Lehr-Lern-Materialien für Japanisch als Fremdsprache an Schulen in NRW

In Nordrhein-Westfalen können Schüler*innen an neun Gymnasien Japanisch als Abiturfach wählen, seit dem Schuljahr 2023/24 gibt es auch eine Gesamtschule, an der das möglich ist. Meist beginnen die Schüler*innen ab der Oberstufe damit, nur in Düsseldorf können sie Japanisch ab der Sekundarstufe I als dritte Fremdsprache wählen und in der Oberstufe fortführen.

Seit 2018 arbeiten die ersten Absolvent*innen des Kölner Lehramtsstudiengangs für Japanisch als reguläre Lehrkräfte an Schulen. Um die Unterrichtsbedingungen des Fachs besser einschätzen zu können, wurde daher von Januar 2022 bis Juli 2023 an der Universität zu Köln ein Projekt zu den Lehr- und Lernmaterialien durchgeführt. Monika Unkel und ihre Projektpartnerin Junko Majima, deren Gastaufenthalt an der Universität zu Köln durch die Heinrich Hertz-Stiftung gefördert wurde, besuchten zusammen alle nordrhein-westfälischen Schulen mit Japanisch-Grundkursen, um den Unterricht zu beobachten und die Lehrenden und die Schüler*innen zu den Materialien zu befragen.

Zuerst wurden die Lehrkräfte und Referendarinnen (insgesamt 13) interviewt. Die meisten sind mit den Materialien zufrieden und finden, dass sie gut zum Kernlehrplan passen. Das war insofern überraschend, weil einige davon vor dem Lehrplan von 2014 veröffentlicht wurden und nicht immer eine optimale Passung besteht. Manche Lehrkräfte hätten zwar gern zusätzliche Materialien zur Vorbereitung auf das Abitur, aber ein völlig neues Lehrbuch, das dem Lehrplan komplett entspricht, halten sie nicht für nötig. Weil aber in naher Zukunft neue Lehrpläne für die Oberstufe in Kraft treten werden und einige alte Materialien nicht mehr verfügbar sind, sehen manche auch die Notwendigkeit, neue Lehrmaterialien entwickeln.

In einem zweiten Schritt wurde mit einem Fragebogen ermittelt, wie die Schüler*innen ihr Lehrbuch finden und welche Wünsche sie an ein neues Lehrbuch haben. Dabei wurde deutlich, dass eigens für Schüler*innen erstellte Lehrmaterialien die Motivation auch dann verbessern, wenn das Lehrmaterial an sich graphisch und inhaltlich nicht so ansprechend gestaltet ist. Die Schüler*innen finden es wichtiger, dass die Materialien ihre Interessen und Themen berücksichtigen, als dass sie authentische Texte enthalten. Auch das Design ist für sie nicht so entscheidend, aber sie wünschen sich mehrheitlich farbige und abwechslungsreiche Materialien.

Obwohl die Lehrpläne vor allem darauf abzielen, dass die Schüler*innen gute kommunikative Kompetenzen erwerben und sprachliche Mittel wie Grammatik und Wortschatz dabei nur unterstützend sind, finden die Schüler*innen gute Erklärungen zur Grammatik besonders wichtig. Hier spielt sicherlich auch eine Rolle, welchen Stellenwert die Grammatik in dem jeweiligen Unterricht einnimmt. Da Japanisch aber oft die vierte Fremdsprache ist, die die Schüler*innen erlernen, kennen sie auch Lehrbücher oder Vorgehensweisen aus ihrem Unterricht in anderen Fremdsprachen.

Ansätze zur Mehrsprachigkeit, wie sie vom Council of Europe (2020: 30) im Companion Volume zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen formuliert werden, scheinen für die Schüler*innen nicht wichtig zu sein. Das könnte daran liegen, dass die nordrhein-westfälischen Kernlehrpläne (selbst der 2023 erschienene Lehrplan Englisch für die gymnasiale Oberstufe) keine Ausführungen zur Mehrsprachigkeitsdidaktik oder zu den Synergien beim Sprachenlernen enthalten, sondern sich auf allgemeine Zielbeschreibungen des Fremdsprachenunterrichts wie die Entwicklung individueller Mehrsprachigkeitsprofile beschränken. In Schweizer Lehrplänen hingegen werden die Vorzüge der Mehrsprachigkeitsdidaktik explizit erwähnt.

