Die Wohnungssuche treibt einen in die Verzweiflung, die Nachbarn nerven oder die eigene Miete wurde wieder einmal erhöht? Da mag bei manchem der Gedanke aufkommen: Ich werfe einfach alles hin und ziehe aufs Land. Da habe ich Ruhe, bin in der Natur und günstiger wird es auch sein. Ein Leben wie in Totoro, das wär’s doch!
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TANAKA Juuyoh (田中十洋), CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons
Schenkt man den sozialen Medien Glauben, ist das gerade in Japan der ideale Plan. Denn Häuser gibt es dort genug: Landesweit existierten laut Zahlen des japanischen Statistikbüros 2023 fast neun Millionen akiya 空き家, also dauerhaft unbewohnte Häuser. 3,8 Millionen von ihnen waren nicht für Verkauf oder Vermietung gelistet, sind also de facto verlassen. Ein solches Haus günstig kaufen, aufpolieren und schon hat man sich seinen Traum vom Eigenheim erfüllt, ohne lange Kredite abstottern zu müssen – das zeigen zumindest zahlreiche Videos und Berichte. Können akiya-Projekte für das Land wirklich Wege aus sozialen Problemen und in ein neues Landleben fernab der engen Mietwohnung sein?
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田村淳, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons
Werfen wir zuerst einen Blick auf die akiya: Die Häuser stehen leer, weil die früheren Besitzer das Leben auf dem Land hinter sich lassen wollten. Oder ältere Hausbesitzer sterben, und jüngere Familienmitglieder erben den Besitz, ohne die Mittel zu haben, ihn zu erhalten. Manchmal wollen sie aber auch einfach nicht zurück aufs Land ziehen. In einigen Fällen machen ein restriktives Erbrecht oder Grundsteuern den Verkauf oder Abriss von akiya finanziell unattraktiv oder gar unmöglich.
Gleichzeitig gelten die leerstehenden Gebäude bei den Anliegern nicht nur als Schandfleck, sondern können zu einer akuten Gefahr werden: Das Noto-Beben von 2024 zeigte erneut, dass baufällige Gebäude zusammenbrechen, Rettungswege blockieren und später auch der Wiederaufbau durch die unklaren Besitzverhältnisse behindert wird. Des Weiteren sind Feuer keine Seltenheit und können in dicht bebauten Gebieten direkt auf die Nachbarschaft übergreifen, zumindest aber Schadstoffe freisetzen. Auch unerwünschte Mitbewohner wie Kakerlaken oder Termiten fühlen sich in den Holzbauten sehr wohl. Der Druck auf die Gemeinden und Eigentümer ist also hoch, etwas gegen den Leerstand zu tun.
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田村淳, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons
Da die in Japan sonst übliche Vorgehensweise – abreißen und neu bauen – bei diesen Gebäuden oft aus rechtlichen Gründen keinen Einsatz finden kann, ist die Renovierung von akiya zu einer Schlüsselstrategie bei den Bemühungen um die Wiederbelebung der ländlichen Gebiete Japans geworden. Gemeinden, die das Potenzial dieser Häuser erkannt haben, haben akiya-Banks eingerichtet – Datenbanken, in denen leerstehende Immobilien zum Verkauf oder zur Miete angeboten werden, oft zu sehr niedrigen Preisen. Einige sind sogar kostenlos, sofern sich die neuen Eigentümer verpflichten, sie zu renovieren und selbst darin zu wohnen.
Für die Gemeinden hat dieser Ansatz mehrere Vorteile. Renovierte akiya bringen neue Bewohner, die zur lokalen Wirtschaft beitragen. Renovierungen helfen gleichzeitig auch, das kulturelle Erbe dieser Regionen zu bewahren; viele akiya sind schöne kominka 古民家, die eine traditionelle japanische Architektur aufweisen, mit Holzbalken und Stroh- oder Reetdächern. Indem sie diese Häuser restaurieren, erhalten die neuen Besitzer nicht nur die Gebäude, sondern auch ein Stück Geschichte.
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Babarracus (talk) (Uploads), CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons
In einigen Gegenden bieten die lokalen Regierungen Zuschüsse für Renovierungen an oder helfen bei der Abwicklung des oft komplizierten Kaufprozesses. Diese Initiativen zielen darauf ab, das Leben auf dem Land attraktiver und zugänglicher zu machen.
