Die Kölner Japanologie stellt sich vor: Teil VIII

Name
Naoko Rech

Was wollte ich eigentlich mal werden?
Mein Vater war mit Leib und Seele Grundschullehrer. Er bekam zu Hause oft Besuche seiner ehemaligen Schüler*innen, manchmal mit ihren Kindern. Beim gemeinsamen Abendessen unterhielt er sich mit seinen Gästen darüber, was in der Schule alles geschehen war. Dabei wurde viel gelacht. Ich war oft bei den gemeinsamen Abendessen dabei und habe mitbekommen, welch wertvolle Zeit mein Vater mit seinen Schüler*innen teilte. Daher war Grundschullehrerin von klein auf mein Traumberuf. Diesen Beruf habe ich in der Tat ausgeübt, bis ich nach Deutschland übergesiedelt bin, und ich war mit dieser Auswahl sehr zufrieden. Inzwischen sind meine ersten Schüler*innen erwachsen geworden. Wenn ich aus der Ferne von ihnen etwas höre, freue ich mich darüber sehr, genauso wie mein Vater damals…

Was mache ich jetzt?
Jetzt arbeite ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Fremdsprachendidaktik Japanisch und schreibe außerdem an meiner Dissertation. In meinem Unterricht befasse ich mich mit Japanischunterricht an Schulen und in der Doktorarbeit mit Japanischunterricht an Hochschulen.

Wie bin ich zu diesem Beruf gekommen?
Drei Jahre, nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich angefangen, an einer Volkshochschule Japanischunterricht für Erwachsene zu erteilen. Während des Unterrichts stellten mir die Teilnehmer*innen viele interessante Fragen wie z.B. „Warum gibt es denn so viele Partikeln im Japanischen?“ oder „Warum wird für ein Gespenst anstatt „arimasu“ „imasu“ verwendet, obwohl es nicht mehr lebt?“ Während des Unterrichts spürte ich stets den Wunsch, meine Kenntnisse in und vor allem über Japanisch zu vertiefen. Deswegen habe ich an der Ruhr-Universität Bochum meinen Master der Japanologie/Japanische Linguistik absolviert. Nach dem Masterstudium fühlte ich mich zwar in der Grammatik fitter, musste aber bei der Lehre an der LMU-München feststellen, dass es im Japanischunterricht nicht nur um linguistische Kenntnisse geht.  Darum habe ich meine Promotion hier in Köln angefangen und dadurch jetzt auch hier eine Stelle bekommen. Ich würde jedoch sagen, diejenigen, die mich dazu bewogen haben, in diesem Bereich tätig zu sein, waren meine netten und wissbegierigen Kursteilnehmer*innen an der VHS.

Was schätze ich an meinem Beruf?
Didaktik ist ein Thema, das mich immer fasziniert, egal um welche Art von Schule oder Institut es gehen mag. Mit einer angemessenen Didaktik kann man viele Menschen erreichen und ihnen das Lernen erleichtern. Ich bin froh, dass ich mich in meinem Beruf damit beschäftigen kann, mit anderen Menschen zu arbeiten und sie bei ihrem Lernen zu unterstützen.

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Bildungsreform in Japan

Bildungspläne, die die Grundlage für das Lernen in den Schulen darstellen, werden in Japan – wie in vielen anderen Ländern auch – etwa alle zehn Jahre überarbeitet (für allgemeine Informationen zum japanischen Schulsystem hier klicken). Die jüngste Reform wird gerade umgesetzt, die Lehrpläne (gakushû shidô yôryô) gelten nach einer mehrjährigen Übergangsphase ab April dieses Jahres für alle Jahrgangsstufen der Grundschulen (shôgakkô, Klasse 1–6). Die Mittelschulen (chûgakkô, Klasse 7–9) folgen ein Jahr später, und die Oberschulen (kôtô gakkô, Klasse 10–12) führen die neuen Regelungen ab April 2022 jahrgangsweise ein.