Insgesamt hat die Untersuchung ergeben, dass sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden mit ihren Materialien sehr zufrieden sind, und es scheint vorerst keine Notwendigkeit zu geben, neue zu entwickeln. Das könnte sich allerdings ändern, wenn die neuen Lehrpläne für Japanisch veröffentlicht werden.

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Schulen mit Grundkurs Japanisch in Nordrhein-Westfalen

Cecilien-Gymnasium in Bielefeld, Cecilien-Gymnasium in Düsseldorf, Landfermann- Gymnasium und Steinbart-Gymnasium in Duisburg, Kaiserin-Theophanu-Schule in Köln, CJD Christophorusschule in Königswinter, Engelbert-Kaempfer-Gymnasium in Lemgo, Gymnasium in den Filder Benden in Moers, Theo-Hespers-Gesamtschule in Mönchengladbach und Anno-Gymnasium in Siegburg.

Daneben gibt es noch eine Reihe von Schulen, die Japanisch als Neigungsfach ab der Jahrgangsstufe 5, als Wahlpflichtfach in der Mittelstufe oder als Arbeitsgemeinschaft anbieten.

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Japans yôkai und ihre Relevanz für die Gegenwart

In den Seminaren der Kölner Japanologie sind sie immer wieder Thema und auch aus der modernen japanischen Popkultur nicht mehr wegzudenken – yôkai 妖怪, Monster und Wesenheiten aus dem japanischen Volksglauben, deren Erzählungen in Japan eine lange Tradition haben. Der Begriff yôkai, dessen Schriftzeichen für das Sonderbare, Mysteriöse oder Unheimliche stehen, hat seine Wurzeln in China und ist heute der gebräuchliche Oberbegriff für unheimliche Wesen oder auch Phänomene, die damit in Zusammenhang gebracht werden. Selbst wenn die meisten Menschen mit diesem Begriff noch nie bewusst in Kontakt kamen, sind ihnen vermutlich viele im Alltag bereits begegnet, während sie z. B. auf der Jagd nach dem neuesten Pokémon durch die Straßen zogen und dabei vielleicht auf ein kleines Vulpix stießen.

New Year’s Eve Foxfires at the Changing Tree, Ōji – Utagawa Hiroshige

Mit der Erfindung neuer Monster zu Unterhaltungszwecken greifen die Erfinder der Pokémon ein Phänomen auf, das bereits in der Edo-Zeit zu beobachten war, als der Künstler Toriyama Sekien 鳥山 石燕 (1712–1788) 1776 in Form der „illustrierten nächtlichen Parade der 100 Dämonen“ (gazu hyakki yagyô 画図百鬼夜行) sein yôkai-Bestiarium in Anlehnung an die damals aufkommenden Lexika und Enzyklopädien anfertigte und in späteren Bänden mit eigens erfundenen Monstern bereicherte. Wie am Beispiel des Fuchs-Pokémons Vulpix, das mit dem kitsune 狐 von einem der wohl prominentesten japanischen yôkai inspiriert wurde, griffen auch Künstler wie Toriyama Sekien seinerzeit auf den reichen Schatz an Überlieferungen und Legenden zurück, um Japans yôkai eine Gestalt zu verleihen und schließlich weiterzuentwickeln.

Während der Edo-Zeit erfuhren diese nämlich geradezu einen Boom, der unser heutiges Bild von den meisten Gestalten des japanischen Volksglaubens nachhaltig prägte. Indem Autoren, Künstler und Gelehrte, die einen großen Einfluss auf die Vorstellung von der Welt hatten, auf die Darstellungen und Erklärungen in Enzyklopädien und Lexika zugriffen und ihr Wissen, auch über yôkai, in einer zugänglichen Form unter das Volk trugen, verbreiteten sich diese rasant. Bald schon waren sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und zierten Spielkarten, Brettspiele, Anhänger oder Nachtlichter und auch auf der Bühne feierten sie ihren großen Auftritt als dämonische Wandelkatzen (bakeneko化け猫) und Totengeister (yûrei 幽霊).

