(Lebens-)Geschichten und Geschichte: Bericht über das Lehrprojekt „Biographien in der japanischen Nachkriegszeit“

Die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit in Japan ist seit Jahrzehnten nicht nur ein beliebter Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten, sondern auch ein kontinuierlich präsentes Thema in der Öffentlichkeit. Der zunehmende geschichtsrevisionistische Trend der japanischen Regierung entfesselt auf nationaler sowie auch internationaler Ebene regelmäßig kontroverse Debatten, welche in der Forschung aufgegriffen und diskutiert werden. Die Biographieforschung kann dabei als eine fruchtbare Methode die Perspektive auf die Nachkriegszeit erweitern.

Im Sommersemester 2022 haben Teilnehmende des BA-Seminars „Von Aggressoren, Opfern und Verlierern: Biographien in der japanischen Nachkriegszeit“ unter der Leitung von Dr. Chantal Weber im Rahmen eines Lehrprojekts Biographien zu verschiedenen historischen Persönlichkeiten untersucht und ihre Ergebnisse in eigenen Texten online veröffentlicht. Das Projekt kann als ein weiterer Versuch gewertet werden, mit einem multiperspektivischen Ansatz die Vergangenheitsbewältigung in Japan zu erfassen und sie mit einer Auswahl von Biographien aus der Nachkriegszeit auf ihren Ursprung zurückzuverfolgen, da der Umgang mit der Kriegsvergangenheit dort beginnt, wo der Krieg zur Vergangenheit wird. Doch das Ziel des Lehrprojekts geht ebenso wie die darin dargestellten Lebensgeschichten weit darüber hinaus. Es werden nämlich Biographien von Menschen untersucht und vorgestellt, welche den Krieg zwar erstmals als ihre Vergangenheit verarbeiten mussten, ihn aber auch bereits zuvor als ihre Zukunft erwartet und als ihre Gegenwart erfahren haben. Zudem verbindet diese Personen, welche hinsichtlich ihrer Berufe, gesellschaftlichen Stellung und politischen Einstellung zunächst sehr unterschiedlich erscheinen, auch die spärliche Zuwendung, die ihnen in der Forschung zuteilwird. Mit der Feststellung dieser Gemeinsamkeiten war die erste Hürde zur Konzeption des Projekts überwunden: Nämlich die Frage, ob eine Auswahl verschiedener, wenig bekannter Biographien unter einem Thema zusammengestellt und erkenntnisbringend erforscht werden kann.

Für die Studierenden war das Projekt in vielen Aspekten eine neue Herausforderung, da sie nicht nur Erkenntnisse aus der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Biographien und ihrer Kontextualisierung gewonnen haben, sondern auch einen ersten Einblick in bis dahin unversuchte und womöglich auch unterschätzte Arbeitsprozesse erhalten konnten. Alle Teilnehmenden haben sicherlich eigene individuelle Erfahrungen gesammelt und daraus unterschiedliche Lehren für sich gezogen. Es gab jedoch auch einige Erkenntnisse, welche für alle Teilnehmenden relevant sind:

  • Keine Prüfung, sondern eine Geschichte

Es war nicht für jeden einfach, die übliche Herangehensweise bei der Anfertigung
von Hausarbeiten oder Aufsätzen abzulegen und eine neue Einstellung zum Schreiben von wissenschaftlichen Texten einzunehmen. Die meisten Studierenden sind bei ihren Arbeiten darum bemüht, ihr inhaltliches und methodisches Wissen unter Beweis zu stellen, denn schlussendlich werden die Texte in der Regel nur von den Dozierenden gelesen. Bei dem Lehrprojekt haben sich die Studierenden selbstverständlich auch an wissenschaftliche Richtlinien gehalten, doch es ging nicht darum, eine Prüfungsleistung zu erbringen, sondern fesselnde (Lebens-)Geschichten zu erzählen, welche veröffentlicht wurden – das musste erst verstanden werden.

