Wie die Modewelt ist auch die Wissenschaft stetig wechselnden Trends unterworfen. Die Halbwertszeit akademischer Forschung scheint sich dabei in den vergangenen Jahren immer weiter verkürzt zu haben. Was heute im Zentrum des Interesses der Fachgemeinschaft steht, ist morgen womöglich schon ein alter Hut. Dies erhöht nicht nur den Druck auf Forschende, sich jeder vermeintlich innovativen Idee anzunehmen, sondern führt mitunter auch zu qualitativen Einbußen in der wissenschaftlichen Arbeit, da man sich für das Heranreifen und Ausformulieren eigener Gedanken zu wenig Zeit lässt. Auch die Japanologie bildet hier keine Ausnahme.
Blickt man zurück auf die Geschichte des Faches, so war die Japanologie in ihrem Ursprung eine Philologie im traditionellen Sinne. Das heißt, dass das Studium der Sprache und der Literatur Japans im Fokus stand. Bis in die 1970er Jahre hinein dominierten Arbeiten zu klassischen literarischen Texten das Feld. Studien zu anderen Themen waren eher die Ausnahme. Dies hat sich inzwischen glücklicherweise geändert, sodass auch wir eine zunehmende Pluralisierung des eigenen Faches erleben, in dem gegenwärtig beispielsweise Games Studies und Gender Studies eine wichtige Rolle spielen. Umgekehrt haben diese neuen Trends jedoch dafür gesorgt, dass ältere Forschungsbereiche nicht mehr als en vogue gelten.
Ein Beispiel für ein solches Relikt der japanologischen Forschung scheint das Studium meijizeitlicher Literatur zu sein. Galt dieses lange Zeit als Dauerbrenner des Fachs, hat sich im Rahmen der Planung eines bevorstehenden Symposiums gezeigt, dass national sowie international nur noch wenige Forscherinnen und Forscher explizit zu diesem Thema arbeiten. Umso erfreuter sind wir, dass sich unter dem Titel Crossing the Borders of Modernity: Fictional Characters as Representations of Alternative Concepts of Life in Meiji Literature (1868-1912) siebzehn Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland vom 10. bis 11. Januar 2020 an der Universität zu Köln zusammenfinden werden, um ihm zumindest in kleinem Rahmen ein Comeback zu ermöglichen.
Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung soll die Frage nach der literarischen Präsenz der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse sein, die in Japan in Folge der von den USA forcierten Landesöffnung von 1854 stattgefunden haben. Dabei wird es vordergründig nicht um die Suche nach bloßen fiktionalen Abbildern der neuen Lebenswirklichkeit gehen, sondern vielmehr um das Herausarbeiten alternativer Lebensentwürfe, denen man in literarischen Texten der Meiji-Zeit begegnet. Welche Herausforderungen sahen Autorinnen und Autoren angesichts des rapiden Wandels von einer feudalen Agrargesellschaft hin zu einer modernen Industrienation auf das Individuum zukommen? Welche Handlungsoptionen zeigten sie ihren Leserinnen und Lesern in ihren Texten auf? Welche Bedeutung ist hierbei dem vermehrten Kontakt mit dem Ausland beizumessen?
Neben dieser thematischen Ausrichtung der Veranstaltung soll im Hinblick auf das an der Japanologie der Universität zu Köln angesiedelte DFG-Projekt zu den Figuren in den frühen Texten des japanischen Autors Nagai Kafū (1879–1959) auch eine theoretische Schwerpunktsetzung erfolgen. Hierzu wird ein weiterer Fokus des Symposiums auf die zu untersuchende Anbindung der behandelten Themen an bestimmte Figurenkonzeptionen gelegt. Gibt es wiederkehrende Motive und Figurentypen, welche dabei halfen, alternative Lebensentwürfe abseits propagierter Ideale zu formulieren? Welche Rolle spielt hierbei die Figurenkonstellation, das heißt das Zusammenspiel und die Gegenüberstellung verschiedener Figurentypen? Wie wirkte sich die häufig zu beobachtende Gleichsetzung von Autorenbiografie und Figurenwelt auf das Rezeptionsverhalten der Leserinnen und Leser aus? Fungierte Literatur in der Meiji-Zeit nur als Bestätigung hegemonialer Diskurse oder konnte sie subversives Potential in Gestalt von Gegendiskursen entfalten?
Das Symposium wird am 10. und 11. Januar 2020 im Neuen Senatssaal des Hauptgebäudes der Universität zu Köln stattfinden. Interessierte sind herzlich zur Teilnahme eingeladen und können die Programmdetails der Veranstaltungshomepage entnehmen.
Titel: Crossing the Borders of Modernity: Fictional Characters as Representations of Alternative Concepts of Life in Meiji Literature (1868-1912)
Datum: 10.-11. Januar 2020
Ort: Universität zu Köln
Hauptgebäude – Neuer Senatssaal
Albertus-Magnus-Platz 1
50931 Köln