Onoe Kikugoro as the Ghost of Oiwa – Utagawa Kuniyoshi

Die wohl berühmteste Geistergeschichte ist zweifelsohne Tōkaidō Yotsuya Kaidan 東海道四谷怪談, die „Geistergeschichte von Tōkaidō Yotsuya“. Das 1825 uraufgeführte Kabukistück von Tsuruya Nanboku IV 鶴屋 南北 (1755–1829) behandelt das Geschehen um den herrenlosen Samurai Tamiya Iemon und seine Frau Oiwa, die, verraten und durch Gift entstellt, nach ihrem frühzeitigen Tod schließlich als Rachegeist zurückkehrt, um ihre Peiniger zu töten. Zusammen mit dem Tellergeist Okiku aus dem „Telleranwesen von Banchô“ (banchô sarayashiki 番町皿屋敷) und Otsuyu, dem Geist der „Pfingstrosenlampe“ (botan dôrô 牡丹燈籠), zählt Oiwa zu den drei großen Geistern (san-dai-yûrei 三大幽霊) Japans.

The Ghost of Okiku at Sarayashiki – Tsukioka Yoshitoshi

Dass die Geschichten dieser drei Geister noch heute relevant sind, lässt sich in zahlreichen modernen Adaptionen dieser Motive in Medien wie Manga, Anime, Filmen oder Videospielen erkennen. Wer die Erzählungen dieser drei großen yûrei kennt, wird sich zum Beispiel beim Anblick des Brunnens in „Ring“ (ringuリング) oder dessen amerikanischer Variante „The Ring“ an die legendäre Okiku erinnern, die nach ihrem unglücklichen Tod in einem Brunnen fortan das Anwesen und die Lebenden heimsuchte.

Heute haben yôkai ihren Schrecken natürlich größtenteils eingebüßt und nehmen ihren Platz als vielgeliebte Charaktere und Maskottchen (kyara キャラ) ein. Der niedliche kappa 河童 hat zum Beispiel nur noch wenig mit der Kreatur gemein, die in früheren Geschichten in Sümpfen und Flüssen auf Menschen und Pferde lauerte, um ihnen mit dem sogenannten shirikodama 尻子玉 ihren mythischen Sitz der Seele bzw. der Lebenskraft aus dem Anus zu entreißen. Trotzdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass genau diese Ambivalenz im Bild der yôkai stets auch ein wichtiges Merkmal darstellte.

Kappa aus dem „Gazu Hyakki Yagyō“ – Toriyama Sekien

Manch einer mag sich die Frage stellen, warum man sich an Universitäten mit Geistern und Fabelwesen beschäftigt, und tatsächlich wurde dieser Forschungszweig lange Zeit nicht ernstgenommen. Es ist jedoch unumstritten, dass die Beschäftigung mit Mythen und Fabelwesen Aufschluss über die Hintergründe historischer Entwicklungen gibt und dass moderne Werke, die weltweit in großem Umfang rezipiert werden, in ihrer Gesamtheit nur mithilfe der dahinterstehenden Konzepte zu erfassen sind.

Aus diesem Grund beschäftigen wir uns auch in diesem Semester wieder mit den Geistern und Monstern der Edo-Zeit, um mit den Studierenden zu erarbeiten, welchen Platz sie einnahmen, welche historischen und kulturellen Rahmenbedingungen ihre rasante Entwicklung ermöglichten und welche Schlüsse sich daraus über den Stellenwert des Übernatürlichen und auch den Wandel im Umgang mit diesem in der Edo-Zeit ziehen lassen.

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Die Kölner Japanologie stellt sich vor: Teil XIII

Name
Jana Katzenberg

Was wollte ich eigentlich mal werden?
Nach den üblichen Ambitionen in der Dinosaurierforschung schwankte es bei mir zwischen dem Beruf der Lehrerin und dem Wunsch nach einem eigenen Laden – für was genau, das änderte sich eher regelmäßig. Immer im Angebot waren aber Mode und Accessoires, vielleicht ein bisschen Wohndekoration.