  • Die Verantwortung einer Publikation

Diese erste Erkenntnis leitet über zu einer weiteren: Die Beiträge werden unter dem eigenen Namen publiziert. Sie sind online für jeden zugänglich und lassen sich wie jede wissenschaftliche Arbeit der eigenen Person als Urheber*in zuordnen. Damit ging mehr Verantwortung einher, da diesmal keine gute oder schlechte Note auf dem Spiel stand, sondern der eigene bleibende Abdruck in der Wissenschaft. Diese Einsicht erhöhte zwar einerseits den Druck, brachte jedoch andererseits auch den Ehrgeiz und Willen hervor, eine gute und überzeugende Leistung zu erbringen.

  • Teamarbeit

Der Erfolg dieser Leistung war vor allem von einer guten Zusammenarbeit abhängig, was für einige Studierende eine große Umstellung bedeutete. Es ist spannend, wenn zunächst gemeinsam Ideen formuliert werden und jede Meinung gleich gewichtet wird. Doch die Umsetzung dieser Ideen birgt einen gewissen Aufwand und mehr Verantwortung als anfangs erwartet wurde. Die Strukturierung der eigenen Beiträge, das gemeinsame Verfassen von zusammenhängenden Texten, die Vereinbarung und Einhaltung von Fristen, gegenseitige und mehrfache Korrekturen, Problemlösungen im Plenum – all das erforderte viel Rücksicht und eine gute Abstimmung, was für viele eine neue Situation darstellte.

Solche Herausforderungen, Umstellungen und Verantwortungen verhelfen schlussendlich dazu, eigene und andere Leistungen aus einer neuen Perspektive zu betrachten und sich womöglich auch neu zu orientieren. Lehrprojekte wie diese bringen nicht bloß eine frische Abwechselung ins Studium, sondern verschaffen auch wertvolle und vielleicht einmalige Einblicke in die Arbeitsweisen in der Wissenschaft. Auch wenn unterschiedliche Erfahrungen und Eindrücke aus dem Web-Projekt „Biographien in der japanischen Nachkriegszeit“ mitgenommen werden, so steht am Ende eine gemeinsame Leistung und ein gemeinsamer Erfolg, den die Teilnehmenden allen Interessierten mit Freude auf der Projekt-Webseite vorstellen möchten.

(Dieser Text wurde von Yaren Gülsoy, Master-Studentin der Japanologie, verfasst.)

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18. Deutschsprachiger Japanologentag

© Vu Thuy Doan Hunyh

Vom 24. bis 26. August richtete das Institut für Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf den 18. deutschsprachigen Japanologentag aus. Die ursprünglich für August 2021 geplante Tagung wurde aufgrund der Coronasituation um ein Jahr verschoben und fand 2022 – dem 50. Jubiläumsjahr des Japanologentages – nun als reine Online-Veranstaltung statt. Dieses Format ermöglichte durch den Wegfall der örtlichen Gebundenheit gleichzeitig auch einem größeren Personenkreis die Teilnahme.

Wie bereits in den Vorjahren umfasste das Programm disziplinär ausgerichtete Sektionen und thematische Panels. In den annähernd 200 Vorträgen zeigte sich deutlich die große Vielfalt des Faches, sodass für alle Interessierten etwas dabei war.

Da ich zum ersten Mal an einem Japanologentag teilnahm, war ich umso gespannter darauf zu sehen, wie sich eine solche Tagung gestaltet. Mitunter war es allerdings gar nicht so leicht, sich für nur einen der vielen parallel laufenden Vorträge zu entscheiden. Zwar lag mein Fokus für den Bericht in diesem Blog auf den Vortragenden der Universität zu Köln, doch versuchte ich gleichzeitig auch, in möglichst vielen verschiedenen Sektionen vorbeizuschauen, um mir einen breiten Überblick zu verschaffen und die Stimmung des Japanologentages in seiner Gesamtheit mitnehmen und einfangen zu können.

Nachdem der Vortrag von Prof. Monika Unkel krankheitsbedingt abgesagt werden musste, nutzte ich die Gelegenheit, um mir Prof. em. Eduard Klopfensteins Vortrag zu Tanikawa Shuntarôs Gedichten über das Dichten anzuhören, in dem er sein Publikum ganz textnah an seinen Gedanken teilhaben ließ. Neben solch klassischen Themen waren aber auch äußerst moderne auf dem Japanologentag vertreten. So gewährte uns beispielsweise Dr. Christina Gmeinbauer einen Einblick in ihre mittlerweile abgeschlossene Dissertation und beleuchtete die Konstruktionen weiblicher Protagonistinnen in digitalen Spielen für den japanischen Markt. Auch in den Sektionen Medien und Informations- und Ressourcenwissenschaften wurden Manga, Anime, Visual Novels und Videospiele thematisiert und die Möglichkeiten erörtert, beispielsweise Fanbase-Datensammlungen wissenschaftlich nutzbar zu machen.

