Ein Manga gegen das Vergessen – Hadashi no Gen

Am 6. und 9. August 2017 jähren sich die Abwürfe der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Wie jedes Jahr werden in Japan Liveübertragungen von den Gedenkfeierlichkeiten im staatlichen Fernsehen NHK gezeigt. Zudem wird der eine oder andere bekannte Film wie „Grab der Glühwürmchen“ (Hotaru no haka, 1988) auf einem der zahlreichen privaten Sender gezeigt. Selbst in Deutschland erscheint in den Fernsehnachrichten eine kurze, meist nur wenige Sekunden dauernde Einspielung der Feierlichkeiten aus Japan. Hiroshima und Nagasaki wird weltweit gedacht – zumindest an diesen beiden Tagen.

Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Erinnerungsarbeit in Japan hat der Manga Hadashi no Gen von Nakazawa Keiji (1939–2012) geleistet. Der Publikationsverlauf ist alles andere als „normal“: Zunächst erscheint er nämlich von 1973–74 in Shônen Jump, „dem“ Magazin für action-reiche shônen-Manga. Anschließend wird er von 1975–80 in Zeitschriften der Bürgerrechtsbewegung sowie der Kommunistischen Partei gedruckt, und von 1982–87 schließlich in einer Zeitschrift der japanischen Lehrergewerkschaft veröffentlicht. Ins Deutsche wird das Werk bereits 1982 als „Barfuß durch Hiroshima. Eine Bildergeschichte gegen den Krieg“ im Rowohlt Verlag veröffentlicht. Das ist immerhin der erste ins Deutsche übersetzte Manga! Doch schon nach dem ersten Band wird die Produktion wieder eingestellt. Zwischen 2004 und 2005 erfolgt dann eine erneute Übersetzung des Werkes in vier Bänden unter dem Titel „Barfuß durch Hiroshima“ im Carlsen Verlag. Eine vollständige Übersetzung aller sieben Taschenbücher (tankôbon) steht bislang für das Deutsche noch aus.

Hadashi no Gen ist Unterhaltung und Sachbericht zugleich. Denn Nakazawa hat den Abwurf auf Hiroshima selbst miterlebt und nutzt das Format Manga, um einen Augenzeugenbericht über die Bombe und ihre Folgen zu geben. Hadashi no Gen ist natürlich nicht Nakazawas erster Manga über die Atombombe. Seit 1968 veröffentlicht er verschiedene Kurzgeschichten wie z. B. „Vom schwarzen Regen erwischt“ (Kuroi ame ni utarete, 1968) oder „Ich hab’s gesehen“ (Ore wa mita, 1972). Aufgrund der positiven Resonanz bei den Lesern erhält er dann von dem Verleger von Shônen Jump den Auftrag für die Publikation seines Hadashi no Gen.

Sein Sonderstatus zeigt sich bereits 1975, also nur zwei Jahre nach Publikationsbeginn. Denn die Vereinigung zur Friedenserziehung an den Grund- und Mittelschulen der Präfektur Hiroshima beschließt, Hadashi no Gen als Unterrichtsmaterial einzusetzen. Landesweit folgen weitere Bildungseinrichtungen diesem Beispiel, Statistiken zufolge ist der Manga bald in mehr als 90% der Schul- oder Klassenbüchereien vorzufinden. Kaum ein japanisches Kind ist nicht in seiner Schulzeit mit dem Manga – oder später dem Anime – im Rahmen des Friedensunterrichts oder zumindest durch Pausenlektüre in Kontakt gekommen. Hadashi no Gen prägt wie kein anderes Medium die Wahrnehmung und das Wissen über die Abwürfe im August 1945.

Umso verstörender muss daher die Meldung kurz nach den Feierlichkeiten im August 2013 gewirkt haben, dass aus den Bibliotheken einiger Schulen in der Präfektur Shimane der Manga entfernt werden soll. Die Darstellungen, die nahezu vier Jahrzehnte zur Veranschaulichung im Unterricht gedient haben, werden mit einem Mal als „schädigend“ für die psychische Entwicklung der Kinder eingestuft. In Wahrheit scheint aber der regierungskritische Unterton des Werkes der eigentliche Stein des Anstoßes für viele Kritiker zu sein. Nach einer heftigen, teils landesweit ausgetragenen Kontroverse kommen die Bücher wieder größtenteils zurück an ihren angestammten Platz. Doch für wie lange?

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