Was mache ich jetzt?
Ich arbeite als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ostasiatischen Seminar der Universität zu Köln in der Abteilung Japanologie. Das bedeutet die Konzeption und Durchführung von Seminaren, die Betreuung von Studierenden sowie Organisatorisches, was eben im Institutsalltag so anfällt. Außerdem arbeite ich an meiner Dissertation zur Verbindung von Mode und Stadt in Tokyo.

Wie bin ich zu diesem Beruf gekommen?
In Vorbereitung meiner Zeit nach dem Abi gab es reichliche Überlegungen zu einem Designstudium und ein paar Praktika im Eventbereich – irgendwas Kreatives sollte es werden. In einer Museumsbuchhandlung fiel mir dann aber ein Bildband zu japanischem (Produkt)Design in die Hände und ich was fasziniert: Was man mit diesen Schriftzeichen typografisch alles anstellen konnte! Und die Menschen in Japan hatten Handys, auf denen man lustige kleine Symbole in seine Texte einfügen konnte? Das wollte ich mir genauer anschauen. Über eine Freundin erfuhr ich vom Studiengang Modernes Japan in Düsseldorf. Dort machte ich meinen Bachelor und Master, lernte das Land und die Sprache durch Studium und Reisen grundlegend kennen und konnte für Haus- und Abschlussarbeiten auch schon einigen der Fragen nachgehen, die sich mir so gestellt hatten. Letztendlich entwickelte sich dann meine Faszination für Mode und Gesellschaft zu dem weiter, was mein aktuelles Dissertationsthema an der Universität zu Köln ist.

Was schätze ich an meinem Beruf?
Die Neugierde, die mich zu Japan geführt hat, besteht bis heute. So macht es mir weiterhin sehr viel Spaß, kulturelle Trends und Entwicklungen zu beobachten. Es fasziniert mich, neue Themen und Zusammenhänge auszugraben, die ich verstehen und in einem wissenschaftlichen Kontext weitergeben möchte. Die Interaktion mit den Mitarbeitenden, Kolleg*innen anderswo, und nicht zuletzt den Studierenden hilft ungemein, Querverbindungen zu finden, immer neue Fragen zu stellen und die Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

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Spektakel in der Edo-Zeit

In der Kölner Japanologie beschäftigen wir uns auch mit verschiedenen Themen der Vormoderne, namentlich der Edo-Zeit (1603–1868), in der während der weitgehenden Abschließung des Landes nach außen (sakoku 鎖国) unter der Herrschaft des Tokugawa-Shôgunats vor allem Kultur und Stadtleben eine Blütezeit erlebten.

Ryôgoku-bashi (https://dl.ndl.go.jp/pid/1312588/1/1/)

Ein interessanter Aspekt dieser Zeit sind dabei die sogenannten misemono 見世物, die zum Ende des 17. Jahrhunderts in Edo, dem heutigen Tôkyô, aufkamen. Die Wurzeln dieser Ausstellungen sind allerdings bereits im späten Mittelalter anzusiedeln. Neben den späteren Ballungszentren dieser Spektakel in Asakusa-Okuyama und der Ryôgoku-bashi waren vor allem die Tempelfeste kaichô 開帳, die zwischen drei Tagen und drei Monaten dauerten, ein beliebter Ort für Ausstellungen jeglicher Art.

Ursprünglich wurden während dieser Tempelfeste vornehmlich Reliquien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die teils auch aus anderen Tempeln oder Schreinen des Landes als Leihgabe nach Edo gebracht wurden. Da es sich um Objekte handelte, die sonst im Verborgenen blieben, zogen diese Feste nicht nur Pilger, sondern auch etliche Schaulustige an. Mit leicht auf- und abzubauenden Buden boten die Attraktionen der misemono auch den einfachen Bürgern eine erschwingliche Unterhaltung (selbst die teuren Attraktionen waren um einiges günstiger als z. B. Kabukivorstellungen). Mitunter erinnern sie auch an moderne Jahrmärkte. So fanden dort Ausstellungen von allerlei Sonderbarem statt, aber es wurden dort auch Spielzeug für Kinder oder Süßwaren feilgeboten. Die Hersteller dieser Waren machten mit Tanz- oder Gesangseinlagen auf sich aufmerksam und die Besucher konnten in Schießbuden ihr Glück mit Pfeil und Bogen oder Blasrohren versuchen. Ähnlich wie in westlichen Freakshows wurden außerdem auch ungewöhnliche Menschen oder Tiere zur Schau gestellt, wie zum Beispiel die Dame O-Yome 阿与米, die mit ihren 2,20 m sicher für Aufsehen gesorgt hat, oder ein junger Mann, der das Publikum unterhielt, indem er seine Augäpfel aus den Höhlen treten ließ.