Otoko setsuyôshû nyoi hôju taisei 男節用集如意宝珠大成 © Staatsbibliothek zu Berlin

Einen ganz besonders wichtigen Beitrag aus Kölner Sicht stellte der Workshop zu den setsuyôshû 節用集 dar, der die Ergebnisse des DFG-Forschungsprojekts „Zur Genese „Nationalsprachlicher Lexika“ (kokugo jisho) und der Kommerzialisierung von „Wissen“ im Ôsaka des 17./ 18. Jahrhunderts“ präsentierte. Nach einer historischen Einordnung und Einführung in den Gegenstand des Projekts sowie die wissenschaftliche Bedeutung des Genres durch Prof. Stephan Köhn wurde den Teilnehmenden die im Aufbau befindliche Datenbank durch Martin Thomas und Paul Schoppe nähergebracht. Ganz bewusst wurde hierbei nicht nur auf die beiden im Projekt bearbeiteten Werke, Otoko setsuyôshû nyoi hôju taisei 男節用集如意宝珠大成 (1716) und Onna setsuyô mojibukuro 女節用文字袋 (1762), eingegangen, sondern es wurden auch die technischen Erfordernisse und Herausforderungen spezifiziert und mit den Workshopteilnehmern an einer bereits funktionalen Version der digitalen Datenbank gearbeitet, die ihnen zum Testen zur Verfügung gestellt wurde. Das Feedback der Teilnehmenden wird einen wichtigen Impuls für den weiteren Ausbau bieten.

Aber nicht nur durch die offiziellen Programmpunkte, sondern insbesondere auch vor und nach den eigentlichen Vorträgen wurde schnell klar, dass der Japanologentag dem Austausch von Informationen, der Diskussion und der interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb des Fachs dient. Es war den Teilnehmenden deutlich anzusehen, wie viel Freude der wissenschaftliche Dialog ihnen bereitete und vielleicht auch durch die thematischen Gliederungen in den disziplinären Sektionen herrschte mitunter eine ausgelassene Atmosphäre und es war, als würden sich alte Freunde wiedersehen, die sich nach langer Zeit einmal mehr mit Gleichgesinnten über ihre Lieblingsthemen austauschen konnten. In den Pausen stand auf der Plattform wonder.me ein virtuell begehbarer Raum offen, um sich in kleinen oder großen Gruppen oder eigens eingerichteten Nischen zusammenzufinden, um alte oder neue Bekanntschaften zu machen und zu vertiefen, ein wenig zu plaudern oder sich weiter über das soeben Gehörte und Erlebte auszutauschen. Leider kann ein virtueller Raum ein echtes Treffen bei einem Kaffee oder Tee zwischen den Vorträgen natürlich nicht gänzlich ersetzen. Daher entstand im Anschluss an diese oftmals der Eindruck, als könnten sich die Teilnehmenden nur schwer von ihren Gruppen und den dort stattfindenden angeregten Diskussionen und Gesprächen losreißen.

Der deutschsprachige Japanologentag stellt explizit auch eine Gelegenheit für junge Nachwuchswissenschaftler*innen dar, mit erfahrenen Kolleg*innen und Expert*innen auf ihrem Gebiet zusammenzutreffen, Impulse zu erhalten und zu geben, um die Forschungslandschaft der Japanstudien aktiv mitzugestalten und weiterzuentwickeln. Eines der beiden Abschlusspanels „Berufsperspektiven für Absolvent*innen der Japanologie“ machte dies ganz besonders deutlich. Die moderierte Podiumsdiskussion, in der vier Absolventen und Absolventinnen der Japanologie ihren Werdegang und ihre Berufe in ganz unterschiedlichen Feldern in Deutschland wie in Japan vorstellten, zeigte den Interessierten, welch vielfältige Möglichkeiten ein Abschluss in der Japanologie den Studierenden eröffnet.

