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Klimaklagen als gesellschaftliches Korrektiv: Wie Unternehmen das finanzielle Risiko von Klimaklagen unterschätzen – Teil 2

von Chiara Arena* und Raphaël Beermann**

20 Mrd. EUR an geschätzten Schäden im Ahrtal im Jahr 2021, 200 Mio. an geschätzten Schäden im Saarland im Mai dieses Jahres – beides verheerende Hochwasserkatastrophen, deren Wahrscheinlichkeit und Intensität durch die Klimakrise erheblich erhöht wird. Diese Zahlen verdeutlichen, was mittlerweile auch Unternehmen und Finanzbranche endlich verstehen: die Klimakrise birgt erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Risiken, auch in Deutschland.

Bisher ist politisch und gesetzlich aber noch weitestgehend ungeklärt, wer diese Risiken zu tragen hat. Bleibt es beim rechtlichen und politischen Status quo, so werden der Großteil der Risiken und Kosten auf die Allgemeinheit fallen. Währenddessen führen klimabedingte Katastrophen, deren erhöhte Wahrscheinlichkeit und die Tatenlosigkeit von Politik und Wirtschaft immer häufiger zu Klagen gegen diejenigen, die als Verursacher der Klimakrise wahrgenommen werden. Dieser Beitrag soll aufzeigen, wie Klagen der Zivilgesellschaft im Kontext der Klimakrise und den damit verbundenen finanziellen Risiken als nötiges gesellschaftliches Korrektiv zur Umverteilung dieser Risiken und den damit verbundenen Kosten genutzt werden.

Zum ersten Teil des Beitrags gelangen Sie über diesen Link: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/klimaklagen-als-gesellschaftliches-korrektiv-wie-unternehmen-das-finanzielle-risiko-von-klimaklagen-unterschatzen-teil-1/

Klimaklagen als Hebel der Zivilgesellschaft

Angesichts teils eklatanter Klimaschutzdefizite und lange bestehender Vollzugsdefizite im Umweltrecht können Klimaklagen ein legitimes Mittel darstellen, um besseren Klima- und Umweltschutz zu erreichen. Aus Diskussionen der Zivilgesellschaft über mögliche Hebel für eine bessere Klimaschutzpolitik sind sie kaum mehr wegzudenken. Relevanter werden sie zudem, weil die Kosten der Klimakrise bislang primär von der Allgemeinheit getragen werden. Klimaklagen können vor diesem Hintergrund als Korrektiv wirken, indem sie zum einen stärkere Klimaschutzmaßnahmen forcieren und so für die Allgemeinheit finanzielle Risiken nachhaltig reduzieren und zum anderen im Sinne der Klimagerechtigkeit als Risiko- und Kosten-Umverteilungsinstrument wirken:

1. Klimaklagen als Korrektiv: Verstärkung, Vollzug und Konkretisierung von Klimaschutzpflichten

Zum einen können Klimaklagen eine ambitioniertere Klimaschutzpolitik erwirken, man denke dabei nur an den Klimabeschluss des BVerfG. Genauso können sie daraufhin den Erlass und Vollzug staatlicher Klimaschutzmaßnahmen durchsetzen. Außerdem können sie staatliche Klimaschutzpflichten für private Akteure konkretisieren und ihnen Handlungspflichten auferlegen, wie es ein niederländisches Gericht in Folge einer Klimaklage gegen den fossilen Energieriesen Shell tat. Indem Klimaklagen der Zivilgesellschaft also auf einen besseren Klimaschutz auf Seiten des Staats und der Unternehmen hinwirken, haben sie das Potenzial die Risiken und Kosten von Klimafolgen zum Wohl der Allgemeinheit reduzieren (siehe Schaubild 3). Schließlich werden die Kosten von unzureichendem Klimaschutz um ein Vielfaches höher geschätzt als die Kosten für nötige Klimaschutzmaßnahmen. Des Weiteren können Klimaklagen transitorische Risiken, auch für Unternehmen, reduzieren und vor allem sichtbarer machen. Klimaklagen können Unternehmen zu frühzeitigeren Klimaschutz- und Transformationsmaßnahmen bewegen, die am Ende bspw. aufgrund regulatorischer Erfordernisse ohnehin nötig wären. Ferner wird damit auch deutlich, dass eine zügige Klima-Transition und Anpassung der Unternehmen die einzig sinnvolle Form des Risikomanagements darstellen. Denn wenn Klimaklagen im Ergebnis stärkere Klimaschutzmaßnahmen bewirken oder deren Vollzug sicherstellen, so können sie andere transitorische Risiken verstärken und ihre Materialisierung beschleunigen, bspw. indem asset stranding und damit einhergehende Kosten für Unternehmen früher eintreten.

