Weihnachten und Neujahr in Japan

Gibt es in Japan Weihnachten überhaupt? Was macht man da am 24. oder über die Feiertage? Japanolog*innen und Japaninteressierte hören diese Fragen, wenn sie an Weihnachten Freunde oder Familie treffen oder wenn sie sich in dieser Zeit in Japan befinden. Und während sich Antworten und Erwartungen sicherlich nach Ort und persönlichem Umfeld unterscheiden, gibt es dennoch einige breitere gesellschaftliche Entwicklungen, die einen genaueren Blick wert sind.

Das Christentum kam bereits im 16. Jahrhundert nach Japan. Ein von religiösen Aspekten losgelöstes Interesse an Weihnachten entstand aber erst in der Meiji-Zeit (1868-1912): Feierliche Dekorationen wurden als erstrebenswert modern, aber auch schlichtweg verkaufsfördernd angesehen. Ein Unternehmen, das diesen Trend erfolgreich nutzte, war Fujiya 不二家 in Yokohama, ein Lebensmittelhersteller, der für seine Konditorei und Süßigkeiten bekannt ist. Fujii Rin’emon 藤井林右衛門 (1885-1968) führte 1910, im Jahr der Geschäftsgründung, den für den Anlass festlich dekorierten „Christmas Cake“ ein. Diese frühe Form wurde als fruitcake beschrieben, was eine ursprüngliche Orientierung an britischen Weihnachtstraditionen nahelegt.

Christmas Cake
naotakem, via Wikimedia Commons

Seine finale Form als Strawberry Shortcake erlangte der „Christmas Cake“ aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier erfüllte die festliche Torte ihre Funktion als feierliche Speise, die für einen westlichen, amerikanischen Lifestyle und gleichzeitig auch für die wachsenden finanziellen Möglichkeiten eines Landes im Wirtschaftsboom stand. Die Kulturanthropologin Millie Creighton beschreibt sie 1991 als Mitbringsel des Vaters zu Weihnachten, über das sich die Familie und insbesondere die Kinder freuen.

Heute ist der Strawberry Shortcake nicht nur als Emoji 🍰  weltweit präsent, sondern scheint in Japan von einer breiten Mehrheit auch außerhalb der Familie mit Weihnachten assoziiert zu werden. So wirbt Fujiya aktuell nicht nur mit ganzen Torten und Kuchen, teilweise in Kollaboration mit Prominenten wie der Boyband Snow Man, sondern widmet auch eine Kategorie kleinen, weihnachtlichen Törtchen für eine einzelne Person mit dem Motto: Kotoshi no jibun wo homechaô 今年のじぶんをほめちゃおう! Lobe dich dieses Jahr selbst!

Und wie spiegelt sich Weihnachten im japanischen Stadtbild wider? Ist Halloween vorüber, erscheint in Großstädten wie Tôkyô schnell die nächste saisonale Deko. Am auffälligsten ist hierbei sicherlich die Beleuchtung, iruminêshon イルミネーションgenannt.

Guilhem Vellut from Annecy, France, via Wikimedia Commons

Diese kann sowohl privat und im Kleinen als auch beispielsweise durch lokale Einzelhandelsverbände zentral organisiert sein. So werden dann ganze Straßenzüge erhellt und zur Sehenswürdigkeit, ganz wie zur Kirschblüten- oder Herbstlaub-Zeit. Beliebt, und durch Videowalk-Youtuber auch für ein Publikum in aller Welt zugänglich gemacht, sind beispielsweise die Lichterinstallationen in Midtown.

Weihnachtsmärkte sind ebenfalls zunehmend Teil des Stadtbilds. Einige kleinere, wie beispielsweise der Markt in Roppongi oder in Midtown, sind kostenlos – für die wirklich großen, aufwändigen zahlt man aber meist Eintritt.

Dick Thomas Johnson from Tokyo, Japan, via Wikimedia Commons

Ein wenig anders ist auch das Angebot vor Ort. Klassiker wie Glühwein oder heiße Schokolade gibt es zwar, allerdings finden sich beispielsweise in Jingûmae auch viel traditionelle deutsche Küche und Bier. Nicht weiter verwunderlich, werden viele der Stände doch von deutschen Biermarken betrieben. Aus deutscher Sicht ungewohnt ist die aufwändige Präsentation der Gerichte und Getränke mit Weihnachtsmotiven.

Auch abseits der Märkte gibt es einige Besonderheiten bezüglich des Weihnachtsmenüs. Besonders auffällig ist die Präsenz der Fastfood-Kette KFC. Während die Hintergründe der Idee unklar sind, bewirbt die Firma seit 1973 ein spezielles, komplettes Weihnachtsmenü mit ihrem Fried Chicken, Beilagen und Dessert. Egal, ob ihr Ursprung ausländische Menschen auf der Suche nach einem Ersatz für einen US-Weihnachtstruthahn waren oder die begeisterte Reaktion von Kindern auf den verkleideten KFC-Lieferanten, die Werbung ist in der Weihnachtszeit omnipräsent und empfiehlt nachdrücklich eine Vorab-Reservierung des „Christmas Bucket“. Immer untermalt von einem Weihnachtssong von Takeuchi Mariya, sieht man hier einerseits Familien, aber auch Paare oder Freundesgruppen, die ihre Bestellung abholen, um dann zu Hause das Fest mit Fastfood zu begehen.