Der nächste deutschsprachige Japanologentag ist für August 2025 geplant, allerdings sind Modus und Format noch ungewiss. Natürlich hoffen wir alle, dass ein Japanologentag im altbewährten Präsenzformat wieder uneingeschränkt durchführbar sein wird. Die diesjährige Onlinetagung hatte jedoch ihre ganz eigenen Vorteile und ermöglichte auch die ortsunabhängige Teilnahme beispielsweise von Personen aus Japan. Nicht nur aus den offensichtlich rein praktischen Gründen, sondern sicherlich auch im Hinblick auf CO2-Bilanzen und eine nachhaltige Teilnahme wäre es also durchaus zu überlegen, künftige Japanologentage in einer kombinierten Form abzuhalten, um so die Vorzüge von Präsenz- und Onlineveranstaltungen miteinander zu verbinden.

 

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Die Kölner Japanologie stellt sich vor: Teil XII

Name
Jenny Willett

Was wollte ich eigentlich mal werden?
Eigentlich wollte ich schon in der Grundschule Tierärztin werden und setzte mit Feuereifer alles daran, mir dieses Ziel zu erfüllen. Da wurden Fächerkombinationen entsprechend gewählt, Praktika gemacht, beim Tierarzt mitgeholfen und bei OPs assistiert … Allerdings schlugen in Wirklichkeit schon damals zwei Herzen in meiner Brust und die Liebe zu Sprachen und Literatur meldete sich immer mal wieder aus dem Off, insbesondere wenn ich wehmütig die Credits im Abspann eines Videospiels las und mir vorstellte, wie es wäre, wenn dort eines Tages mein Name stände. Als ich schließlich die Zusage zum Tiermedizinstudium buchstäblich in der Hand hielt, entschied ich mich letztlich aus verschiedenen Gründen dann doch dagegen und folgte dem Rat meines ehemaligen Rektors und Französischlehrers, der meine Begabung eindeutig im sprachlichen Bereich sah, eine Karriere als Übersetzerin anzustreben, um irgendwann meinen Namen über den Bildschirm laufen sehen zu können. 

Was mache ich jetzt?
Seit August 2022 bin ich für die Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Japanologie beschäftigt. Neben der Unterstützung der Beauftragten und der Abteilung bei verschiedenen Angelegenheiten werde ich zukünftig die Betreuung dieses Blogs übernehmen. Gleichzeitig habe ich durch meine Anstellung jetzt auch die Chance, mich intensiver auf mein Promotionsvorhaben und die japanologische Forschung zu konzentrieren.

Wie bin ich zu diesem Beruf gekommen?
Nach dem Abitur hatte ich meine Wartezeit auf das Tiermedizinstudium mit einer Ausbildung zur Arzthelferin bei einem Psychiater überbrückt, die mir auch mein Studium finanzieren sollte. Diese Tätigkeit in der Praxis alleine lastete mich allerdings nicht aus und so lernte ich in meiner Freizeit eben Japanisch, damals eigentlich mehr aus einer Laune heraus, weil Sprache und Schrift mir gefielen und vor allem das „alte“ Japan mich irgendwie faszinierte. Der Gedanke, Übersetzerin zu werden, hatte sich dank der aufmunternden Worte meines Rektors allerdings in meinem Hinterkopf eingenistet und so entschloss ich mich mit Erhalt der Zusage, die Tiermedizin sein zu lassen und stattdessen Japanologie zu studieren. Irgendwie konnte ich dann auch das Dekanat und die Dozenten von meiner wachsenden Leidenschaft für Land und Kultur überzeugen und durfte in Tübingen mein Studium beginnen, obwohl das Semester da bereits in vollem Gange war. Bevor ich mein Promotionsstudium begonnen habe, hätte ich allerdings nie gedacht, einmal wirklich an der Uni zu arbeiten, auch wenn mein Vater mich komischerweise irgendwie schon immer genau dort gesehen hatte. 