Schaubild 3: Wie Klimaklagen klimabezogene finanzielle Risiken für die Allgemeinheit reduzieren können. Quelle: Green Legal Impact.

2. Klimaklagen als Korrektiv: Umverteilung von Klimarisiken und Kosten

Außerdem wohnt Klimaklagen ein starkes Umverteilungspotenzial inne. So können sie schon bestehende Risiken und damit zukünftige oder schon materialisierte Kosten der Auswirkungen der Klimakrise zwischen verschiedenen Akteuren umverteilen. Das Rechtssystem bietet hierbei eine Plattform zur Risiko- und Kostenverteilung, auf der Klimaklagen von der Zivilgesellschaft, Unternehmen und Staaten als (Um-) Verteilungsinstrumente genutzt werden können (siehe Schaubild 4). Durch diese Umverteilung können die jeweiligen Akteure die von ihnen getragenen Risiken mithin auch reduzieren.

Besonders anschaulich wird diese mögliche Risikoverteilung durch Klimaklagen anhand der zunehmenden Klimaklagen im Bereich der vertraglich vorvereinbarten (Klima-)Risiko- und Kostentransfers, bspw. im Rahmen von Versicherungsverträgen. Ein Beispiel der ersten Klimaklagen in diesem Bereich betrifft tatsächlich die Übernahme der aus einer Klimaklage resultierenden Kosten: Ein Versicherungsunternehmen verweigerte seinem beklagten (fossilen) Kunden die (generelle) Deckung der im Zuge eines Klimaklageverfahrens aufkommenden Kosten, worauf der Kunde das Versicherungsunternehmen auf Übernahme der Kosten verklagte. Letztendlich entschied das Gericht zu Gunsten des Versicherungsunternehmens. Das fossile Unternehmen wird so die Kosten des zugrundeliegenden Klimaklageverfahrens nicht an den Versicherer weitergeben können und wird diese weiterhin tragen müssen. Die Umverteilung von Klimaklagerisiken und Kosten war hierbei also zentraler Bestandteil des Verfahrens.

Auf ähnliche Weise könnte es auch für die Zivilgesellschaft möglich sein, über Klimaklagen klimabezogene Risiken und Kosten umzuverteilen sowie diese an besonders emissionsintensive Unternehmen zurückzugeben. Das wohl anschaulichste Beispiel hierfür ist das gegen RWE anhängige Verfahren eines peruanischen Klägers. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen, ist aber aktuell in zweiter Instanz beim OLG Hamm anhängig und wurde für schlüssig genug befunden, dass erste Beweisaufnahmen stattfanden und nun bald ein Termin für eine mündliche Verhandlung verkündet wird.  Im Falle eines Erfolgs würde die Klage dazu führen, dass die von RWE bisher auf die (globale) Öffentlichkeit abgewälzten klimabezogenen Risiken vom Konzern zumindest teilweise wieder getragen und damit internalisiert werden müssten. Eine Vielzahl an ähnlich gelagerten Klagen (insbesondere in den USA) könnte dazu führen, dass fossile Energiekonglomerate finanziell dafür einstehen müssen, über Jahrzehnte hinweg ihren Beitrag zu der Klimakrise vertuscht und stärkere Klimaschutzmaßnahmen verhindert zu haben. So würden durch die Klimakrise (und dem anhaltenden Nichthandeln) bedingte Risiken und Kosten den ursprünglichen Teilverursachern zurückgeführt werden. Der Fall gegen den Energiekonzern RWE zeigt, dass solche Klagen nicht nur ein Korrektiv innerhalb eines Landes darstellen können, sondern perspektivisch auch dafür genutzt werden könnten, die (Un-)Gerechtigkeitsdimension der Klimakrise auf globaler Ebene zu adressieren: Am stärksten betroffen von den Auswirkungen der Klimakrise ist die Öffentlichkeit in Ländern des globalen Süden, während die historischen Emissionen aber hauptsächlich von Unternehmen und Ländern aus dem globalen Norden verursacht wurden.