Die Bildungspläne legen das Kerncurriculum der jeweiligen Fächer fest und haben großen Einfluss auf die Lehrwerke. Als zentrale Ziele der neuen Pläne werden die verbesserte Ausbildung von Qualifikationen und Kompetenzen sowie die Verbesserung der Leistungsmessung angestrebt. Betont wird neben dem Erwerb von Wissen und Fertigkeiten die Vermittlung von Denk- und Entscheidungsvermögen. Sie sollen dazu beitragen, erworbene Wissens- und Fertigkeitsbestände in einer Situation auszuwählen und auf unbekannte Kontexte zu übertragen. Darüber hinaus soll die Fähigkeit gestärkt werden, das Lernen für den Alltag und die Gesellschaft nutzbar zu machen.

Wichtigste Änderungen der neuen Bildungspläne sind:

  • die stärkere Ausbildung sprachlicher Kompetenzen und Ausdrucksfähigkeit sowohl im Japanischunterricht (kokugo) als auch in allen anderen Fächern
  • die Verbesserung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung durch Bearbeitung realitätsnaher, problemorientierter Aufgabenstellungen
  • die Einführung von Fremdsprachen, i.d.R. Englisch, ab der Klasse 3 der Grundschule (in den Klassen 3 und 4 lernen die Schüler*innen im „fremdsprachliche Aktivitäten (gaikokugo katsudô)“-Unterricht Fremdsprache und Kultur sowie einfache mündliche Kommunikation kennen. Ab der Klasse 5 wird Englisch dann als Unterrichtsfach angeboten. Bisher begann der Englischunterricht an öffentlichen Schulen erst in der Mittelschule)
  • die Abwendung vom reinen Frontalunterricht und die aktive Teilnahme aller Schüler*innen am Unterricht durch Gruppenarbeit oder Diskussionen (Stichwort: active learning)
  • die Vorbereitung der Schüler*innen auf die Digitalisierung durch die Nutzung digitaler Werkzeuge in einer Vielzahl von Fächern, beginnend in der Grundschule.

Mit der Reform der Bildungspläne werden auch die zentralen Eingangsprüfungen für die Universitäten verändert. So sollen beispielsweise an die Stelle der bisher üblichen Multiple-Choice- oder Markierungsverfahren in Japanisch und Mathematik offene Aufgabenformate treten, die von den Kandidat*innen frei formuliert zu bearbeiten sind. Für Englisch soll der Nachweis aller vier Fertigkeiten (neben Leseverstehen und Schreiben auch Hörverstehen und Sprechen) beispielsweise durch international anerkannte Sprachzertifikate erbracht werden.

Die Einführung dieser wesentlichen Neuerungen wurde kurz vor Ende des vergangenen Jahres noch einmal zunächst bis in das akademische Jahr 2024 verschoben. Inzwischen ist klar, dass das Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie (Monbukagakushô) bis dahin jährlich eine Überprüfung vornehmen und dann die Leitlinien für den im darauffolgenden Jahr stattfindenden Eingangstest festlegen wird. Dennoch ist davon auszugehen, dass die angestrebten Änderungen ihren Einfluss auf die schulische Praxis haben werden. Denn während bislang in der zentral durchgeführten Eingangsprüfung für die Universitäten (sentâ shiken) alle Fächer nur im Auswahlverfahren geprüft wurden und es eher auf Wissen und in gewissem Umfang auf Fertigkeiten ankam, soll die neue Prüfung (daigaku nyûgaku kyôtsû tesuto) auch die in die Bildungspläne neu aufgenommenen Lernziele wie Ausdrucksfähigkeit sowie Denk- und Urteilsvermögen messen.

Die neue Prüfung wird erstmals im kommenden Jahr durchgeführt, allerdings gelten für Japanisch, Mathematikund Englisch vorerst noch nicht die neuen Vorgaben, sondern es wird weiterhin Multiple-Choice-Aufgaben geben. Dennoch sind auch hier schon kleine Veränderungen spürbar. Wie das für die Durchführung des Tests zuständige Zentrum am 29. Januar 2020 mittteilte, wird der Test für Japanisch unverändert in 80 Minuten durchgeführt werden. Wären frei formulierte Aufgabenformate zum Einsatz gekommen, hätte die Bearbeitungszeit bei 100 Minuten gelegen. In der Englischprüfung sollen bislang übliche Aufgabenformate wie die Umstellung von Wörtern oder die Auswahl von Aussprache- und Betonungsmustern einzelner Wörter allerdings nicht mehr vorkommen. Für die Bereiche „schriftlich“ (hikki), in denen es vor allem um das Leseverstehen gehen wird, und „Hörverstehen“ (risuningu) wird es künftig jeweils 100 Punkte geben, wodurch dem Hörverstehen stärkeres Gewicht zukommt (bislang nur 20%).

Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Umstellung des Systems nur dann erfolgreich verlaufen wird, wenn die neuen Lerninhalte auch Gegenstand der wichtigen Aufnahmeprüfungen sind. Aber selbst dann sehen Insider gewisse Schwierigkeiten bei der Umsetzung, da es sich vor allem um eine Reform handelt, die im Top-down-Prozess in die Schulen kommt. Wenn die Lehrkräfte nicht die entsprechenden Qualifikationen besitzen, um die neuen Unterrichtsformen und -inhalte umzusetzen, wird sich trotz aller wohlgemeinten und ambitionierten Veränderungen der Lehrpläne so schnell nichts an der bisherigen Praxis ändern.

Bei einer Exkursion an die Japanische Internationale Schule Düsseldorf konnten sich die teilnehmenden Kölner Studierenden ein erstes Bild davon machen, wie der Unterricht an einer japanischen Grundschule verläuft. Derzeit befindet sich die Schule zwar noch in der Übergangsphase, aber da die neuen Lehrpläne für die Grundschule ab dem April 2020 gelten, sind in den meisten Stufen die Veränderungen größtenteils abgeschlossen. Insbesondere im Vergleich zu Schulen innerhalb Japans sei die Umsetzung der Neuerungen an einer Auslandsschule insgesamt schneller zu bewerkstelligen. Dadurch habe sich die Schule deutlich verändert, erklärte der Direktor, Herr Nakada, der sich viel Zeit nahm, um mit den Studierenden über seine Visionen der idealen Schule zu sprechen. Besonders positiv hoben die Teilnehmer*innen an der Exkursion die intensive Beteiligung, die gute Zusammenarbeit der Schüler*innen und das hohe Motivationsniveau in den meisten beobachteten Fächern hervor.

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Crossing the Borders of Modernity: Symposium am 10./11. Januar 2020

Wie die Modewelt ist auch die Wissenschaft stetig wechselnden Trends unterworfen. Die Halbwertszeit akademischer Forschung scheint sich dabei in den vergangenen Jahren immer weiter verkürzt zu haben. Was heute im Zentrum des Interesses der Fachgemeinschaft steht, ist morgen womöglich schon ein alter Hut. Dies erhöht nicht nur den Druck auf Forschende, sich jeder vermeintlich innovativen Idee anzunehmen, sondern führt mitunter auch zu qualitativen Einbußen in der wissenschaftlichen Arbeit, da man sich für das Heranreifen und Ausformulieren eigener Gedanken zu wenig Zeit lässt. Auch die Japanologie bildet hier keine Ausnahme.

Blickt man zurück auf die Geschichte des Faches, so war die Japanologie in ihrem Ursprung eine Philologie im traditionellen Sinne. Das heißt, dass das Studium der Sprache und der Literatur Japans im Fokus stand. Bis in die 1970er Jahre hinein dominierten Arbeiten zu klassischen literarischen Texten das Feld. Studien zu anderen Themen waren eher die Ausnahme. Dies hat sich inzwischen glücklicherweise geändert, sodass auch wir eine zunehmende Pluralisierung des eigenen Faches erleben, in dem gegenwärtig beispielsweise Games Studies und Gender Studies eine wichtige Rolle spielen. Umgekehrt haben diese neuen Trends jedoch dafür gesorgt, dass ältere Forschungsbereiche nicht mehr als en vogue gelten.

Ein Beispiel für ein solches Relikt der japanologischen Forschung scheint das Studium meijizeitlicher Literatur zu sein. Galt dieses lange Zeit als Dauerbrenner des Fachs, hat sich im Rahmen der Planung eines bevorstehenden Symposiums gezeigt, dass national sowie international nur noch wenige Forscherinnen und Forscher explizit zu diesem Thema arbeiten. Umso erfreuter sind wir, dass sich unter dem Titel Crossing the Borders of Modernity: Fictional Characters as Representations of Alternative Concepts of Life in Meiji Literature (1868-1912) siebzehn Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland vom 10. bis 11. Januar 2020 an der Universität zu Köln zusammenfinden werden, um ihm zumindest in kleinem Rahmen ein Comeback zu ermöglichen.

Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung soll die Frage nach der literarischen Präsenz der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse sein, die in Japan in Folge der von den USA forcierten Landesöffnung von 1854 stattgefunden haben. Dabei wird es vordergründig nicht um die Suche nach bloßen fiktionalen Abbildern der neuen Lebenswirklichkeit gehen, sondern vielmehr um das Herausarbeiten alternativer Lebensentwürfe, denen man in literarischen Texten der Meiji-Zeit begegnet. Welche Herausforderungen sahen Autorinnen und Autoren angesichts des rapiden Wandels von einer feudalen Agrargesellschaft hin zu einer modernen Industrienation auf das Individuum zukommen? Welche Handlungsoptionen zeigten sie ihren Leserinnen und Lesern in ihren Texten auf? Welche Bedeutung ist hierbei dem vermehrten Kontakt mit dem Ausland beizumessen?

Neben dieser thematischen Ausrichtung der Veranstaltung soll im Hinblick auf das an der Japanologie der Universität zu Köln angesiedelte DFG-Projekt zu den Figuren in den frühen Texten des japanischen Autors Nagai Kafū (1879–1959) auch eine theoretische Schwerpunktsetzung erfolgen. Hierzu wird ein weiterer Fokus des Symposiums auf die zu untersuchende Anbindung der behandelten Themen an bestimmte Figurenkonzeptionen gelegt. Gibt es wiederkehrende Motive und Figurentypen, welche dabei halfen, alternative Lebensentwürfe abseits propagierter Ideale zu formulieren? Welche Rolle spielt hierbei die Figurenkonstellation, das heißt das Zusammenspiel und die Gegenüberstellung verschiedener Figurentypen? Wie wirkte sich die häufig zu beobachtende Gleichsetzung von Autorenbiografie und Figurenwelt auf das Rezeptionsverhalten der Leserinnen und Leser aus? Fungierte Literatur in der Meiji-Zeit nur als Bestätigung hegemonialer Diskurse oder konnte sie subversives Potential in Gestalt von Gegendiskursen entfalten?

Das Symposium wird am 10. und 11. Januar 2020 im Neuen Senatssaal des Hauptgebäudes der Universität zu Köln stattfinden. Interessierte sind herzlich zur Teilnahme eingeladen und können die Programmdetails der Veranstaltungshomepage entnehmen.

Titel: Crossing the Borders of Modernity: Fictional Characters as Representations of Alternative Concepts of Life in Meiji Literature (1868-1912)

Datum: 10.-11. Januar 2020

Ort: Universität zu Köln
Hauptgebäude – Neuer Senatssaal
Albertus-Magnus-Platz 1
50931 Köln

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Japanisch lesen

Auf Japanisch lesen zu lernen, ist aufgrund des abweichenden Schriftsystems für Lernende eine besonders herausfordernde Aufgabe. Während man beim Lesen in den meisten europäischen Fremdsprachen zumindest auf die lateinischen Buchstaben oder ein zahlenmäßig sehr überschaubares anderes Alphabet zurückgreifen kann und so vor allem die Erkennung von Rechtschreibmustern oder Morphemen im Mittelpunkt steht, muss für das Japanische erst einmal die Grundlage für eine sehr aufwändige Mustererkennung geschaffen werden.

Dekodiert werden müssen zunächst die beiden Silbenschriften Hiragana und Katakana, die jeweils 46 Grundzeichen enthalten und deren Zahl sich durch die Ausstattung mit diakritischen Zeichen (dakuten ゛und handakuten ゜) sowie durch die Kleinschreibung der Silbenzeichen ya や, yu ゆ und yo よ zur Palatisierung des Vokals i (so wird z. B. die Silbe ki き durch die Kombination mit einem nachfolgenden, kleingeschriebenen ya ゃ zur Silbe kya きゃ) bzw. des Silbenzeichens つ zur Verdoppelung eines nachfolgenden Konsonanten auf jeweils etwas mehr als 100 Laute erweitert. Jedes Zeichen hat hier i. d. R. genau einen Lautwert.

