Wissenschaftliches Vortragen ausprobieren

Foto: June Ueno

Die Japanologie zu Gast im JKI
Eine Woche, nachdem Herr Takaha vom Japanischen Kulturinstitut in der Japanologie zu Gast war, trafen wir ihn im JKI wieder. Denn am 28. und 29. Juli fand dort im Vortragssaal das Symposium „Heritage Around the World“ zum Abschluss des Projekts „Forschungsklasse Welterbe“ statt. Die Studierenden hatten hier die Chance, ihre Forschungsergebnisse in Form von Vorträgen zu präsentieren. Auf der großen Bühne des Kulturinstituts kam dabei gleich auch eine authentische Symposiums-Atmosphäre auf. Die TeilnehmerInnen konnten sich so schon einmal ausprobieren, bevor eventuell einmal ein Vortrag vor Fachpublikum bevorsteht.

Über Planung und Durchführung
Einige Male im Jahr finden Ereignisse im JKI statt, an denen sich die Japanologie beteiligt oder die sie sogar plant. Der gute Kontakt konnte auch für dieses Symposium genutzt werden. Dennoch war es notwendig bereits ein Jahr im Voraus, mit den Planungen zu beginnen, da das Kulturinstitut einen ziemlich engen Jahresplan an Veranstaltungen und Ausstellungen hat. Anlässlich des Symposiums wurde sogar passend die Fotoausstellung zu japanischen Weltkulturerbestätten organisiert. Das Symposium war für alle Interessierte geöffnet, sodass einige Gäste zu den Vorträgen kamen. Die Moderation übernahmen Ulrike Wesch und Sonja Hülsebus, die beiden Mitarbeiterinnen des Projekts. Das abwechselnde Moderieren der einzelnen Panels sorgte für eine lockere Stimmung.

Foto: June Ueno

Der erste wissenschaftliche Vortrag
Bei den meisten RednerInnen war das auch eine Notwendigkeit, da die Aufregung an den Nerven zehrte. Schließlich wurden keine normalen Referate gehalten, sondern auf wissenschaftlichen Niveau Forschungsergebnisse vorgetragen. Da auch der zweite Jahrgang wieder in allen möglichen Ländern der Welt geforscht hat, war das Symposium wie eine Weltreise gestaltet. Von West nach Ost lernten die BesucherInnen einiges rund ums Thema materielles und immaterielles Kulturerbe. Im Vergleich zu Fachsymposien oder –konferenzen haben die Studierenden ihre Vorträge mit vielen Bildern und Videos ausgestaltet, die während und nach den Forschungsphasen im Ausland entstanden sind.

Foto: June Ueno

Von Panama nach Bali
Die Weltreise begann in Panama, im La Amistadt Nationalpark, wo die Naso leben. Laura Marx und Lena Hentschel haben aus ihrem Filmmaterial sogar eine kurze Dokumentation erstellt, die nachträglich noch in der Ausstellung zum Projekt angeschaut werden kann. Weiter über Mexiko und Argentinien ging es nach Großbritannien, wo sich Erini Ntasiou mit der Frage beschäftigte, welche Auswirkungen die Aberkennung des Welterbestatus auf die Bewohner Liverpools haben könnte. Als bislang einziger Fall, in dem der Welterbestatus wieder entzogen wurde, gilt das Dresdner Elbtal. Doch auch Liverpool könnte das Gleiche widerfahren, sollten entsprechende Baupläne der Stadt umgesetzt werden. Nach Sambia, Äthiopien, Südafrika, Jordanien, Iran, Indien und Nepal führte die Reise nach Japan. Zu Kultur und Nachhaltigkeit traditionellen Kunsthandwerks an und um die Burg Shuri forschte Daniel Döbbeler. Über Vietnam und Malaysia ging die Reise schließlich in Indonesien auf Bali zu Ende, wo sich Joti Baggri und Alina Skobowsky mit den traditionellen balinesischen Tänzen beschäftigt hatten.