Hilfe bei diesem Problem kommt von unerwarteter Seite: Youtuberinnen, Tiktoker und andere Social Media-Nutzer:innen auf der Suche nach neuen, besonderen Themen sehen in den alten Häusern eine Gelegenheit, ihre Renovierungen und Do it yourself-Projekte einem breiten Publikum zu präsentieren. Sie stammen aus Japan und der ganzen Welt und produzieren Inhalte in verschiedenen Sprachen. Die Heimwerker:innen dokumentieren dabei ihre Erfahrungen als frischgebackene Hausbesitzer:innen sowie die Arbeit der lokalen Handwerker, die noch Kenntnisse für das (Wiederauf-)Bauen in solchen alten Häusern besitzen. Auch die Interaktion mit den Anwohner:innen und der Umgang mit der neuen, ländlichen Umgebung ist oft Teil der Videos. Finanzielle Details und Tipps werden ebenfalls geteilt. Die Nutzungspläne für die Häuser sind vielfältig, viele bauen sich und ihrer Familie ihr Traumhaus, während andere Cafés eröffnen, einen Bauernhof oder ein Unternehmen aufbauen. Einige geben als akiya-Unternehmer auch Tipps für das erfolgreiche Investieren in Häuser für Mieteinnahmen oder den Weiterverkauf.
Auch auf die Risiken und Probleme der Renovierungen gehen viele Berichte ein. Oft geht der Erwerb der Immobilien nämlich mit weitaus größeren Kosten als nur dem verführerisch günstigen Preis des Hauses einher. Viele akiya sind alt und wurden jahrzehntelang vernachlässigt, was zu schweren strukturellen Schäden, Termitenbefall und Problemen mit Schimmel geführt hat. Auch veraltete, mittlerweile als gefährlich eingestufte Baumaterialien wie Asbest können für böse Überraschungen sorgen. Viele Bauten sind nicht erdbebenfest, benötigen neue Verkabelung und Rohrsysteme. Selbst wenn die Häuser kostenlos oder zu einem minimalen Preis angeboten werden, können sich die Renovierungskosten so schnell auf mehrere Millionen Yen belaufen.
Ein weiterer Problempunkt ist die eingeschränkte Erreichbarkeit ländlicher Gebiete, die potenzielle Bewohner abschrecken kann. Viele akiya befinden sich in abgelegenen Dörfern mit einer mangelhaften Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, kaum vorhandenen lokalen Annehmlichkeiten für die tägliche Versorgung und begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten. Für jüngere Familien oder Berufstätige kann ein Umzug in diese Gebiete bedeuten, dass sie ihren Zugang zu Karrieremöglichkeiten, Bildung und Gesundheitsversorgung opfern, die oft in Japans Städten konzentriert sind. Dies macht den Umzug für diejenigen, die nicht im Homeoffice arbeiten können oder die auf eine städtische Infrastruktur angewiesen sind, unattraktiv.
Bürokratische und rechtliche Hürden sind ebenfalls ein Hinderungsgrund. Beim Kauf eines akiya muss man sich oft mit komplizierten Gesetzen, unklaren Eigentumsverzeichnissen und uneinheitlichen lokalen Vorschriften auseinandersetzen. So müssen z. B. Gebäude auf Farmland weiterhin als Bauernhöfe betrieben werden, was wiederum die Einbeziehung der entsprechenden Stellen notwendig macht. Insbesondere ausländische Käufer kann der Prozess entmutigen, vor allem wenn sie bei den Interaktionen mit den örtlichen Behörden und Immobilienunternehmen auf Sprachbarrieren oder mangelnde Kompromissbereitschaft stoßen.
Darüber hinaus argumentieren einige Kritiker, dass die akiya-Banks und die damit verbundenen Revitalisierungsinitiativen nicht die eigentlichen Ursachen der Landflucht angehen. Das bloße Wiederbeleben leerstehender Häuser mit neuen Bewohnern löst nicht die umfassenderen Probleme der alternden Bevölkerung, des Mangels an zukunftsfähigen Arbeitsplätzen oder der sinkenden Geburtenraten. Es steht zu befürchten, dass ein ausschließlicher Fokus auf Renovierungsprojekte tiefer liegende strukturelle Probleme nur verdecken, aber langfristig nicht beheben kann.
Akiya-Renovierungen versprechen für Japans ländliche Gebiete neue Hoffnung. Einerseits verhelfen sie alten Häusern zu einer neuen Nutzung und ziehen so auch Menschen an, die vorher nicht auf dem Land gewohnt haben. Durch ihre Restaurierung tragen sie zur Bewahrung des kulturellen Erbes bei und die neuen Bewohner:innen können gleichzeitig Impulsgeber für die lokale Wirtschaft werden. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Initiativen tatsächlich zu dauerhafter Veränderung oder gar einer Umkehr der Land-Stadt-Bewegung führen werden oder nur ein kurzer Trend bleiben. Gleichzeitig bleibt auch das Schicksal alter Häuser in Städten wie Tôkyô zu beobachten: Können sie sich durch Renovierungen und starke Gemeinschaften gegen Redevelopment behaupten, oder verschwinden sie irgendwann aus dem Stadtbild?
Klien, Susanne: Urban Migrants in Rural Japan: Between Agency and Anomie in a post-Growth Society. New York: Sunny Press 2020.
Zahlen des japanischen Statistikbüros zu akiya, Stand: 2023.