Karakuri-Ningyô (Von I, PHGCOM, CC BY-SA 3.0)

Neben dem offensichtlichen Schaulustigencharakter boten die misemono mit ihren Attraktionen und Ausstellungen den Menschen der Edo-Zeit einen ersten Kontakt mit allerlei Neuerungen und handwerklichen Kunstfertigkeiten, die auch den akademischen Interessen der einfachen Bürger und der Faszination mit der Dokumentation der Natur in Anlehnung an die Wissenschaften der Holländer (rangaku 蘭学) entgegenkamen. Mechanische Schlangen und bewegliche Figuren bewarben bald die Ausstellungen, und Kunstwerke aus Walknochen, Seetang oder Papier wurden mit Licht und Musik gekonnt in Szene gesetzt. Auch die karakuri ningyô 絡繰人形 oder auch iki ningyô 活偶人, mechanische Puppen, wurden häufig als misemono dem begeisterten Publikum zu Unterhaltungs- und Werbezwecken dargeboten.

Fiji-Meerjungfrau (Von Daderot – Own work, Public Domain)

Zusammen mit exotischen Tieren wie Tigern, Stachelschweinen, Kamelen und insbesondere Vögeln aus allen Teilen der Welt (wobei die Betreiber der Buden es nicht immer ganz so genau nahmen und einer der ausgestellten Tiger verdächtig nach einer Hauskatze ausgesehen haben soll) fanden sich dort insbesondere auch (gefälschte) Tierpräparate, wie die noch heute in Sammlerkreisen berühmte Fiji-Meerjungfrau, die aus den Körpern eines Fisches und eines Affen zusammengesetzt oder wie in anderen Exponaten mittels ergänzendem Pappmasché ausgestaltet wurde. Besonders interessante Objekte wie die Kadaver von angespülten oder gestrandeten Walen wurden dabei selbstverständlich auch dem Shôgun präsentiert und eigens in den Garten seiner Residenz transportiert, wo auch Pferdevorführungen für ihn gezeigt wurden.

Zum Ende der Edo-Zeit hin erweiterten zunehmend auch Spukhäuser und Kabinette die Unterhaltungslandschaft, in der insbesondere die Künstler der Kabukibühnen ihre Fähigkeiten im Kulissenbau nutzten, um groteske Ausstellungen unnatürlicher Tode oder geisterhafter Kreaturen in Szene zu setzen, die schnell zu einem großen Publikumsmagnet wurden und Scharen von Touristen auch aus weit entfernten Gebieten in Japan anlockten.

Natürlich dürfen im Rahmen der Edo-misemono auch die zahlreichen aufführenden Künstler nicht ungenannt bleiben, die zum lebhaften Charakter der Stadtkultur beitrugen. Nicht nur die Bettler der Stadt ließen sich allerhand einfallen, um etwas Geld zu verdienen. So gab es ein-Mann-Sumô-Kämpfe und Kabukistücke, bei denen ein Mann mehrere Charaktere spielte, oder es traten Männer auf, die einen Bären darstellten und gegen Geld knurrten und brüllten. Aber es wurden auch Pantomimeaufführungen oder vereinfachten Versionen berühmter Kabukistücke oder Jôrurigesänge gezeigt, so dass den Bürgern allerhand geboten wurde, wodurch auch weniger wohlhabende Menschen an den großen Spektakeln ihrer Zeit teilhaben konnten.