Foto: June Ueno

Durch Diskussionen lernen
Jeweils zwei bis drei Vorträge wurden in einem Panel zusammengefasst. Nach den einzelnen Panels hatten die Gäste Zeit, ihre Fragen an die RednerInnen zu stellen. Auch dies wird bei richtigen Symposium oftmals so gehandhabt. Anschließende Diskussionen können noch einmal zu neuen Perspektiven und Frageansätzen führen, an die man alleine nicht gedacht hätte. Daher kann wissenschaftlicher Austausch in dieser Form sehr hilfreich sein. Die regelmäßige Teilnahme an Fachkonferenzen und -symposien stellt nicht zuletzt aus diesem Grund für angehende WissenschaftlerInnen einen Gewinn dar.

Foto: June Ueno

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Das Japanische Kulturinstitut zu Besuch

MOK, JKI und die Kölner Japanologie
Ein Vorteil des Standorts Köln ist die geographische Nähe der Japanologie zum Museum für Ostasiatische Kunst (MOK) und zum Japanischen Kulturinstitut (JKI). Beide liegen nur etwa drei Gehminuten von der Japanologie entfernt, direkt am Aachener Weiher und beide bieten Japanbegeisterten regelmäßig vielfältige Eindrücke aus dem Reich der aufgehenden Sonne. Während das MOK des Öfteren Ausstellungen mit Japanbezug arrangiert, steht das Thema Japan im Fokus der Aktivitäten des Japanischen Kulturinstituts bzw. der Japan Foundation – wie der internationale Name lautet. Die Japan Foundation hat in erster Linie den Auftrag, den internationalen Kulturaustausch zu fördern. Hauptsächlich geschieht dies über die sogenannten „drei Säulen“: Kultur, Sprache und Forschung.

Foto: Aus dem Vortrag von TAKAHA Hiromitsu

Das Japanische Kulturinstitut
Ein Blick in das Programmheft des Kulturinstituts spiegelt diese drei Schwerpunkte wider. Japanisch-Sprachkurse werden regelmäßig in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen angeboten. Außerdem finden Fortbildungsseminare im Bereich Fachdidaktik Japanisch statt. Im allgemein zugänglichen Bereich (Foyer, Treppenhaus und 1. Etage) sind immer wieder wechselnde Ausstellungen zu bewundern; seien es beispielsweise Werke zeitgenössischer Künstler oder Kunstschätze der Samurai. Darüber hinaus werden regelmäßig Filmabende, sowie eine bunte Mischung aus kulturellen Veranstaltungen, wie Lesungen, Konzerte, Tänze und vieles mehr organisiert. Was den Bereich Forschung betrifft, so schreibt die Japan Foundation regelmäßig Stipendien aus, um den intellektuellen Austausch zu fördern. Außerdem werden z.B. in Kooperation mit Universitäten Konferenzen oder Symposien zu diversen Forschungsfeldern organisiert. Im Großen und Ganzen lassen sich die Aktivitäten der Japan Foundation daher mit denen des deutschen Goethe Instituts vergleichen.

Japanische Kulturpolitik
Im Rahmen des Seminars „(World)Heritage und Kulturpolitik Japans“ beschäftigten sich die Studierenden unter anderem mit der Rolle der Japan Foundation innerhalb der japanischen Kulturpolitik. Die Japan Foundation ist im japanischen Außenministerium angesiedelt und fällt dort in den sogenannten Bereich der „Public Diplomacy“. Ein aktuelles Beispiel, das die japanische Kultur- und  vor allem Außenpolitik für die Japanforschung interessant macht, sind die derzeitigen Vorbereitungen der Olympischen Spiele 2020 in Tôkyô. Schaut man sich die offiziellen Werbespots der japanischen Regierung anlässlich der bevorstehende Spiele an, kommt man gar nicht drum herum, hier angestrengte Darstellungen in Frage zu stellen. Nicht zuletzt die von Premierminister ABE Shinzô, der sich in Super Mario verwandelt.