Was schätze ich an meinem Beruf?
Obwohl ich das Übersetzen nach wie vor liebe und auch noch gern ausübe, hat die reine Freiberuflichkeit mich in meiner Forschung doch stark eingeschränkt. Im Master hat mir mein Aufenthalt in Ise damals enorm bewusst gemacht, wie beflügelnd ein gemeinsames Umfeld mit gleichgesinnten Wissenschaftler:innen sein kann, die für ihr Thema ebenso brennen wie man selbst und mit denen man in regen Austausch treten und Ideen und Gedanken teilen kann. Da ein nicht unerheblicher Teil meiner Tätigkeit hier der wissenschaftlichen Arbeit dient, habe ich nun die Freiheit, mein Wissen zu vertiefen, mich meinen Gedanken und Interessen zu widmen und Fragen nachzujagen, auf die es noch keine zufriedenstellenden Antworten gibt, um meinen eigenen Horizont zu erweitern und die japanologische Forschungslandschaft mitzugestalten, was ich sowohl als Privileg als auch eine große persönliche wie berufliche Chance betrachte.

 

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Hiroshima – Nagasaki – Fukushima: Articulations of the Nuclear. The Case of Japan

Vom 19. bis 21. Mai 2022 organisierte die Japanologie der Universität zu Köln die Abschlusskonferenz des Projektes „Die gespaltene Gesellschaft: Diskursive Konstitution Japans zwischen Atombombe (genbaku) und Atomkraftwerk (genpatsu)“. Das Projekt wird seit November 2018 in Kooperation mit der Universität Leipzig durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Während sich die Leipziger Japanologie unter der Leitung von Prof. Dr. Steffi Richter dem Teilprojekt „Alltagskulturell-bildsprachliche Artikulationen des Nuklearen“ widmet, beschäftigt sich das Team der Kölner Japanologie unter der Leitung von Prof. Dr. Stephan Köhn mit dem Teilprojekt „Literarische Artikulationen des Atomaren“.

Bereits im Sommersemester 2021 hatte – aufgrund von Corona-Einschränkungen digital – im Rahmen des Projektes die Vortragsreihe „Japan’s Split Society Between Genbaku and Genpatsu: Media, Propaganda and Science“ stattgefunden. Daher war das Team in Köln nun besonders darüber erfreut, die abschließende Konferenz des Projektes endlich in Präsenz abhalten zu können.

Unter dem Titel „Hiroshima – Nagasaki – Fukushima: Articulations of the Nuclear. The Case of Japan” präsentierten neben dem Kölner Team, bestehend aus Prof. Dr. Stephan Köhn, Katharina Hülsmann sowie Marie-Christine Dreßen, dreizehn weitere Vortragende aus dem In- und Ausland, ihre Forschungsarbeiten im Rahmen des Projektes bzw. in Bezug auf den thematischen Rahmen.

In Anbetracht des erneuten atomaren Wettrüstens und der Debatten um die Nachhaltigkeit von Kernenergie haben die „Artikulationen des Nuklearen“, die in den einzelnen Vorträgen aus den unterschiedlichsten Perspektiven heraus beleuchtet wurden, eine ganz neue Aktualität und Brisanz erlangt. Die Themen bewegten sich von der Erinnerungskultur rund um die Musealisierung der Atombombenabwürfe – sowie der Darstellung letzterer im Medium Manga oder der Atombombenliteratur (genbaku bungaku) – bis hin zu einer Untersuchung des Diskurses rund um Atombomben und Atomkraft in der Tagespresse der direkten Nachkriegszeit mithilfe der Gordon W. Prange Collection. Dabei spielte auch der künstlerische Umgang mit den Atombombenabwürfen eine Rolle, etwa in der darstellenden Kunst, der Literatur oder im Film. Es sollten Leerstellen aufgezeigt, das Unsichtbare sichtbar gemacht werden. Im Hinblick auf die gesellschaftliche und politische Aufarbeitung der Geschehnisse wurde in den Beiträgen kritisch hinterfragt, was überhaupt thematisiert werden konnte und worüber letztlich geschwiegen werden musste. Denn die Zensurpolitik seitens der US-amerikanischen Besatzung in der direkten Nachkriegszeit (1945–49) erschwerte „Artikulationen des Nuklearen“ in nahezu jeder Hinsicht. Nicht zuletzt wurde auch versucht, Zusammenhänge und Parallelen zwischen den beiden Atombombenabwürfen sowie der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 zu verdeutlichen, beispielsweise im Hinblick auf die mediale Berichterstattung und Erinnerungskultur.