Die Assoziation von Weihnachten mit frittiertem Hähnchen haben sich mittlerweile auch andere Fastfood-Ketten sowie die Supermärkte und konbini zunutze gemacht. Pizza-Lieferdienste schickten sich in den letzten Jahren ebenfalls an, Weihnachtspartys zu versorgen.

Ein weiterer kommerzieller Aspekt des Festes sind die Geschenke: Hier werden Kinder, aber auch Partner oder Freunde bedacht. In Zeiten gestiegener Lebenshaltungskosten planen Eltern dieses Jahr im Schnitt dafür Ausgaben von ca. 5.600 Yen pro Kind ein. Interessant ist, dass den Umfragen zufolge auch Geldgeschenke von Eltern an Kinder gemacht werden. Dies erinnert an o-toshidama お年玉, Geldgeschenke an Kinder, die traditionell zu Neujahr üblich sind.

kagami mochi
clvs7, CC0, via Wikimedia Commons

Die Tage „zwischen den Jahren“ gehen in Deutschland oft nahtlos in Silvester und Neujahr über. Große Familienbesuche, wie sie hier in dieser Zeit stattfinden, sind in Japan aber häufig erst in den Neujahrstagen geplant. Diese Zeit funktioniert laut Creighton auch als traditioneller Gegenpol zum „importierten“ Weihnachten. Nach dem Fest wird der Schmuck zum 26.12. eilig durch Neujahrsdekorationen ersetzt, um alles rechtzeitig für das neue Jahr vorzubereiten – kurzfristige Deko-Aktionen am 31. sind verpönt. Weihnachtssnacks und -süßigkeiten in den Supermärkten weichen dem kagami mochi 鏡餅, einem Stapel aus zwei oder drei Reiskuchen mit einer Dekoration wie zum Beispiel einer kleinen Bitterorange obendrauf.

Sind alle Vorbereitungen wie der große Hausputz, das Schmücken des Eingangsbereichs mit Kiefernzweigen kadomatsu 門松, dem Aufstellen von kagami mochi und die Vorbereitung der Neujahrsspeisen o-sechi ryôri お節料理 geschehen, beginnt eine überaus ruhige Zeit, die viele im Land zu Hause mit der Familie verbringen. Silvesterpartys mit großem Countdown und Feuerwerk sind kaum zu finden.

Hanetsuki
By Nesnad – via Wikimedia Commons

Es wird ferngesehen oder an Neujahr auch gespielt, traditionelle Spielzeuge wie Kreisel oder hanetsuki  羽根つき, ein japanisches Federballspiel, sind weiterhin mit der Vorstellung von Neujahr verbunden. Haben Fastfood-Anbieter Weihnachten für sich in Beschlag genommen, wird zur Feier des neuen Jahres oft o-sechi ryôri gereicht. Auch diese kleinen, nur zeitaufwändig zuzubereitenden Speisen lassen sich in mehrstöckigen, lackierten Boxen im Kaufhaus oder Supermarkt vorbestellen. Schneller zubereitet sind die extralangen toshikoshi soba-Nudeln 年越し蕎麦. So gestärkt machen sich viele direkt nach Mitternacht am Neujahrstag, spätestens aber in den folgenden Tagen auf den Weg zum hatsumôde 初詣, dem ersten Schreinbesuch des neuen Jahres. Am Morgen des 1. Januar erwarten sie zudem die Neujahrs-Postkarten von Freunden und Bekannten.

Letztendlich macht die breite Vielfalt der Formen, wie Weihnachten und Neujahr in Japan verbracht werden, es unmöglich, alles in einem kurzen Blogpost abzubilden. Interessant wäre es zu untersuchen, wie Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen, mit divergenten Lebensentwürfen und aus verschiedenen Generationen diese Tage verbringen und bewerten. Nicht zuletzt ist auch die zunehmende touristische oder langfristige Präsenz von Menschen aus aller Welt ein Faktor, der zweifellos zukünftig das Begehen dieser Feste beeinflussen wird.

 

Creighton, Millie R.: „Maintaining Cultural Boundaries in Retailing: How Japanese Department Stores Domesticate Things Foreign“. In: Modern Asian Studies 25 (04) (1991), S. 675-709. doi:10.1017/S0026749X00010805

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Modestädte: Paris, London, New York… Tōkyō?

Dick Thomas Johnson, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Weltstädte der Mode kommen auch im Jahr 2024 scheinbar noch sehr euro-amerikazentrisch daher. Begründen lässt sich das sicherlich durch die weiterhin überwiegend weiße, westliche High Fashion. Während ihre Kundschaft und Produktionsstätten weltweit verteilt sind, bleibt das Image unverändert: Luxuslabel wie Louis Vuitton, Burberry oder Prada setzen ganz selbstverständlich auf ihre Herkunft als zentralen Punkt ihrer Markenidentität. Einzelne Kollektionspräsentationen mögen sie zwar kurz in die Welt hinausziehen, die großen Fashion Weeks und Messen versammeln die Industrie aber weiterhin an altbekannten Orten: Paris, London, New York.