Foto: Aus dem Vortrag von TAKAHA Hiromitsu

Politik und Kulturpolitik
Dass die Regierung die Gelegenheit der Olympischen Spiele nutzt, um Japan als einflussreiche und vor allem technologisch hoch moderne Nation in Szene zu setzen, ist alles andere als verwunderlich. Doch wie sieht es außerhalb Japans aus? Reproduzieren repräsentative Einrichtungen wie die Japan Foundation diese Bilder einfach oder lassen sie kritische Stimmen zu?

Das JKI zu Gast
TAKAHA Hiromitsu, der stellvertretende Direktor des JKIs in Köln, hat in seinem Gastvortrag im Rahmen des oben genannten Seminars über die Japan Foundation, ihre Geschichte und Aktivitäten referiert. Überraschend war vielleicht für manche von der relativen Freiheit in der Programmgestaltung zu erfahren. Die Leitlinie des japanischen Außenministeriums muss nicht unbedingt verfolgt werden, weshalb Gespräche wie etwa mit dem Regisseur FUNAHASHI Atsushi, der regierungskritische Filme zum Thema Fukushima drehte, durchaus möglich sind. Solche Veranstaltungen mögen vielleicht wiederum von regierungsnahen Politikern oder Diplomaten gerügt werden. Doch gänzlich verhindert werden können sie nicht, weshalb die Japan Foundation einen wertvollen Beitrag zur Wahrnehmung Japans im Ausland leisten kann.

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Ein Manga gegen das Vergessen – Hadashi no Gen

Am 6. und 9. August 2017 jähren sich die Abwürfe der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Wie jedes Jahr werden in Japan Liveübertragungen von den Gedenkfeierlichkeiten im staatlichen Fernsehen NHK gezeigt. Zudem wird der eine oder andere bekannte Film wie „Grab der Glühwürmchen“ (Hotaru no haka, 1988) auf einem der zahlreichen privaten Sender gezeigt. Selbst in Deutschland erscheint in den Fernsehnachrichten eine kurze, meist nur wenige Sekunden dauernde Einspielung der Feierlichkeiten aus Japan. Hiroshima und Nagasaki wird weltweit gedacht – zumindest an diesen beiden Tagen.

Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Erinnerungsarbeit in Japan hat der Manga Hadashi no Gen von Nakazawa Keiji (1939–2012) geleistet. Der Publikationsverlauf ist alles andere als „normal“: Zunächst erscheint er nämlich von 1973–74 in Shônen Jump, „dem“ Magazin für action-reiche shônen-Manga. Anschließend wird er von 1975–80 in Zeitschriften der Bürgerrechtsbewegung sowie der Kommunistischen Partei gedruckt, und von 1982–87 schließlich in einer Zeitschrift der japanischen Lehrergewerkschaft veröffentlicht. Ins Deutsche wird das Werk bereits 1982 als „Barfuß durch Hiroshima. Eine Bildergeschichte gegen den Krieg“ im Rowohlt Verlag veröffentlicht. Das ist immerhin der erste ins Deutsche übersetzte Manga! Doch schon nach dem ersten Band wird die Produktion wieder eingestellt. Zwischen 2004 und 2005 erfolgt dann eine erneute Übersetzung des Werkes in vier Bänden unter dem Titel „Barfuß durch Hiroshima“ im Carlsen Verlag. Eine vollständige Übersetzung aller sieben Taschenbücher (tankôbon) steht bislang für das Deutsche noch aus.