Wesentlich aufwändiger gestaltet sich allerdings der Erwerb der aus dem Chinesischen übernommenen Schriftzeichen, der Kanji. 2010 hat die japanische Regierung eine Liste mit 2.136 Zeichen und 4.288 Lesungen vorgelegt, die Jôyô-Kanji-Liste, die als Richtschnur für den Gebrauch in offiziellen Dokumenten dient. Diese Zeichen bestehen im Schnitt aus 10–11 Strichen und haben – im Unterschied zur chinesischen Sprache – meist mehrere Lesungen. Hier zeigt sich deutlich der hohe Anspruch, der an Japanischlernende gestellt wird.

Während Lesen in der Erstsprache erst nach der Erwerb der gesprochenen Sprache beginnt, läuft dies bei der Fremdsprache normalerweise zeitgleich. Wenn man Japanisch – sei es in der Schule, in der Universität oder in der Erwachsenenbildung – zu lernen beginnt, handelt es sich oft um die dritte, vierte oder gar fünfte Fremdsprache. Lernende haben also hier die Möglichkeit, an bereits vorgelernte Sprachen anzuknüpfen.

Bei distanten Sprachen wie dem Japanischen sind diese Anknüpfungspunkte im sprachlichen Bereich allerdings eher gering. Sie beschränken sich auf das Stratum der aus „westlichen“ Sprachen – vor allem aus dem Englischen – übernommenen Lehnwörter (gairaigo). Bei diesen können Lernende zumindest teilweise erschließen, was sie bedeuten. Gairaigo machen allerdings nur etwa gut 10% des japanischen Wortschatzes aus, für die anderen Lexeme sind Ableitungen aus vorgelernten Sprachen (wenn es sich nicht gerade um Chinesisch handelt) nicht möglich.

Dennoch muss auch Japanisch nicht so gelernt werden, als handele es sich um die erste zu erwerbende Fremdsprache, denn (Lese-)Strategien aus anderen (Fremd-)Sprachen lassen sich auch für Japanisch nutzen. So hilft es, sich vor der Lektüre erst einmal einen Überblick zu verschaffen, worum es in dem Text eigentlich geht, und zu dem Thema bereits vorhandenes Vorwissen zu aktivieren. Bei Texten, die mit außersprachlichen Informationen wie Illustrationen oder anderen Abbildungen versehen sind, können diese betrachtet werden. Solche top-down-Strategien werden im Japanischunterricht vor allem im Bereich der Grundstufe oft nicht ausreichend genutzt, weil der Fokus auf der Dekodierung der Schrift liegt und Lernende Wort für Wort den Text durchgehen und zu verstehen versuchen (bottom-up-Vorgehen). Dennoch ist auch hier schon die Nutzung beider Vorgehensweisen möglich. Ebenso ist in den transversalen Kompetenzbereichen Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz die Anknüpfung an vorgelernte (Fremd-) Sprachen möglich.

Weitere Lesestrategien bestehen darin, diejenigen Wörter, die man bereits versteht oder aus dem Kontext erschließen kann, zu markieren und – falls das Lesen innerhalb des Unterrichts erfolgt – mit eine*m/*r Lernpartner*in über das Verstandene zu sprechen. Erst wenn klar ist, dass ein Wort für das Verstehen des Textes zentral ist, es aber nicht aus dem Kontext erschlossen werden kann, sollte der Griff zum Wörterbuch erfolgen. Daneben helfen das Markieren von Schlüsselwörtern, die Gliederung des Textes in Sinnabschnitte und die Vergabe von Überschriften für diese Abschnitte oder ihre Zusammenfassung dabei, die Aussage und Struktur des Textes zu erfassen.

Natürlich ist es auch wichtig, das Lesen zu üben, um eine gewisse Routine darin zu entwickeln. Gerade für Anfänger eignen sich vereinfachte Lektürebücher (graded reader), die das extensive Lesen (tadoku) fördern. Für Japanisch hat die NPO Nihongo tadoku kenkyûkai eine Vielzahl solcher Bücher herausgebracht. Diese stehen z. T. in der Bibliothek des Ostasiatischen Seminars, können aber auch über die Bibliothek des Japanischen Kulturinstituts entliehen werden. Sie sind komplett mit Lesehilfen (furigana) versehen, und zu jedem Text gibt es auch eine Audioausgabe.