Aber Trends werden heutzutage nicht mehr nur von Pariser Laufstegen herab diktiert, sondern entstehen auch organisch auf der Straße, durch Modemagazine und nicht zuletzt das Internet beschleunigt, auch im globalen Austausch. Die Stadt sollte also weiterhin eine zentrale Rolle in diesem Prozess spielen – schließlich ist sie ebenfalls Laufsteg, Foto-Hintergrund und nicht zuletzt auch Produktionsstätte. Wie also steht es um die Modestadt in einer globalisierten, in ständigem Austausch stehenden Welt?

Candida.Performa, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Position einer Metropole wie Tōkyō ist in diesem Kontext einen genaueren Blick wert. Lange Zeit war Japan, und somit auch seine Hauptstadt, in der westlichen Modewelt eine gern genutzte visuelle Abkürzung für Exotik – fremdartige Schnitte und archaisch scheinende Kleidungsstücke, sonderbare Schriftzeichen, in späteren Jahren gerne in Kontrast zum grauen Moloch Tōkyō und seiner hochmodernen Technologie. Mode in Japan war im Gegenzug hauptsächlich gleichgesetzt mit westlicher High Fashion. Designermode wurde im Idealfall importiert, andernfalls nachgeahmt und mit einem möglichst westlich scheinenden Label versehen. Werbegesichter und somit modische Idealfiguren waren weiße Models, körperliche Differenzen wurden als Unzulänglichkeit der japanischen Trägerinnen und Träger angesehen. Die Stadt Tōkyō musste zwangsweise als Laufsteg herhalten, besonders beliebt waren allerdings die Bereiche, die möglichst westlich schienen: breite Alleen, Backsteinbauten, Cafés mit internationaler Klientel und entsprechender Karte.

Bis die Mode in Japan ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelte und begann, sich auf dem Weltmarkt zu präsentieren und durchzusetzen, durchlief sie viele Veränderungen. Ein Weg, diese nachzuvollziehen, ist der Blick auf die Modestadt Tōkyō und ihre vielfältigen Zentren. Zwei prägende Orte, die im Gegenzug natürlich auch von der Mode geprägt wurden, möchte ich hier kurz vorstellen.

Tokyos 23 Sonderbezirke, mit Pins für Ginza und Harajuku

Lage von Ginza (rot) und Harajuku (blau), eigene Bearbeitung – Karte: tokyoship, Public domain, via Wikimedia Commons

Ginza

Die Meiji-Zeit (1868-1912) war eine bedeutende Ära des Wandels in Japan, die durch die rasche Modernisierung und Verwestlichung zahlreicher Aspekte der Gesellschaft gekennzeichnet war. Die Übernahme westlicher Kleidung durch die Elite und das aufstrebende Bürgertum war eines der vielen Symbole für eine Abkehr von Japans Abgeschlossenheit und eine Hinwendung zur Lebensweise der westlichen Industrienationen.

Sowohl durch ihr breites Angebot als auch durch ihre Funktion als Schaufenster, in denen diese Produkte visuell ansprechend dargeboten wurden, entwickelten sich Kaufhäuser zu wichtigen Kontaktpunkten mit dem Spektakel der Moderne.  Anders als ihre Vorgänger, in denen den Kaufwilligen erst auf Nachfrage Waren gezeigt wurden, präsentierten diese Häuser offen in ihren Auslagen, was sie anzubieten hatten. So befähigten sie ihr Publikum zu einem weiteren wichtigen Akt der Moderne – der Erschaffung einer eigenen Identität, eines eigenen Looks.

Weit verbreitet war westliche Bekleidung jedoch noch nicht, zu unpraktisch war sie beispielsweise in einer japanischen Wohnung. Dezidiert moderne Umgebungen wie Kaufhäuser oder Cafés hingegen luden dazu ein, die neuen Stücke zu präsentieren. Ginza, in Tōkyōs Chūō-ku, bot hierfür die perfekte Umgebung. Auch heute noch bekannt für Luxusartikel, Restaurants und Cafés, ließ die japanische Regierung hier ein Modellviertel nach westlichem Vorbild bauen. Anstelle eines geschäftigen Shitamachi-Viertels mit enger Holz-Bebauung trat eine edle Straße mit modernen Annehmlichkeiten wie Gaslampen, Straßenbahn und Geschäftsgebäuden in Ziegelbauweise.

Mogas in Ginza, 1928

Mogas in Ginza, 1928 – Kageyama Kōyō, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Freizeitbeschäftigung des gin-bura 銀ブラ entstand: entspanntes Schlendern auf der Ginza. Kaufhäuser und Cafés zogen alle die an, die sehen und gesehen werden wollten. Auch wenn in der Frauenmode elegante Kimono noch lange nach Ende der Meiji- und dem Beginn der Taishō-Zeit (1912-1926) das Bild dominieren sollten, waren darunter auch modische Trendsetter*innen. Eine neue Kategorie für sich eröffneten die moga der 1920er Jahre – „modern girls“ in Sinne der amerikanischen Flapper: junge Frauen, die unabhängig waren und das moderne Leben in der Stadt genossen, westlich gekleidet und mit Kurzhaarschnitten. Sie wurden literarisch wie auch im Film festgehalten, dienten als Werbefiguren für Kosmetikhersteller wie Shiseidō 資生堂 und verbreiteten das Image der Ginza als Trend-Epizentrum über Tōkyō hinaus.