Hadashi no Gen ist Unterhaltung und Sachbericht zugleich. Denn Nakazawa hat den Abwurf auf Hiroshima selbst miterlebt und nutzt das Format Manga, um einen Augenzeugenbericht über die Bombe und ihre Folgen zu geben. Hadashi no Gen ist natürlich nicht Nakazawas erster Manga über die Atombombe. Seit 1968 veröffentlicht er verschiedene Kurzgeschichten wie z. B. „Vom schwarzen Regen erwischt“ (Kuroi ame ni utarete, 1968) oder „Ich hab’s gesehen“ (Ore wa mita, 1972). Aufgrund der positiven Resonanz bei den Lesern erhält er dann von dem Verleger von Shônen Jump den Auftrag für die Publikation seines Hadashi no Gen.

Sein Sonderstatus zeigt sich bereits 1975, also nur zwei Jahre nach Publikationsbeginn. Denn die Vereinigung zur Friedenserziehung an den Grund- und Mittelschulen der Präfektur Hiroshima beschließt, Hadashi no Gen als Unterrichtsmaterial einzusetzen. Landesweit folgen weitere Bildungseinrichtungen diesem Beispiel, Statistiken zufolge ist der Manga bald in mehr als 90% der Schul- oder Klassenbüchereien vorzufinden. Kaum ein japanisches Kind ist nicht in seiner Schulzeit mit dem Manga – oder später dem Anime – im Rahmen des Friedensunterrichts oder zumindest durch Pausenlektüre in Kontakt gekommen. Hadashi no Gen prägt wie kein anderes Medium die Wahrnehmung und das Wissen über die Abwürfe im August 1945.

Umso verstörender muss daher die Meldung kurz nach den Feierlichkeiten im August 2013 gewirkt haben, dass aus den Bibliotheken einiger Schulen in der Präfektur Shimane der Manga entfernt werden soll. Die Darstellungen, die nahezu vier Jahrzehnte zur Veranschaulichung im Unterricht gedient haben, werden mit einem Mal als „schädigend“ für die psychische Entwicklung der Kinder eingestuft. In Wahrheit scheint aber der regierungskritische Unterton des Werkes der eigentliche Stein des Anstoßes für viele Kritiker zu sein. Nach einer heftigen, teils landesweit ausgetragenen Kontroverse kommen die Bücher wieder größtenteils zurück an ihren angestammten Platz. Doch für wie lange?

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Kamishibai als Forschungsfeld in der Japanologie

Wenn von japanischer Populärkultur die Rede ist, denken viele sicher sofort an Manga und Anime. Manchmal lohnt sich jedoch auch ein Blick in die Vergangenheit. So ist Kamishibai ein nicht minder spannendes Forschungsfeld. Schließlich gehörte es seit seiner Entstehung Ende der 1920er Jahre bis zum Verlust seiner Anziehungskraft Anfang der 1960er Jahre zu einem der bedeutendsten Unterhaltungsmedien Japans. Doch was ist Kamishibai eigentlich?

Einfach gesagt, handelt es sich bei kamishibai 紙芝居 (Papiertheater) um eine künstlerische Darbietung, bei der von einem Vorführer unter Zuhilfenahme einer Reihe von Bildern, die nacheinander in einem zumeist tragbaren Schaukasten präsentiert werden, eine Geschichte erzählt wird.

Foto: Sonja Hülsebus

Die Vorläufer des Kamishibai sind in verschiedenen Jahrmarktsattraktionen der späten Edo- und frühen Meiji-Zeit (1868–1912) zu sehen. Beispielsweise in den Guckkästen (nozokikarakuri 覗絡繰), großformatigen Apparaturen, bei denen mehrere Zuschauer eine im Inneren ablaufende Geschichte durch an der Seite befindliche Gucklöcher verfolgen konnten. Oder in der japanischen Variante der Laterna Magica (utsushi-e 写し絵).

Da diese Attraktionen jedoch einen hohen Personal- und Materialaufwand erforderten und zudem großes Geschick für die Aufführung vonnöten war, entwickelte man gegen Ende der Taishō-Zeit (1912–1926) das heutige Kamishibai. Dieses konnte problemlos von einer Person aufgeführt werden. Bei der Herausbildung spielte übrigens insbesondere der Umstand eine Rolle, dass nach dem Kantō-Erdbeben (1923), der Shōwa-Finanzkriese (1927) und der Weltwirtschaftskrise (1929) viele Menschen arbeitslos geworden waren. Sie suchten nun eine einfache Verdienstmöglichkeit.