Schaubild 4: Wie Klimaklagen klimabezogene finanzielle Risiken und Kosten umverteilen können. Quelle: Green Legal Impact.

3. Klimaklagen als Korrektiv: Klimaschutz heute und überall

Letztlich können Klimaklagen durch ihr Potenzial Klimaschutzpolitik zu verbessern, aber insbesondere auch durch deren Einfluss auf die oben aufgeführten finanziellen Risiken für Unternehmen die sogenannte Tragik des Zeithorizonts und den globalen Charakter der Klimakrise adressieren. Emissionsintensive Geschäftsmodelle bleiben so lange profitabel, wie die Auswirkungen auf Menschen und Umwelt auf andere Orte externalisiert und aufgrund des Zeithorizonts der Klimakrise in die Zukunft geschoben werden können. Klimaklagen können diese Auswirkungen in die Gegenwart und zu den Headquarters von Unternehmen bringen und zumindest teilweise zu deren Internalisierung führen. Klimaklagen sind also als ein dringend nötiges gesellschaftliches Korrektiv angesichts der Klimaschutz-Handlungsdefizite politischer und wirtschaftlicher Akteure zu sehen, auch wenn sie nur einen Teil der Lösung und kein Allheilmittel darstellen.

Klimaklagen von Unternehmen als kurzlebige Symptombehandlung

Gleichzeitig ziehen auch Unternehmen und Interessensverbände im Kontext der Klimakrise vermehrt vor Gericht. Dabei können sie sich teilweise die oben skizzierte Risikoverteilungs- und Risikoreduktionswirkung von Klimaklagen ebenfalls zunutze machen. Diese Bemühungen stellen für Unternehmen aber im Regelfall wenig mehr als ein oberflächliches Risikomanagement dar, wodurch sie sich selbst langfristig nur größeren klimabezogenen Risiken aussetzen und gleichzeitig Ressourcen vergeuden, die sie für ihre Transition zur Klimaneutralität und Resilienz hätten nutzen können. Zur Veranschaulichung können zwei Klagefallgruppen herangezogen werden:

Zum einen können Unternehmen ihre klimabezogene Risikoexposition, wenn auch nur oberflächlich und temporär, direkt über gezielte “anti-regulatory”-Klimaklagen reduzieren: Wirtschaftsakteure können einerseits versuchen, vom Staat ausgehende stärkere Klimaschutz- und Regulierungsmaßnahmen zu blockieren oder abzuschwächen – als Beispiel seien hier die zahlreichen Klagen gegen neue Klimaberichterstattungsregeln der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC genannt, deren Einführung daraufhin vorerst pausiert wurde. Über solche Klagen können diverse transitorische Risiken reduziert werden, darunter auch das Klimaklagerisiko selbst, indem mögliche neu entstehende Rechtsgrundlagen für Klagen blockiert werden.