Dieter Karner, Public domain, via Wikimedia Commons

Dieses Bild hielt sich bis in die Nachkriegszeit hinein, wobei die Hauptdarsteller*innen noch jünger wurden: Die in den 1960er Jahren entstandenen Miyuki-zoku みゆき族 (benannt nach der Ginza-Nebenstraße Miyuki-dōri) und ihre Begeisterung für sportliche, amerikanisch inspirierte Männermode sorgten für Massenaufläufe vor dem Ladengeschäft des Modelabels VAN. Ihre Informationsquelle waren neue Mode- und Lifestylemagazine wie die Heibon Punch 平凡パンチ (Erstausgabe 1964). Die Medien hingegen waren es auch, die sie  als delinquente Jugendgruppe, einordneten. Auch wenn die Jugendlichen nicht viel taten, was diese Vorwürfe gerechtfertigt hätte, störte ihre massenhafte Präsenz die Kundschaft der Ginza dermaßen, dass die Polizei eingriff und sie vertrieb.

Harajuku

Mit den beginnenden 1970er Jahren galt die modische Aufmerksamkeit zunehmend der Jugend: Die Babyboomer wurden erwachsen, zogen in die Städte und strebten nach Neuem. Im Modebereich zeigte sich dies zum einen in vielen neuen, jungen Labeln mit direkterem Draht zum internationalen Markt und seinen Trends, zum anderen aber auch in einer neuen Generation von Kreativen im Hintergrund. Sie ließen die teure Ginza hinter sich und zogen gen Westen: Shibuya und Shinjuku wurden zu Treffpunkten der Jugend.

Omotesandō

Modestraße Omotesandō – 663highland, Public domain, via Wikimedia Commons

Während viele Cafés und Boutiquen um die großen Bahnhöfe herum angesiedelt waren, rückte ein weiteres Viertel in Shibuya-ku in den Fokus: Harajuku bot den Modemacher*innen, aber auch Fotograf*innen, Stylist*innen und weiteren Kreativberufen eine Heimat. Die Mieten waren niedrig, gleichzeitig hatte die Gegend als gehobenes Wohnviertel, das auch der US-Armee zur Unterbringung ihrer höherrangigen Mitglieder diente, ein gewisses internationales Flair. Nach einer Anfangsphase mit klarem Blick gen Westen entwickelte sich aber hier ein eigenes Mode-Ökosystem, dessen Mitglieder den internationalen Blick auf japanische Mode lenken sollten. In den 1980er Jahren schockierten Rei Kawakubo, Issey Miyake und Yohji Yamamoto das Publikum der Pariser Fashion Weeks, während in den 1990er Jahren der Fokus auf Street Fashion gelenkt wurde. Menschen von der Straße, die sich anzuziehen wussten und immer auf dem neuesten Stand waren – die gab es in Harajuku zur Genüge. Internationale Designer bemerkten sie auf ihren Recherchereisen, aber auch über Fotografie-Magazine und einzelne Subkulturen verbreitete sich ihr Ruf weltweit. Das Viertel, aber auch die Modestadt Tōkyō, hatten erstmals die volle internationale Aufmerksamkeit.

Hier kann aus Platzgründen nicht die komplette modische Entwicklung Tōkyōs nachvollzogen werden, daher untenstehend der Verweis auf weiterführende Literatur in unserer Bibliothek. Festzuhalten bleibt aber, dass die Stadt sich zumindest einen Platz in der erweiterten Riege der Modestädte erarbeiten konnte. Luxuslabels aus Paris oder Mailand zeigten auf ihrer ständigen Suche nach dem Neuen in den vergangenen Jahren ein starkes Interesse am Bereich der Street Fashion. Im Zuge dieser Entwicklung konnte Tōkyō punkten: Zahlreiche Kreative, die in Harajuku ihre ersten Modeerfahrungen sammeln konnten, haben mittlerweile Posten als Designer*innen internationaler Labels. Sie reihen sich ein in die wenigen, aber erfolgreichen japanischen Marken, die sich den Respekt des westlichen High Fashion-Systems erarbeitet haben. Wann die Rangliste der Top-Modestädte sich allerdings zugunsten nicht-westlicher Städte verschieben und inwiefern Japan in dieser Entwicklung eine Rolle spielen wird, bleibt aber zu beobachten.

Lektüreempfehlung (verfügbar in der Bibliothek der Japanologie Köln):

Breward, Christopher; Gilbert, David (Hrsg.): Fashion’s World Cities. Oxford, New York: Berg 2006.

Nakamura, Non (Hrsg.): 70′ Harajuku: Non Nakamura presents. Tōkyō: Shōgakukan 2018.

Slade, Toby: Japanese fashion: a cultural history. Oxford, New York: Berg 2009.

