und Tyll Zybura
(Bielefeld), der sich der diskursiven Verortung der Darstellung von Kinderfiguren im zeitgenössischen britischen Roman widmete. Danach beschäftigten sich im ersten Panel Martin Thomas (Köln) mit der Konzeption von Figuren in Kurzgeschichten und Max Roehl (Tübingen) mit der Funktion von Figuren im klassischen Drama. Anschließend thematisierte Göran Nieragden (Köln) die Tendenz zur Fragmentierung von Figuren in der modernen amerikanischen Erzählliteratur, ehe Alexander Saechtig (Bochum) das Phänomen des „mittleren Helden“ der chinesischen Prosa der 1960er Jahre erörterte. Den ersten Tag beschlossen Stephan Milich (Köln) mit einem Beitrag zur Figur des Flüchtlings in der Erzählung „Männer in der Sonne“ des palästinensischen Autors Ghassan Kanafani (1936–1972) und Janett Claus (München) mit einem Beitrag zur Identitätssuche der Protagonisten in dem Roman „Das Museum der Stille“ der japanischen Autorin Ogawa Yōko (*1962).

Der zweite Tag wurde durch die Diplompsychologin Stefanie Miketta (Saarbrücken) eröffnet. Sie referierte zu kognitiven Aspekten der Figurenrezeption. Nachfolgend begab sich Nicolas Pethes (Köln) im Werk verschiedener Autoren wie Robert Musil (1880–1942) und David Foster Wallace (1962–2008) auf die Spur von „Männern ohne Eigenschaften“, bevor Claudia Öhlschläger (Paderborn) anhand dreier Texte von Franz Hessel (1880–1941), Joseph Roth (1894–1939) und Siegfried Kracauer (1889–1966) den Feuilletonisten als politische Figur charakterisierte. Im Anschluss besprach Peter Dové (Genf) das Phänomen der Intertextualität am Beispiel der Figuren der Erzählungen des syrischen Schriftstellers Zakariya Tamir (*1931), woran sich ein Beitrag von Weiping Huang (Köln) zu den Figuren im Werk der chinesischen Autorinnen Ding Ling (1904–1986) und Zhang Ailing (1921–1993) anschloss. Im letzten Panel betrachteten schließlich Anna-Lena von Garnier (Düsseldorf) die Besonderheiten der Frauenfiguren im Roman „Out“ der japanischen Schriftstellerin Kirino Natsuo (*1951) und Béatrice Hendrich (Köln) die Darstellung von Männern in der modernen türkischsprachigen Erzählliteratur am Beispiel des Romans „Die Madonna im Pelzmantel“ von Sabahattin Ali (1907–1948).

 

Die Ergebnisse
Trotz dieses auf den ersten Blick recht heterogen anmutenden Vortragsprogramms ergaben sich im Verlauf der Tagung zahlreiche thematische Überschneidungen zwischen den einzelnen Beiträgen, die insbesondere auf der konvergierenden motivischen Gestaltung der analysierten Texte beruhen. Daraus lässt sich schließen, dass ähnliche Erfahrungen gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, wie man ihnen im Kontext der Moderne begegnet, auch eine ähnliche literarische Ausgestaltung bedingen, und das über kulturelle Grenzen hinweg.

So scheint die Abkehr vom klassischen Helden hin zur Darstellung realistisch erscheinender Protagonisten und Alltagsmenschen eine allgemeine Tendenz moderner literarischer Texte zu sein. Diese geht auf der konzeptionellen Ebene wiederum häufig mit einer vorwiegend individualisierten Darstellung einher, was eine Loslösung von rein typisierten Figuren bedeutet.

Eine weitere Gemeinsamkeit einer Vielzahl der besprochenen Werke ist darin zu sehen, dass neben den eigentlichen Figuren auch den Räumen, in denen sich diese bewegen, ein besonderes Gewicht bei der literarischen Inszenierung beigemessen wird. Sei es das Großraumbüro einer Steuerbehörde in den USA, die Fabrik zur Herstellung von Lunchboxen in Japan oder der leere Wassertank eines Flüchtlingstransports auf dem Weg nach Kuwait – die Moderne findet ihre Schauplätze häufig an ganz bestimmten Orten, die mit dem Schicksal und Leben ihrer Figuren aufs Engste verbunden sind. Es scheint daher lohnend, sich in Zukunft auch stärker mit dem Verhältnis von Figur und Raum auseinanderzusetzen.

Was die Zielsetzung des Symposiums in Bezug auf die Erarbeitung theoretischer und methodischer Zugänge zur Analyse literarischer Figuren betrifft, ist festzuhalten, dass diesbezüglich nur wenig Neues auszumachen war. Ein überwiegender Teil der Vortragenden bediente sich bei ihren Untersuchungen klassischer Konzepte. Auffällig war hierbei, dass nur einer der Beiträge zu außereuropäischen Texten explizit Kategorien der Beschreibung nutzte, die aus der literaturtheoretischen und literaturkritischen Praxis des entsprechenden Landes stammten. Hier besteht also noch Spielraum für die weitere Forschung.

Insgesamt empfanden viele der Teilnehmer*innen die Chance, über eine derartige Veranstaltung mit Literaturen anderer Länder in Kontakt zu kommen, als bereichernd für die eigene wissenschaftliche Arbeit. Besonders die Erkenntnis, dass bestimmte literarische Tendenzen und Figurentypen kulturübergreifend zu beobachten und keine singulären Phänomene sind, veränderte den Blick auf die eigene Forschung und führte zu dem Wunsch, fortan öfter in komparatistischer Weise zusammenzutreten. Auch für die Kölner Japanologie war die Veranstaltung ein wichtiger Impulsgeber, der die Weichen für die künftige Arbeit im Rahmen des DFG-Projektes zu den literarischen Figuren im Frühwerk Nagai Kafūs (1879–1959) stellte. Am Ende bleibt das Fazit, dass die Welt im Allgemeinen wohl doch nicht so unterschiedlich erzählt, wie man gemeinhin vermuten würde.

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