Darüber hinaus werden sogenannte Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren (ISDS) als Paradebeispiel für „anti-regulatory“-Klimaklagen zur Risiko- bzw. Kostenumverteilung relevant. In solchen Fällen können in Folge staatlicher Maßnahmen entstandene Kosten, mithin also schon materialisierte regulatorische Risiken, von Investoren an den jeweiligen Staat weitergegeben werden. Wenn nun im Zuge staatlicher Klimaschutzmaßnahmen bestimmte klimaschädliche Investitionen, bspw. in Kohlekraftwerke, drastisch an Wert verlieren, versuchen Unternehmen ihre Kosten über eine solche “Klimaklage” an den Staat direkt weiterzugeben oder diese Möglichkeit zumindest als Druckmittel zu nutzen. Es ist damit zu rechnen, dass gegen staatliche Klima- oder Umweltschutzmaßnahmen gerichtete ISDS-Verfahren vermehrt vorkommen werden. Dieses Klagerisiko wird häufig als potenzieller Dämpfer für staatliche Klimaschutzambitionen betitelt. Angesichts dessen ist es begrüßenswert, dass die EU bspw. kürzlich den kollektiven Austritt aller Mitgliedsstaaten aus dem Energiecharta-Vertrag, einem veralteten Investitionsschutzabkommen, beschlossen hat. Die zweite Fallgruppe bilden die sogenanntenStrategic Lawsuits against Public Participation (SLAPPs), die aufgrund ihrer antidemokratischen Wirkung womöglich noch bedenklicher sind. Bei diesen rechtsmissbräuchlichen Klagen sollen Akteure aus der Zivilgesellschaft gezielt an ihrer Arbeit gehindert und eingeschüchtert werden. Teil dieser SLAPPs ist es auch, die Ressourcen der oft mit wenigen Mitteln operierenden Zivilgesellschaftsorganisationen über langwierige Prozesse zu binden. Dadurch werden für Akteure aus der Zivilgesellschaft bestehende finanzielle Risiken nochmals verstärkt, sodass manche SLAPPs je nach Organisation sogar existenzbedrohend wirken und daher besonders einschüchternd sein können. Es wundert auch nicht, dass besonders klimaklageaktive Organisationen zum häufigen Ziel von SLAPPs durch ihrerseits klimaklageexponierte Unternehmen werden. Begrüßenswerterweise könnte diese Praxis in der EU durch die jüngst verabschiedete Anti-SLAPP-Richtlinie eingedämmt werden. Diese wurde vor Kurzem zum ersten Mal von Greenpeace aktiviert. Auf Grundlage der Richtlinie versucht die NGO aktuell, sich gegen einen SLAPP zu verteidigen, indem sie auf die Möglichkeit einer “Konter-SLAPP” und den ihr damit zustehenden Schadensersatzforderungen verweist. Damit könnte sie im Ergebnis die ihr durch die SLAPP erst entstehenden finanziellen Risiken und Kosten reduzieren bzw. an das “SLAPPende” Unternehmen zurückreichen.

Ursachenbekämpfung statt Symptombehandlung

An der Gefährdung der Unternehmen durch physische Klimarisiken können diese Klagen natürlich nichts ändern. Stattdessen könnte es ihre Exponierung eher noch verschärfen, wenn sie einerseits selbst das Zeitfenster für notwendige Anpassungsmaßnahmen verpassen und die physischen Auswirkungen des Klimawandels sie zusätzlich aufgrund schwacher bzw. unterminierter staatlicher Klimaschutzmaßnahmen letztendlich noch stärker treffen. Eine kurzfristige Reduzierung transitorischer Risiken als Symptombehandlung könnte sich somit für Unternehmen – aber auch für die Allgemeinheit – im Ergebnis als deutlich kostspieliger erweisen. Angesichts der zunehmend spürbaren Auswirkungen der Klimakrise und ungenügender Reaktion seitens Politik und Wirtschaft werden Klimaklagen als Instrument weiter genutzt werden. Die damit assoziierten finanziellen Risiken werden also vermehrt auf der Tagesordnung stehen müssen – auch für Unternehmen. Spätestens im Anblick der finanziellen Risiken sollten diese realisieren, dass für echten Klimaschutz an der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle mitsamt umfassender Einpreisung von klimabezogenen Risiken – inklusive Klimaklagerisiken – kein Weg vorbeiführt. Alles andere bleibt kurzfristige Symptombehandlung und keine nachhaltige Ursachenbekämpfung.


*Chiara Arena ist unter anderem als Beraterin für Sustainable Finance und Klimarecht bei Green Legal Impact e.V. tätig. Sie beschäftigte sich bereits in ihrem LLM und als Mercator Fellow mit Klimaklagerisiken und deren Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft. (LinkedIn)

**Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Berliner Rechtsanwaltskanzlei und unterstützt Green Legal Impact als Sustainable Finance Berater. (LinkedIn)

Zitiervorschlag: Arena/Beermann, Klimaklagen als gesellschaftliches Korrektiv: Wie Unternehmen das finanzielle Risiko von Klimaklagen unterschätzen – Teil 2, INUR-blog v. 25.11.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/klimaklagen-als-gesellschaftliches-korrektiv-wie-unternehmen-das-finanzielle-risiko-von-klimaklagen-unterschatzen-teil-2; zuletzt abgerufen am: ).