Takano, Kumiko; ACROSS henshūshitsu; Sutorīto fasshon 1980-2020: teiten kansokuroku 40-nen no kiroku. Tōkyō: PARCO shuppan 2021.

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Nostalgie für Galapagos-Technologie? Die Geschichte des Handys in Japan

Nicht wenige Menschen sehnen sich angesichts der Informations- und Benachrichtigungsflut, die aktuelle Smartphones mit sich bringen, scheinbar nach einem simpleren Mobilfunkzeitalter. Damals, als man mit dem Handy telefonieren, SMS schreiben und einfache Spiele spielen konnte, war eigentlich alles abgedeckt, was man wirklich braucht, so das Credo. Aber geht es wirklich um reduzierte Funktionen oder spielt der Nostalgiefaktor eine viel größere Rolle?

Eine spannende Perspektive auf dieses Thema kann der Blick nach Japan bieten. Denn während in Europa in den 1990ern und frühen 2000ern 160 Zeichen verschickt oder Wartezeit mit einem minimalen Spiel wie Snake überbrückt wurde, ging das portable Angebot in Japan bereits von E-Mail und Aktienhandel bis zur Wettervorhersage: internetbasierte Anwendungen, die den breiten Markt in vielen anderen Ländern erst mit der Einführung des Smartphones erreichten. Nicht umsonst bekamen Geräte für den japanischen Markt den Spitznamen “gara-kei ガラ携, kurz für Galapagos und keitai 携帯電話 (Mobiltelefon), wurden also mit den abgeschiedenen Galapagos-Inseln und ihren einzigartigen Evolutionen assoziiert.

Aber wie konnte sich dort ein solches Angebot entwickeln und wie sähe heute ein “Nostalgie-Handy” für japanische Nutzende aus?

Generationen von japanischen Mobiltelefonen

Marus, Public domain, via Wikimedia Commons

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Entwicklung mobiler Endgeräte in Japan. Die technischen Anfänge der frei verfügbaren Mobiltelefone unterscheiden sich hierbei nicht allzu sehr von den deutschen: Hüben wie drüben gab es zunächst Autotelefone, die so schwer und teuer waren, dass sie nur im professionellen Bereich Einsatz fanden.

Schnell kamen in Japan kleine Pager hinzu, die man auch hierzulande für die Rufbereitschaft kennt. Klingelte der Pager, musste die angezeigte Nummer von einer der zahlreichen Telefonzellen aus zurückgerufen werden. Bereits hier gab es aber findige Köpfe, die anstelle regulärer Telefonnummern Textnachrichten verschickten, indem sie sich Wortspiele nach dem Prinzip des goroawase  語呂合わせzu Nutze machten.

Als 1993 der 2G-Mobilfunk eingeführt wurde, begann die Zeit des PHS (Personal Handyphone System) sowie des PDC (Personal Digital Cellular). Mobile Telefonie wurde langsam günstiger. Insbesondere der 1994 eingeführte PHS-Standard bot zwar nur eine geringe Reichweite, zeichnete sich aber durch seine Preispolitik, kleine Endgeräte und lange Batterielebensdauer aus. Teilweise wurden die Geräte fast verschenkt, um neue Nutzer zu gewinnen, auch viele Jugendliche wechselten vom günstigen Pager zum PHS.

PDC war anfangs noch sehr teuer, allerdings arbeitete man auch hier unter dem Wettbewerbsdruck durch PHS an einer Kostensenkung. Als im Jahr 1996 die Aktivierungskosten wegfielen und die Geräte nicht mehr gegen eine Kaution vermietet, sondern verkauft wurden, konnte sich dieser höhere Standard endgültig durchsetzen. NTT docomo festigte  so seine Position als Marktführer und begann mit dem weiteren Ausbau der Netze.

Dieser legte den Grundstein für die Einführung des neuen Services i-mode im Jahr 1999, der in Japan den Schritt vom Telefon zum Alleskönner vorgriff, den andere Regionen erst zehn Jahre später durch das Smartphone erfahren würden.

docomo-Spot zur Einführung von i-mode

Da der Markt für Telefonie weiterhin stark umkämpft und darüber hinaus weitestgehend gesättigt war, suchte man nach einem neuen Businessmodell. Der PDC-Standard bot neben Sprachkommunikation auch effektive Datenübertragungsmöglichkeiten. Eine volumenbasierte Abrechnung der Datennutzung machte das Netzwerk für Services wie Push-E-Mail attraktiv. Günstiges, plattformübergreifendes Messaging, das anfangs pro Nachricht bis zu 250 Zeichen erlaubte, war nun möglich und entwickelte sich direkt nach seiner Einführung im Jahr 1999 zum größten Verkaufsargument von i-mode. Zudem fungierte das System als Plattform für Informationsservices, indem von externen Content-Anbietern auf die technischen Beschränkungen der Endgeräte angepasste Seiten ins i-mode-Netzwerk eingestellt werden konnten. Die Preise für die Services waren auf 300 Yen pro Monat beschränkt.