Die Konferenz wurde auch dazu genutzt, zusammen mit den internationalen Gästen eine Exkursion zu einem Ort in Köln zu unternehmen, der die Unmittelbarkeit und Aktualität des Themas vor Augen führt. Gemeinsam wurde die Dokumentationsstätte Kalter Krieg (DOKK) besucht, die sich in der U-Bahn-Haltestelle Kalk Post befindet. Ende der 1970er Jahre gebaut, sollte dieser zivile Schutzraum über 2.000 Kölner BürgerInnen im Ernstfall Schutz bieten, allerdings nicht ohne planerische Mängel. Die vierstöckigen Sitz-Liege-Kombinationen im hinteren Teil des Raumes gaben eine vage Vorahnung, wie es wohl gewesen wäre, hätte es einen solchen Ernstfall gegeben. Zudem wäre eine zweiwöchige Vorbereitungsphase nötig gewesen, in der z.B. Trinkwasser hätte eingelagert werden müssen, um den Schutzraum bezugsfertig zu machen. Im Anschluss an eine Führung durch den Schutzraum fanden zwei der Vorträge direkt dort statt.

Abschließend fanden sich alle Teilnehmenden zu einer Podiumsdiskussion in den Räumen der Universität zu Köln zusammen, um die Inhalte und Perspektiven der drei Konferenztage zu verknüpfen und sich über die zukünftige akademische Auseinandersetzung mit dem Thema des Nuklearen auszutauschen. Geplant ist zudem ein Konferenzband, in dem die Ergebnisse der Tagung festgehalten werden sollen.

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Die Prange-Sammlung Teil 2

Im ersten Beitrag über die Prange-Sammlung wurde ihre Entstehungsgeschichte und der Korpus an Mikrofiches in der 20th Century Media Information Database behandelt. Allerdings stellen diese Mikrofiches bloß einen verhältnismäßig kleinen Teil der Sammlung dar – lediglich Zeitungen und Zeitschriften sind enthalten. Der Großteil, etwa die 71.000 Bücher, ist nach wie vor nur vor Ort einsehbar.

Seit 2005 läuft ein Projekt, um diese Bücher vollständig zu digitalisieren. In der ersten Phase wurden bis 2010 etwa 8.000 Kinderbücher gescannt. Ihre Titel, bibliographischen Angaben und Coverillustrationen können online eingesehen werden, die vollständigen Scans sind allerdings ausschließlich in der Hornbake-Bibliothek in Maryland einsehbar. Im fortschreitenden Digitalisierungsprojekt wird gegenwärtig der Themenbereich Bildung gescannt. Pro Jahr können ungefähr 2.000 Bücher digitalisiert und aufbereitet werden. Wann das Projekt abgeschlossen sein wird, steht deswegen noch nicht fest.

Zensorenkopie eines Wörterbuches mit Beanstandung, Gordon W. Prange Collection, University of Maryland Libraries.
Foto: K. Hülsmann

Aber es sind bereits weitere Teile der Prange-Sammlung digitalisiert. Neben den Printmedien, die den Zensurprozess durchlaufen haben, sind in der Sammlung auch andere Medien enthalten. Auf einige von ihnen kann online zugegriffen werden, wie zum Beispiel auf Poster und kabe shinbun, d. h. informative Aushänge, die der breiten Öffentlichkeit zum Lesen an öffentlichen Plätzen zur Verfügung gestellt wurden. Einsehbar sind diese Plakate und Wand-Zeitungen hier.

Auch kleinere Schenkungen sind in der Sammlung erhalten, wie etwa die Victor E. Delnore Papers, die größtenteils online zugänglich sind. Dabei handelt es sich um Briefe, Fotos und andere Dokumente aus dem Nachlass des Kommandeurs der Alliierten in Nagasaki, Victor E. Delnore.