Das Kamishibai bot ihnen diese Verdienstmöglichkeit, vor allem, nachdem die Produktions- und Distributionsprozesse nach und nach standardisiert wurden. So mussten die Vorführer ihre Stücke nicht mehr selbst zeichnen, sondern konnten sich bei einem Händler gegen eine geringe Gebühr einen gedruckten Bildersatz ausleihen. Diesen transportierten sie zumeist auf einem Fahrrad durch die Stadt, wodurch das Stück an einem einzigen Tag an verschiedenen Orten zur Aufführung gebracht werden konnte. Ihr Geld verdienten sie dabei jedoch nicht mit der Vorführung, sondern mit Süßigkeiten, die sie im Vorfeld an das zumeist junge Publikum verkauften.

Diese Form des Kamishibai wird heutzutage allgemein als Straßen-Kamishibai (gaitō kamishibai 街頭紙芝居) bezeichnet. Zu Beginn wurden vor allem Fantasy- und Abenteuergeschichten gezeigt. Darüber hinaus gewann auch das erzieherische Kamishibai (kyōiku kamishibai 教育紙芝居), das zunächst im Unterricht an christlichen Sonntagsschulen als pädagogisches Lehrmittel zum Einsatz kam, stetig an Bedeutung. Je nach Quelle soll es im Jahr 1933 allein in Tōkyō rund 2.000 professionelle Vorführer gegeben haben, die für ein tägliches Publikum von bis zu 800.000 Kindern spielten.

Nach Ausbruch des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges (1937–1945) ereilte das Kamishibai ein ähnliches Schicksal wie viele andere Medien in dieser Zeit: es wurde für den Krieg instrumentalisiert. Zahlreiche patriotische Vereinigungen produzierten staatspolitische Kamishibai (kokusaku kamishibai 国策紙芝居), die Kinder wie Erwachsene gleichermaßen für den Krieg mobilisieren sollten. Darüber hinaus kamen auch Nachrichten-Kamishibai (nyūsu kamishibai ニュース紙芝居) zum Einsatz, die direkt von der Lage an der Front berichteten, jedoch ebenso propagandistischen Inhalts waren.

Seinen zweiten Höhepunkt erlebte das Kamishibai unmittelbar nach dem Ende des Krieges. Erst durch das „elektrische Kamishibai“ (denki kamishibai 電気紙芝居), wie der Fernseher zu Beginn genannt wurde, verlor es zusehends an Einfluss. Seit Mitte der 1960er Jahre ist es nur noch als Randphänomen auf Jahrmärkten oder in Kindergärten zu sehen ist. Neuerdings findet es jedoch auch hierzulande immer mehr Liebhaber, sodass man von einer internationalen Renaissance des japanischen Bildtheaters sprechen kann.

Recherche-Tipp
Dank der zunehmenden Digitalisierungsbestrebungen verschiedener Institutionen wird es darüber hinaus immer leichter, auch an das notwendige Quellenmaterial heranzukommen. So hat beispielsweise das Archiv der Universität Kanagawa einen großen Fundus an Kamishibai aus den Jahren von 1941 bis 1950 digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht:

http://kdarchive.kanagawa-u.ac.jp/archive/html/kngncm_col1.html

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Wasan oder ob man mit Kanji rechnen kann

Um es gleich vorweg zu sagen: Die japanischen Zahlen in Kanji (chinesische Schriftzeichen) eignen sich kaum zum Rechnen. Deshalb hat man in der Nara-Zeit (710-784) und Heian-Zeit (794-1185) bereits die sogenannten sangi (Rechenhölzchen) aus China eingeführt.