Andere Anbieter zogen nach und führten eigene, ähnlich aufgebaute Plattformen ein. So entwickelte sich das Handyinternet in Japan – weitestgehend abgeschottet vom weltweiten Netz, aber funktional vielfältig ausgestattet und mit breiter Nutzerschaft. Ob persönlicher Blog, Wetterbericht oder Online-Shopping, all das war nun bereits möglich.

Handy-TV 1seg

ピカピカプー, Public domain, via Wikimedia Commons

Netzausbau und technische Weiterentwicklung brachten im Laufe der 00er Jahre neue Services mit sich: Farbdisplays und ins Gerät eingebaute Kameras (2000), GPS und Standortservices wie Navigation (2001), QR-Code Reader (2003), elektronische Zahlungssysteme (2004) sowie sogar Digitalfernsehen (2006, siehe links).

Der nächste technische Schritt zu 3G-Netzwerken wurde zwar stark beworben, allerdings nur zögerlich angenommen. Neue Funktionen wie Videotelefonie konnten teure neue Endgeräte mit schlechteren Batterielaufzeiten einfach nicht ausgleichen. Das von Matsunaga Mari, einer der Entwicklerinnen, „convenience store concept“ genannte i-mode-Plattformkonzept bot bereits genügend Auswahl und Anpassungsmöglichkeiten, um die Nutzenden zufriedenzustellen. In dieser Situation schoben viele den Kauf eines neuen Gerätes länger hinaus als zuvor. Dies änderte sich erst wieder, als Smartphones wie Blackberry und iPhone für frischen Wind in der Branche sorgten.

Das iPhone wurde erstmals im Juli 2008 von Softbank angeboten. Berichten zufolge war der Andrang zu Beginn stark, allerdings störten der hohe Preis sowie fehlende, zuvor alltägliche Funktionen und Services wie emoji oder die beschriebene i-mode-Kompatibilität dieses erste positive Bild und schwächten die Verkäufe ab. Erst als Zugeständnisse an die japanische Nutzerschaft gemacht wurden, brachte dies wirkliche Erfolge.

Während Smartphones auch in Japan heute das Bild dominieren, bieten alle großen Mobilfunkanbieter weiterhin gara-kei-Modelle an. Das Marketing scheint sich mit einem Fokus auf Einfachheit und Sicherheit insbesondere an Senior*innen oder Kinder zu richten – wer die Geräte letztendlich nutzt, bleibt aber unklar.

Offensichtlich ist, dass die Nische weiterhin existiert und in gewissem Maße ihre Eigenständigkeit gewahrt hat, wenn auch die aktuellen Geräte inzwischen auf Android- oder, seltener, KaiOS-Basis funktionieren und mit 4G-Mobilfunk, sowie WLAN-Funktionalität ausgestattet sind. Somit wirken sie äußerlich zwar wie gara-kei-Relikte und können auch so genutzt werden, rein technisch gesehen sind aber auch sie bereits Smartphones. Manche Anbieter führen sie daher unter der neuen Bezeichnung garaho ガラホ, einer Kombination aus gara-kei und Smartphone.
Auch die mobilen Internetservices, die Japan zu seiner eigenen Entwicklung verhalfen, werden auf den neuen Geräten durch Apps ersetzt. Während KDDI bereits 2022 mit der Abschaltung begonnen hat, plant docomo das Ende des 3G-Netzwerks und somit auch seiner i-mode-Angebote für das Jahr 2026.

Welche Rolle bei der Weiterexistenz dieser scheinbaren Smartphone-Vorgänger die Nostalgie spielt und inwiefern diese aufgrund unterschiedlicher Erwartungen und Erinnerungen anders funktioniert als beispielsweise in Deutschland, wäre einen genaueren Blick wert.

Werbespot von docomo zum i-mode-Ende 2026

Lektüreempfehlung (verfügbar im Sofortausleihbereich der Kölner USB-Hauptbibliothek):

Ito, Mizuko; Okabe, Daisuke; Matsuda, Misa (Hrsg.): Personal, Portable, Pedestrian. Cambridge: The MIT Press 2005.

 

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Das japanische Toten- oder Allerseelenfest

Foto von Nguyen TP Hai auf Unsplash

Wer die japanische Twitch- und YouTube-Landschaft verfolgt, dem ist vielleicht aufgefallen, dass gerade jetzt im Sommer vermehrt gruseliger Content dort zu finden ist. Auch das für den japanischen Sommer typische Zirpen der Zikaden oder ein anstehendes Feuerwerk gibt in manch einem Anime oder Videospiel bereits einen Ausblick auf das Thema, das einen hier erwartet – denn anders als im Westen, gehen in Japan die Geister im Sommer umher.

Bereits seit dem Jahr 606 soll das sogenannte O-bon-Fest お盆, das Toten- oder Allerseelenfest, in Japan gefeiert werden. Damals noch nach dem Mondkalender am 15. Tag des siebten Monats, wird es heute je nach Region zu unterschiedlichen Zeiten, teilweise auch mehrfach, gefeiert und entsprechend Juli-, August- oder altes Bon (shichigatsubon 七月盆, hachigatsubon 八月盆 oder kyûbon 旧盆) genannt. Im Grunde handelt es sich bei O-bon um ein buddhistisches Totenfest, das sich vermutlich mit Traditionen und Glaubensvorstellungen, die bereits vor dessen Einführung bestanden hatten, vermischt hat. Insbesondere der Glaube, dass die Seelen der Verstorbenen aus dem Jenseits ano yo あの世 in das Diesseits kono yo この世zurückkehren und die berühmtem Bon-Tänze (bon odori 盆踊り) lassen sich nämlich nur schwerlich durch den Buddhismus erklären und sind in Indien, China oder Korea nicht zu finden.