Delnore war selbst eine interessante Persönlichkeit. Sein Geburtsname war Abdelnour, und er kam als Kind libanesischer Migranten in Jamaika zur Welt. Von dort wanderten seine Eltern in die USA ein, als er zwei Jahre alt war. Die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt er kurz vor seinem achtzehnten Lebensjahr; sich mit verschiedenen Sprachen und Kulturen zu beschäftigen, war für ihn daher ein natürlicher Teil seines Alltags. Genau wie Gordon W. Prange interessierte sich Delnore für russische Geschichte. Prange hatte Deutschland im Rahmen eines Auslandsstudiums an der Humboldt-Universität Berlin in den Jahren 1935/36 kennengelernt, Delnore hielt sich während seines Dienstes für das amerikanische Militär in Deutschland auf – er erwähnt in einem Interview etwa die Erinnerungen an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau. 1946 wurde er dann für die Streitkräfte nach Nagasaki geschickt, wo er bis April 1949 blieb. Die Dokumente der Delnore Papers vermitteln einen lebhaften Eindruck der Besatzungszeit in Nagasaki: von Fotos der Atombombenwolke über private Fotografien von Delnore und seiner Familie bei gesellschaftlichen Anlässen bis hin zu Dankesbriefen der Präfekturverwaltung an ihn, als sich seine Dienstzeit dem Ende zuneigte. Die Victor E. Delnore Papers finden Sie hier.

Die Prange-Sammlung enthält einige dieser privaten Sammlungen amerikanischer Staatsbürger:innen, die zur Besatzungszeit in Japan beschäftigt waren. Ein großer Teil dieser Materialien ist digitalisiert, allerdings nur auf dem Campus der University of Maryland einsehbar. Wenn man jedoch die Prange-Sammlung vor Ort besucht und die betreffenden Dokumente vorbestellt, darf man sogar die Originale anschauen.

Seite eines Fotoalbums im Magazin der Prange-Sammlung, Gordon W. Prange Collection, University of Maryland Libraries.
Foto: K. Hülsmann

Insbesondere private Fotoalben, Postkarten und Einladungskarten vermitteln einen anschaulichen Eindruck davon, wie die Besatzung und ihr Personal zu dieser Zeit lebten. Ein beliebtes Event, das das Kaiserliche Hofamt veranstaltete, war z. B. die Entenjagd auf dem Grundstück des Kaiserpalastes. Zu diesen Jagden wurden üblicherweise Gäste wie Diplomaten und ranghohe Mitglieder der Alliierten eingeladen. Auch Angehörige des Kaiserhofs, wie etwa Prinz Takamatsu, nahmen mitunter an der Entenjagd und am anschließenden Bankett teil.

Der Großteil der privaten Fotos in der Prange-Sammlung sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Aus diesen Bildern sticht die Sammlung der Mary Koehler Slides eindrücklich hervor, da sie in Farbe sind. Mary Koehler war von 1945–1949 als Sekretärin bei den Alliierten tätig. Sie kaufte sich privat eine Farbkamera und dokumentierte ihren Alltag und ihre Ausflüge. Diese Fotos in Farbe zu sehen, erweckt die Geschichte auf ganz andere Weise zum Leben.

Aufgrund dieser wertvollen und anschaulichen Quellen ist die Prange-Sammlung eine wichtige Ressource für die historische Japanforschung. Die in ihr enthaltenen Printmedien decken eine große Themenvielfalt ab, die das Alltagsleben der damaligen Zeit sehr gut abbildet. Deswegen lohnt sich ein Besuch in der Prange-Sammlung für zahlreiche Forschungsprojekte. Üblicherweise bietet das Nathan and Jeanette Miller Center for Historical Studies Reisestipendien für Post-Docs und Doktorand:innen an, um an die University of Maryland zu reisen und in der Sammlung zu recherchieren. Bewerben können sich Kandidat:innen von überall aus der Welt und aus allen Fachrichtungen, aber geschichtswissenschaftliche Projekte sind besonders erwünscht. Wegen der Corona-Pandemie sind diese Reisestipendien zunächst ausgesetzt, sie sollen aber wieder anlaufen, wenn Reisen nicht mehr eingeschränkt sind. Die Liste der bereits geförderten Forschungsprojekte vermittelt einen Eindruck darüber, welche Vielfalt von Forschungsbereichen von einer Recherche in der Prange-Sammlung profitieren kann. Neuigkeiten zur Prange-Sammlung gibt es auch über den Blog der Einrichtung.

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