Aber auch für fortgeschrittenere Lernende bestehen Möglichkeiten für das extensive Lesen, solange noch nicht die Originaltexte ohne Hilfsmittel rasch rezipiert werden können. So können Pop-up-Wörterbücher wie yomichan, rikaikun oder rikaichamp als Browsererweiterungen installiert und zur Unterstützung des Lesens genutzt werden. Des weiteren bietet die öffentlich-rechtlich organisierte japanische Rundfunkgesellschaft Nippon Hôsô Kyôkai (NHK) neben ihrem Online-Nachrichtenangebot (NHK News) seit 2012 das Portal NHK News Web Easy an, auf dem zwischen dem Originalbeitrag und einem lexikalisch und grammatisch vereinfachten, kürzeren Text zum selben Thema gewählt werden kann. Neben der möglichen Einblendung der furigana kann man sich auch Eigennamen von Personen oder Institutionen farblich auszeichnen lassen, die oft aus schwer zu lesenden und/oder vielgliedrigen Kanjikomposita bestehen. Auch zu diesen Texten gibt es die Möglichkeit, sich eine Audioaufnahme anzuhören.

Unter dem Schlagwort yasashii Nihongo (leichtes Japanisch) gibt es noch viele andere Seiten im Internet, die hier nicht alle genannt werden können. Weitere Hinweise zum Lesen finden sich aber auf der Portalseite Nihongo-e-na.com.

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Lexikalische Erdbeeren – Nachschlagen in der Edo-Zeit (1603-1868)

Abb. 1

Der japanische Duden
Wenn wir heute für ein bestimmtes Wort das entsprechende Schriftzeichen nicht oder nicht mehr wissen, dann greifen wir automatisch zu einem Lexikon. Wir schlagen dann, beispielsweise im Kôjien 広辞苑, dem so genannten japanischen „Duden“, nach der Lesung des Wortes ichigo (Erdbeere) nach. Dort finden wir, neben einer botanischen Erklärung, natürlich auch die gesuchten Schriftzeichen. Dabei ist für uns die Sortierung der einzelnen Einträge nach dem Alphabet oder besser gesagt nach der 50-Laute-Ordnung des Japanischen (aiueo, kakikukeko usw.) ganz selbstverständlich – denn wie sollte man sonst noch einen Überblick über die scheinbar unendlich vielen Einträge in einem Lexikon bekommen? (vgl. Abb. 1)

 

Mit welchen Kanji schreibt man noch ’mal ichigo?
Wollte man nun in der Edo-Zeit wissen, mit welchen Schriftzeichen das Wort ichigo geschrieben wurde, dann griff man natürlich ebenfalls zu einem Lexikon. Nur dass dieses Lexikon nicht nach dem für uns so „selbstverständlichen“ Ordnungsprinzip aufgebaut war, sondern einer ganz eigenen Logik folgte. Diese Logik mag uns heute „ungewöhnlich“ erscheinen, wurde in Japan aber noch bis in die 1910–20er Jahre hinein für Nachschlagewerke verwendet. Doch wie sahen diese Lexika nun also aus?

 

Abb. 2

Setsuyôshû
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde in einem Kyôtoer Kloster ein neues Lexikon-Genre entwickelt, das programmatisch den Titel setsuyôshû 節用集 trug. Der Titel im Sinne von „eine Sammlung von Wörtern zur zeitsparenden Benutzung“ deutete bereits auf die Absicht hin, den Nutzer*innen die Suche maßgeblich zu erleichtern. Hierfür wurden bestehende traditionelle Nachschlageverfahren miteinander kombiniert. Bis zum Ende des 16. Jahrhundert wurde dieses Lexikon ausschließlich handschriftlich kopiert, revidiert und erweitert. Erst mit dem 17. Jahrhundert begann dann die massenhafte Produktion durch Spezialverlage in Kyôto, Ôsaka und Edo (heutiges Tôkyô) – den drei Verlagshochburgen der Zeit.