Foto von Shigeki Wakabayashi auf Unsplash

Die buddhistischen Ursprünge des Fests selbst werden zumeist durch eine Legende um den Mönch Mokuren 目蓮 begründet. Als dieser nämlich seine Mutter in einer Vision in der Hölle der hungrigen Geister gakidô 餓鬼道 erblickte, soll er von Buddha Shakamuni zu ihrer Rettung angewiesen worden sein, am 15. Tag des siebten Monats Speisen für die verstorbenen Ahnen zuzubereiten und sie den Mönchen zu geben, wenn sie aus ihrem dreimonatigen Rückzug zurückkehrten, auf dass sie zur Tröstung der gequälten Seelen die Urabon’e-Zeremonie 盂蘭盆会 durchführen. Aus Freude über ihre Rettung soll Mokuren dann getanzt und so auch die Bon-Tänze ins Leben gerufen haben.

Obwohl O-bon besonders intensiv von Familien begangen wird, in denen es im vergangenen Jahr einen Trauerfall gegeben hat, gilt es ganz allgemein als ein Familienfest und jedes Jahr sind die Reisewellen der in die Heimat Zurückkehrenden um die Zeit vom 13. bis 16. August in den Nachrichten zu verfolgen. Denn obwohl es kein nationaler Feiertag ist, schließen einige Firmen an diesen Tagen und stellen ihre Angestellten frei, damit sie in die Heimat fahren können, um das Fest gemeinsam mit der Familie zu begehen und sich um die Gräber der Verstorbenen zu kümmern.

I, Katorisi, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Wie bereits erwähnt, gehen verschiedenen O-bon-Sitten auf traditionelles japanisches Brauchtum zurück und ranken sich insbesondere um die Reise der Seelen in die diesseitige Welt. Um ihnen diese Reise zu erleichtern, stellen viele japanische Familien ein „Seelenpferd” shôryô uma 精霊馬 auf, auf dem die verstorbenen Angehörigen möglichst schnell in das Diesseits reiten sollen. Für die Rückreise, die sie gemächlich und mit Geschenken beladen antreten sollen, wird ihnen mit dem shôryô ushi 精霊牛 dann ein Lastenrind zur Verfügung gestellt. Repräsentiert werden die beiden durch eine mit Holzstäbchen gespickte Gurke und Aubergine. Damit die Geister der Ahnen auf ihrer Reise nicht vom Weg abkommen, werden traditionell zudem mit Einbruch der Dunkelheit Laternen oder Feuer an den Hauseingängen entzündet, ein mukaebi 迎え火, um sie willkommen zu heißen, und ein okuribi 送り火, um sie wieder zu verabschieden. Ein ganz besonderes Beispiel eines solchen Verabschiedungsfeuers im großen Stil ist das Gozan no Okuribi (Geleitfeuer der fünf Berge 五山送り火) oder auch Daimonji-Fest 大文字 in Kyôto, dessen Feuer als Schriftzeichen und Symbole auf den Hängen der umliegenden Berge entzündet werden und einen unglaublichen Anblick bieten.

佐野宇久井, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Obwohl in der Zeit des Bon-Festes die Geister wandeln, ist es als Familienfest anders als zum Beispiel Halloween nun nicht unbedingt ein Fest mit besonders hohem Gruselfaktor. Dennoch besteht dem Volksglauben zufolge natürlich die Gefahr, dass auch Rachegeister (onryô 怨霊) oder Geister, die keine Familie haben, die sich um ihre Bewirtung und Erlösung kümmert (muenbotoke 無縁仏), die Reise in die Welt der Lebenden antreten und dort für Unheil sorgen könnten. Als eine der Maßnahmen zu ihrer Besänftigung sollen sich daher die humoristischen und heiteren Bon-Kyôgen-Stücke 盆狂言 entwickelt haben, die um das Bon-Fest zu ihrer Unterhaltung aufgeführt wurden. Davon inspiriert fanden auch die suzumi shibai 涼み芝居, die „kühlenden Aufführungen“, mit allerlei Geschichten um Geister, Spuk und Horror ihren Einzug in das Repertoire der Kabukitheater und -schauspieler, damit sie mit ihren meisterhaften Darstellungen und Erzählkünsten den Zuschauenden eine Gänsehaut bereiten und sie so die Hitze und Schwüle des Sommers einen Augenblick vergessen lassen konnten. Ganz im Sinne dieser Stücke werden daher noch heute die heißen Sommermonate um die O-bon-Zeit zum Anlass genommen, sich einen Gruselspaß zu erlauben und ein Geisterhaus (obake yashiki お化け屋敷) aufzusuchen, zu einer Mutprobe an einen Ort aufzubrechen, an dem es spuken soll, oder eben die besagten Inhalte im Fernsehen und auf Streamingdiensten anzusehen, um sich einen kalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen und so für etwas innere Abkühlung zu sorgen.