Rechenhölzchen – sangi 算木
In Japan benutzte man zum Rechnen mit sangi häufig ein Raster auf Papier, wo die Hölzchen in die entsprechenden Felder für Zehntausend, Tausend, Hundert, Zehn, Eins gelegt wurden; für die Null wurde dann eine Leerstelle belassen. Die vier Grundrechenarten ließen sich problemlos mit sangi meistern. Außerdem gab es Multiplikationstabellen, die zum Einsatz kamen.

Wenn man die Zahlen aufschreiben wollte, mußte man anfangs zwei Farben bereitstellen: Positive Zahlen wurden in Rot geschrieben und negative Zahlen in Schwarz. Da es jedoch kompliziert war, immer zwei Farben zur Hand zu haben, gab es auch die folgende Schreibweise, bei der für negative Zahlen ein Strich durchgezogen wurde. Die Null wurde später in China eingeführt und sicherlich auch nach Japan überliefert. So wurde die Zahl 231 wie folgt geschrieben  und -407 als  widergegeben.

Der japanische Abakus: soroban 算盤
Gerade für Händler waren die sangi jedoch unpraktisch. Sie benutzen daher einen Abakus, der ebenfalls aus China nach Japan kam. Im 17. Jahrhundert fand dann der japanische Abakus, soroban, der etwas anders als der chinesische gestaltet ist, auch in anderen Bevölkerungsschichten Verbreitung. Bis heute wird der soroban in Japan verwendet; es gibt sogar Wettbewerbe und eine offizielle Soroban-Gesellschaft. Eine einheitliche Form erhielt der soroban im Jahr 1920, davor benutzte man verschiedene Varianten.

Grundsätzlich hat der soroban zwei Teile, die durch einen Steg getrennt sind. Die Kugeln oberhalb des Stegs haben den Wert 5, während die 4 Kugeln unterhalb mit dem Wert 1 belegt sind. Mit einer Festlegung der Einheiten Einer, Zehner, Hunderter, Tausender etc. können mittels des soroban alle Grundrechenarten und auch das Wurzelziehen durchgeführt werden.

Wasan – japanische Mathematik
Erst mit der Edo-Zeit (1603-1868) jedoch entstand eine Abstraktion der Mathematik, die über die praktische Anwendung hinausging. Zahlreiche Rechenprobleme wurden in Publikationen veröffentlicht und so einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Die japanischen Mathematiker standen ihren europäischen Zeitgenossen wie Isaac Newton (1642–1736) oder Gottfried Leibnitz (1646–1716) in keiner Weise nach und befassten sich unter anderem mit der Berechnung von Flächen oder von π.

Verbreitung und Verschwinden des wasan 
Wasan erfuhr durch die Etablierung von privaten Schulen im ganzen Land große Verbreitung. Aber auch die Benutzung von ema-Votivtafeln, auf denen mathematische Probleme und Lösungen in Shintō-Schreinen und buddhistischen Tempeln präsentiert wurden, trugen dazu bei, dass wasan bald zum allgemeinen Wissensgut gehörte. Gleichzeitig erfreuten sich Bücher mit mathematischem Inhalt großer Beliebtheit in der Edo-Zeit, und das Lösen von mathematischen Problemen wurde für viele zu einem Hobby.

Mit der Einführung der westlichen Mathematik in der Meiji-Zeit (1868-1912) und vor allem der Einrichtung eines Mathematik-Unterrichts an Schulen nach westlichem Vorbild verschwand das wasan langsam aus der japanischen Gesellschaft.

Wer mehr erfahren möchte, ist herzlich zu einem Vortrag von Chantal Weber am 27.09.2017, 19 Uhr, im Haus der Geschichte in Bonn bei der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Bonn eingeladen.

Literaturhinweise:
NATIONAL DIET LIBRARY: Japanese Mathematics in the Edo Period; abrufbar unter: http://www.ndl.go.jp/math/e/s1/1.html (letzter Zugriff am: 7.3.2017).

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