Wohnen

Die Lebensqualität eines Menschen steht in erheblichem Maße in Verbindung mit der Wohnsituation. Wohnen ermöglicht Befriedigung derjenigen Bedürfnisse, die als privat oder persönlich gelten. Der Zustand des Wohnens ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er Sicherheit und Rückzugsmöglichkeit bietet, gleichzeitig auch Freiraum für Selbstverwirklichung und die Auslebung privater Wünsche.

Im eigenen Wohnraum kann die Gestaltung des Alltags sowie die Interaktion mit Mitmenschen selbst bestimmt werden. Oftmals gibt der Wohnraum die Struktur des persönlichen und auch des sozialen Lebens vor, wird damit zum (zumindest lokalen) Mittelpunkt des Lebens und ist maßgeblich für Teilhabeprozesse im Sozialraum1.

Die im Fach- aber auch gesellschaftlichen Diskurs besonders präsenten Beschreibungen der Wohnsituation von Menschen mit komplexen Behinderungen scheinen den Merkmalen von „gutem Wohnen“ allerdings grundsätzlich zu widersprechen: Fremd- statt Selbstbestimmung, betreutes statt unabhängiges Wohnen, Angewiesenheit statt Autonimie und Infantilisierung statt Anerkennung als Erwachsene*r.

Der Wohnraum von Menschen mit komplexen Behinderungen ist häufig isoliert vom Lebensumfeld nichtbehinderter Menschen und wird in der Literatur deshalb auch als Parallelgesellschaft bezeichnet. Teilhabe im und durch Wohnen erfordert Möglichkeiten für alltägliche Begegnungen und den Aufbau sozialer Kontakte außerhalb der Einrichtung aber auch das gestalten von Strukturen, in welchen das eigene Wohnen mitbestimmt und beeinflusst werden kann2.

Dennoch zeigen Beispiele aus der Praxis bereits, wie auch für Menschen mit komplexen Behinderung Selbst- und Mitbestimmung der eigenen Wohnsituation ermöglicht werden und Teilhabe an gemeinschaftlichen Wohnprozessen aber auch dem Sozialraum oder der Nachbar:innenschaft ermöglicht werden kann. In unserem Forschungsprojekt möchten wir zudem herausfinden, wie Teilhabe am und durch Wohnen für Menschen mit komplexen Behinderungen verstanden und konkret gestaltet werden kann.

1 Meuth, M. (2017). Theoretische Perspektiven auf Wohnen: Ein mehrdimensionales Wohnverständnis in erziehungswissenschaftlicher Absicht. In: M. Meuth (Hrsg.), Wohn-Räume und pädagogische Orte. Erziehungswissenschaftliche Zugänge zum Wohnen Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. (S. 97–122).

2 Bernasconi, T. & Böing, U. (2015). Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag; Seifert, M. (2006). Pädagogik im Bereich des Wohnens. In: E. Wüllenweber, G. Theunissen & H. Mühl (Hrsg.), Pädagogik bei geistigen Behinderungen. Ein Handbuch für Studium und Praxis (S. 376–393). Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer; Trescher, H. (2017). Zur bürokratischen Überformung der Subjekte. Wohnen in der stationären Alten- und Behindertenhilfe. In: M. Meuth (Hrsg.), Wohn-Räume und pädagogische Orte. Erziehungswissenschaftliche Zugänge zum Wohnen (S. 245–266). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.