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Bericht aus der Forschungsklasse „Literarisches Übersetzen“

https://www.iudicium.de/katalog/86205-705.htm © iudicium Verlag

Viele Studierende der Japanologie zeigen sich fasziniert von der Aussicht, nach Abschluss des Studiums eine Karriere in der Übersetzung japanischer Literatur zu beginnen. Welche Herausforderungen an dieses Handwerk geknüpft sind und welche arbeitsintensiven Prozesse in eine fertige literarische Übersetzung fließen, ist den meisten dabei jedoch oftmals nicht bewusst und kann eventuell in einer romantisierten Vorstellung dieser sprach- und kulturvermittelnden Tätigkeit untergehen. Gemeinsam mit drei Master-Studierenden widmete sich Stephan Köhn deswegen während der Sommer- und Wintersemester 21/22 in einem zweisemestrigen Lehrprojekt zum Thema „literarisches Übersetzen“ der Kurzgeschichte einer Überlebenden des Atombombenangriffs auf Hiroshima am 06. August 1945. Am Beispiel von Ôta Yôkos 大田洋子 „Flussufer“ (Kawara 河原) sollten so die Arbeitsprozesse und Techniken auf dem Weg zu einer guten literarischen Übersetzung aus dem Japanischen zusammen mit den Problemen und Herausforderungen, die sich dabei stellen, identifiziert und vermittelt werden. Als eine der Studierenden, die an dem Projekt mitgewirkt haben, hat Marie-Christine Dreßen uns einen Einblick in die Arbeitsabläufe auf dem Weg zur Veröffentlichung der Kurzgeschichte gewährt.

Frau Dreßen, als eine von drei Studierenden haben Sie gemeinsam mit Prof. Köhn die Übersetzung erstellt. Wie gestaltete sich der Prozess aus Ihrer Sicht?

Bild von Georgi Dyulgerov auf Pixabay

Frau Dreßen: Für uns als Studierende war es das erste Mal, dass wir uns im Rahmen einer Übersetzung mit einem längeren Text wie dieser Kurzgeschichte auseinandergesetzt haben. Für die alle zwei Wochen stattfindenden virtuellen Treffen wurde jeweils eine Seite vorbereitet und übersetzt, wobei wir Satz für Satz vorgingen, was eigentlich erstmal ganz einfach klingt. Allerdings traten bereits da die ersten Schwierigkeiten für uns auf, weil wir möglichst genau übersetzen wollten und uns Fragen widmen mussten wie der Einhaltung von Satzgrenzen oder der Beachtung von Kommata sowie Haupt- und Nebensätzen, die sich teilweise nur schwer adäquat ins Deutsche übertragen ließen. Das Identifizieren der richtigen deutschen Wörter für die Übersetzung gestaltete sich allerdings tatsächlich als die größte Herausforderung für uns und wurde von den Teilnehmenden als besonders schwierig empfunden. In den Besprechungen kam es dabei immer zu sehr langen Diskussionen, warum z. B. ein gewisses Adjektiv für geeigneter als ein anderes gehalten wurde, sodass wir immer sehr lange am Text saßen.

Welche Hürden und Probleme haben sich Ihnen ganz konkret bei den Übersetzungsprozessen gestellt?

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Frau Dreßen: Ôta Yôko hat eine sehr graphische, mitunter morbide Ausdrucksweise und schreckt nicht davor zurück, Dinge detailreich zu beschreiben, wohingegen sie anderes komplett auslässt und Leerstellen setzt, die für die Lesenden nur durch Einstreuungen abzuleiten sind. Für die Übersetzung haben wir uns hier auch Gedanken gemacht, inwieweit die Autorin Dinge möglicherweise bewusst nicht benannt hat, um der Zensur zu entgehen. Wir mussten uns daher genau überlegen, wie wir mit ihrer teils sehr eigenen Wortwahl umgehen, ob wir diese übernehmen oder auf eine sinngemäße Übersetzung zurückgreifen, die für die Leser und Leserinnen verständlicher ist. Das erforderte eine sehr intensive Beschäftigung mit dem Text auf sprachlicher Ebene und das genaue Hinterfragen, was bestimmte Begriffe oder Satzstellungen vermitteln sollen und warum diese so und nicht anders von der Autorin gewählt wurden. Da es sich um keinen zeitgenössischen Text handelt, finden sich darin natürlich auch viele sprachliche Bilder, die heute nicht mehr gebräuchlich sind und mit denen die Lesenden deswegen nicht vertraut sind. Auch auf dieser Ebene mussten wir uns also in die historische Situation zurückversetzen. Die Protagonistin spricht zudem zum Beispiel sehr höflich, die Männer der Geschichte wiederum ganz anders, was zu dieser Zeit durchaus normal war, denn in den 1940-er Jahren hat man selbstverständlich anders gesprochen, als man es heute tut. Diese Sprachformen ließen sich jedoch nicht ins Deutsche übernehmen und so mussten wir überlegen, ob wir die eher gestelzt klingende Ausdrucksweise der Protagonistin übernehmen wollen oder die Bedeutung übertragen und das, was sie damit ausdrücken wollte, auf andere Weise übersetzen.