 

Abb. 3

A-i-u oder I-ro-ha?
Ein setsuyôshû ist zunächst grob geordnet nach dem Iroha, einer Anordnung der 47 Silben des Hiragana-Alphabets in Form eines Gedichtes, die in Japan seit der Heian-Zeit (794-1185) in Nachschlagewerken weit verbreitet war. Unter den jeweiligen Silbenrubriken (bu 部) „I“, „Ro“, „Ha“ etc. befinden sich dann so genannte Themenfelder (mon 門) wie „Himmel und Erde“ (tenchi 天地), „Speisen und Kleidung“ (ishoku 衣食), „Pflanzen und Bäume“ (kusaki 草木) etc. zur weiteren Unterteilung (vgl. Abb. 2). Je nach setsuyôshû konnte sich das Spektrum dieser Themenfelder auf bis zu 20 verschiedene Kategorien erstrecken. Wie ermittelte man also die Schreibvarianten für ichigo? Zunächst wurde die Rubrik „I“ aufgeschlagen, dann das Themenfeld „Pflanzen und Bäume“ gesucht und anschließend geschaut, ob und wo ein oder mehrere Kanji mit der entsprechenden Lesung ichigo stehen: in unserem Falle 覆盆子 (vgl. Abb. 3). Da es in den Themenfeldern keine weitere Unterteilung der Worteinträge gab und man folglich die Einträge der Reihe nach durchgehen musste, war hier Geduld gefragt. Zugegeben, aus heutiger Sicht scheint dieses Vorgehen recht archaisch und umständlich. Die damaligen Nutzer jedoch waren mit großer Sicherheit an diese Art des Nachschlagens gewöhnt.

 

Abb. 4

Ist „Erdbeere“ gleich „Erdbeere“?
Konnte man sich denn sicher sein, dass ichigo mit den Zeichen 覆盆子 geschrieben wird? Der Blick in ein anderes setsuyôshû offenbart die Schreibung苺 – also mit einem komplett anderen Kanji, wo zuvor noch drei Schriftzeichen verwendet wurden. Erst im Kleingedruckten findet sich ganz am Ende die zuvor in einem anderen Werk ermittelte Variante (vgl. Abb. 4). D.h. je nachdem welche Quellen die Verfasser*innen dieser Nachschlagewerke zu Rate gezogen hatten, unterschieden sich die vorgeschlagenen Kanji für das entsprechende Wort. Erst in den verschiedenen Neuauflagen dieser Werke wurden dann diese Wortbestände immer weiter revidiert und nivelliert, bis sich eine gewisse Standardisierung der Verschriftlichung abzuzeichnen begann. Ausgefallene Schreibweisen gehörten dann ab einem gewissen Punkt der Vergangenheit an.

 

Abb. 5

Setsuyôshû als Wissensspeicher
Heutzutage kennen wir etwas mehr als 800 verschiedene setsuyôshû-Titel. Über einen Zeitraum von rund 550 Jahren waren setsuyôshû „das“ Referenzwerk für korrektes Schreiben in Japan. Sie dienten als Wissensspeicher für die unterschiedlichsten Nutzer*innen und fungierten gleichzeitig als eine Art Schmelztiegel für die unterschiedlichsten Schreibtraditionen – wie eben auch im Falle des Wortes ichigo. Am Ende eines langen Raffinierungsprozesses bildeten die setsuyôshû die Basis für die Verschriftlichung des modernen Japanischen, wie wir sie aus den modernen Lexika kennen. Auch wenn wir heute ichigo nicht mehr als 覆盆子 schreiben, so sollten wir zumindest doch wissen, dass wir die Reduktion der Fülle an früheren möglichen Schreibvarianten japanischer Begriffe auf ein überschaubares Maß mitunter den Bemühungen von setsuyôshû-Verfasser*innen verdanken.

 

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Worteinträge nach der 50-Laute-Ordnung im Genkai 言海 (1886). Digitalisat von der Kokkai toshokan.

Abb. 2: Hauptrubrik „I“ mit dem ersten Themenfeld „Himmel und Erde“ (tenchi 天地) im Onna setsuyô(shû) mojibukuro 女節用(集)文字嚢 (1721/1762). Digitalisat von der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Abb. 3: Schreibweise ichigo 覆盆子 im Onna setsuyô(shû) mojibukuro. Digitalisat von der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Abb. 4: Schreibweise ichigo 苺 im Otoko setsuyôshû nyoi hôju taisei 男節用集如意宝珠大成 (1716/1736). Digitalisat von der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Abb. 5: Beispiele diverser setsuyôshû. Quelle: https://www1.gifu-u.ac.jp/~satopy/ogatabons.jpg

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