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Building the Nation: Stadtplanung in der japanischen Moderne (3)

Ground Zero Hiroshima – wie eine Atombombe das Stadtbild veränderte

Autorinnen: Melanie Kania und Çılga Merten

Während des Zweiten Weltkriegs wurden Hunderte von Städten weltweit durch Bomben und Gefechte zerstört. Keine Stadt traf es jedoch so verheerend wie Hiroshima, auf das am 6. August 1945 die erste Atombombe abgeworfen wurde. Die Explosion und das daraus resultierende Feuer vernichteten nahezu jedes Gebäude der Stadt und forderten zehntausende Menschenleben. Die medizinische Versorgung brach vollständig zusammen und Krankheit sowie Verletzungen waren allgegenwärtig. Dennoch begannen die Überlebenden rasch mit dem Wiederaufbau der Stadt.

Wurden zunächst nur provisorische Notunterkünfte errichtet, sahen die Stadtverwaltung und Architekten die Situation als eine Chance, die Stadt von Grund auf neu zu gestalten und wieder aufzubauen. Schon wenige Jahre nach der Zerstörung lag der Fokus der Planung nicht mehr nur auf der Wiederherstellung der Stadt, sondern auch auf der Wahrung der Erinnerung an den Abwurf der Atombombe und letztendlich der Etablierung des Bildes als Stadt des Friedens.

Hierzu wurde ein Architekturwettbewerb ausgelobt, den 1949 der Architekt Tange Kenzô 丹下健三 (1913-2005) gewann. Die Stadtverwaltung hatte genaue Vorstellungen, wie die Stadt aussehen sollte, und machte daher verschiedene Vorgaben – auch was das Budget und verschiedene Gebäude wie eine Friedenshalle und eine Konferenzhalle anbelangte. Tange hatte schon zuvor an den Wiederaufbauplänen der Stadt mitgewirkt und demnach auch entsprechende Kenntnisse dieser Erwartungen. Er bezog die gesamte Stadt in seine Überlegungen ein und legte einen Entwurf vor, der viele Parks, Denkmäler und touristische Anlagen beinhaltete. Der von ihm entwickelte Plan, das Peace Park Project, wird auch als „Tange-Plan“ bezeichnet. Das Gebiet für Friedensdenkmäler und -bauten wurde bei der Umsetzung von Tanges Plänen jedoch deutlich reduziert. Folglich wurde nur ein Teil des Plans tatsächlich umgesetzt, sodass heutzutage die meisten Friedensobjekte im Stadtteil Nakajima zu finden sind.

Das zentrale Element des Projekts, welches auch umgesetzt wurde, war die Errichtung des Hiroshima Peace Memorial Parks oder auch Friedensgedenkparks. Er befindet sich überwiegend nahe dem Epizentrum der Explosion in der Mitte der Stadt auf einer Insel umgeben von einem Fluss. Im Park befinden sich zahlreiche Denkmäler und Gedenkstätten, die an den Schrecken der Atombombe erinnern und dem Wunsch nach Frieden Ausdruck verleihen sollen. Die Anlage ist so aufgebaut, dass drei architektonische Objekte auf einer Linie aufgereiht den Kern des Parks darstellen: Das Friedensgedenkmuseum, welches vor allem Ausstellungsstücke beinhaltet, die die Folgen der Atombombe vergegenwärtigen, das Kenotaph, ein Friedensdenkmal für die Opfer der Atombombe, und der sogenannte Atombombendom (genbaku dômu 原爆ドーム), der sich auf der anderen Seite des Flusses befindet. Diese Ruine ist eines der wenigen Gebäude, welche nicht vollständig von der Atombombe zerstört wurden. Es wurde 1996 als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.

Im neuen Stadtbild des ehemaligen Stadtkerns Hiroshimas lassen sich zwei wichtige Arten von architektonischen Bauten feststellen: Zum einen gibt es die historischen Gebäude, allen voran die Atombombenkuppel, die in dem Zustand bewahrt werden, in dem sie nach dem Abwurf der Atombombe aufzufinden waren. Ihre Hauptfunktion ist es, Teile der Stadt zu memorialisieren, sie also wie ein Artefakt einer vergangenen Zeit zur Erinnerung zu nutzen. Zum anderen gibt es die neuen Gebäude und Denkmäler, die zu einem Großteil von Tange entworfen und in der Folge um neue Bauwerke erweitert wurden. Zu diesen zählen das Friedensgedenkmuseum und das Kenotaph. Diese sind ebenfalls darauf ausgerichtet, an die Vergangenheit und vor allem an die Opfer zu erinnern.

Auch wenn die Größe des heutigen Friedensgedenkparks nicht den ambitionierten Plänen Tanges entspricht, gelang es Hiroshima, das neue Bild der Stadt erfolgreich zu festigen. Die Intention der gesamten Neugestaltung inklusive der Parkanlagen und Museen dient noch immer der Erinnerung und ist eine Aufforderung, den Frieden als oberstes Ziel der Menschheit anzusehen.

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