Ihre Übersetzung sollte in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden. Änderte das etwas an der Herangehensweise an Ihre Arbeit?

Frau Dreßen: Weil es für uns das erste Mal war, kannten wir die genauen Vorgaben für eine Veröffentlichung im Peer Review nicht wirklich, also haben wir uns an Prof. Köhns Ratschlägen orientiert und uns sehr bemüht, von Anfang an möglichst sorgfältig und genau zu arbeiten. Nachdem wir mit unserer wortgenauen Übersetzung der einzelnen Sätze zufrieden waren, gingen wir abschnittsweise wieder zurück, um den Lesefluss zu überprüfen und sicherzustellen, dass die gewählte Übersetzung in der Zusammenschau dann auch Sinn ergibt. Für die Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift kam es auf eine wortgetreue Übersetzung an, damit diese den Peer Review auch bestehen würde. Als solches ist der Text jetzt vermutlich etwas anstrengender zu lesen, als er es nach einer weiteren Überarbeitung und Glättung für einen geschmeidigeren Lesefluss in einer einzeln veröffentlichten Geschichte gewesen wäre. Wenn eine wortgetreue Übersetzung nicht möglich war, mussten wir Brücken schlagen und zu Umschreibungen greifen, was jedoch natürlich wieder einen Eingriff in den Text bedeutete. Auch das war letztlich Teil des Entscheidungsprozesses speziell für den Peer Review und die Veröffentlichung.

Welchen Eindruck haben Sie in den zwei Semestern insgesamt von der Literaturübersetzung mitgenommen?

Frau Dreßen: Obwohl es sehr spannend war, sich so lange und intensiv mit einem Text auseinanderzusetzen und damit zu arbeiten, war die Übersetzung sehr anstrengend und erforderte viel Feinarbeit. Am Ende waren wir froh, es geschafft zu haben, auch weil wir gemerkt haben, wie viel Arbeit die Veröffentlichung mit sich bringt. Insgesamt habe ich dadurch jetzt einen größeren Respekt für Übersetzende aus dem Japanischen. Diese Arbeit muss einem liegen und verlangt eine große Detailverliebtheit. Auch als Muttersprachler:innen gerieten wir mitunter an unsere Grenzen und mussten häufig den Duden oder andere Wörterbücher konsultieren. Mitunter dachten wir stundenlang darüber nach, ob wir nun dieses oder jenes Wort verwenden sollten. Selbst wenn uns aus Japanologensicht an manchen Stellen, beispielsweise bei einer Kombination aus Adjektiven, die Bedeutung klar war, stellte sich immer noch die Frage, wie diese adäquat ins Deutsche zu übertragen war, was sich als die eigentliche Schwierigkeit bei der Übersetzung herausstellte. In der Gruppe kam es dabei manchmal schon beinahe zu Streitigkeiten, weil gewisse Dinge von jedem anders verstanden wurden. Nicht nur im Japanischen, sondern auch im Deutschen hatten wir mitunter ein anderes Verständnis von gewissen Formulierungen und erkannten hier auch regionale Unterschiede, sodass es selbst unter uns Muttersprachler:innen zu Verständigungsschwierigkeiten im Deutschen kam. Es ist sehr wichtig, sich sowohl in die Ausgangs- als auch die Zielsprache hineinzudenken, um bei der Übersetzung auch die Intention des Originaltextes zu transportieren und dabei trotzdem leserfreundlich zu schreiben. Bei all den kleinteiligen Entscheidungen über die Wortwahl ist es außerdem gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten, wie bestimmte Wörter an anderer Stelle übersetzt wurden.

Vielen Dank, Frau Dreßen, für das Gespräch!

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