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Zivilgerichte und Klimaklagen – Untersuchung eines schwierigen Verhältnisses

von PD Dr. David Markworth, M.Sc. (Oxford)*

Der Beitrag basiert auf einem Working Paper, dem der Habilitationsvortrag des Verfassers zugrunde liegt. Das Working Paper kann über den Autor bezogen werden.

I. Zum Verhältnis von Klimaklagen und Zivilprozess

Rund um den Globus versuchen Menschen mithilfe von Klimaklagen aktiv schärfere Maßnahmen gegen den Klimawandel einzufordern. Ein Teil dieser Bewegung konzentriert sich darauf, private Unternehmen durch Zivilklagen für die negativen externen Effekte ihres Handelns in die Verantwortung zu nehmen. Der hier vorgestellte Beitrag bietet eine kritische, zivilprozessrechtliche Analyse der Rolle deutscher Zivilgerichte in diesen strategisch geführten Prozessen. Dazu wird zunächst die angebliche Unzulässigkeit von Klimaklagen untersucht. Die wichtigsten Forschungsfragen sind hier, ob Gerichte Klimaklagen abweisen können, indem sie sich auf einen Rechtsmissbrauch oder die Political Questions Doctrine berufen. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass es keine ernsthaft der Zulässigkeit entgegenstehenden Hürden gibt und sich die deutschen Zivilgerichte mit Klimaklagen deshalb quasi zwangsläufig auf Begründetheitsebene befassen müssen.

Zumindest derzeit deutet wenig darauf hin, dass die Gerichte deshalb mit einer Welle an Klimaklagen überschwemmt werden. Das dargestellte Zwischenergebnis macht Deutschland jedoch zu einem interessanten Experimentierfeld, um Klagevarianten auszuprobieren, deren Begründetheit noch völlig unklar ist. Im zweiten Teil wird vor diesem Hintergrund eine doppelseitige Kritik an Klimaprozessen erörtert und hinterfragt. Die Kritik geht einerseits dahin, dass Klimaprozesse dem traditionellen Bild vom Zivilprozess widersprechen. Andererseits werden Klimaprozesse als ineffiziente Ressourcenverschwendung kritisiert, da es fast unmöglich ist, einen Klimaprozess zu gewinnen. Auf der Grundlage dieser Analyse werden rechtspolitische Empfehlungen skizziert, deren Umsetzung für eine Angleichung der Interessen von Klimaklägern, Zivilgerichten und Öffentlichkeit sorgen könnte.

II. Um welche Verfahren es geht

Weithin bekanntes deutsches Paradebeispiel für zivilprozessuale Klimaverfahren ist die von Germanwatch unterstützte Klage von Saúl Luciano Lliuya, einem peruanischen Bergführer und Landwirt, gegen den Energieversorger RWE. Sie ist im Großen und Ganzen darauf gerichtet, dass RWE die Kosten für einen Damm übernimmt, ohne den das Haus des Herrn Lliuya infolge der globalen Erwärmung gefährdet sein soll. Das Verfahren zieht sich, unter anderem aufgrund von Verzögerungen durch die Corona-Pandemie, in die Länge. In erster Instanz hat das LG Essen mit Urteil vom 15.12.2016 die Klage als unbegründet abgewiesen (LG Essen BeckRS 2016, 114262). In zweiter Instanz hat das OLG Hamm im Jahr 2017 einen Beweiserhebungsbeschluss erlassen (OLG Hamm, Beschl. v. 30.11.2017 – I-5 U 15/17 = ZUR 2018, 118) und daraufhin 2022 mit mehreren Sachverständigen einen Augenschein vor Ort – also in Peru – vorgenommen. Das daraufhin entstandene Sachverständigengutachten zum Flutrisiko für das Haus des Klägers liegt inzwischen vor. Die mündliche Verhandlung wird deshalb voraussichtlich 2024 stattfinden. Als weitere Referenzverfahren für Corporate Climate Litigation werden die Klagen von der Deutschen Umwelthilfe nahestehenden Personen gegen BMW (LG München I, BeckRS 2023, 2861; nachfolgend OLG München BeckRS 2023, 30283), Mercedes-Benz (LG Stuttgart, BeckRS 2022, 23882; nachfolgend OLG Stuttgart BeckRS 2023, 31435) sowie die Klagen von Greenpeace nahestehenden Personen (LG Braunschweig, Urt. v. 14.2.2023 – 6 O 3931/21 – juris) und eines von Greenpeace unterstützten Biobauern (LG Detmold BeckRS 2023, 2862)gegen VW herangezogen. Im Hinblick auf das BMW-Verfahren ist derzeit die Revision beim BGH anhängig (Az. VI ZR 334/23); hinsichtlich des Biobauer vs. VW-Verfahrens die Berufung beim OLG Hamm (Az. I-5 U 34/23).

III. Justiziabilität zivilprozessualer Klimaverfahren

Klimaklagen wie Lliuya vs. RWE sind zumindest auch auf die Befeuerung der klimapolitischen Debatte ausgerichtet. Dies beißt sich damit, dass der Zweck des Zivilprozesses bekanntlich bis heute überwiegend darin gesehen wird, die Durchsetzung subjektiver Rechte der Parteien zu gewährleisten. Denn dieser (Haupt-)Zweck scheint bei Klimaklagen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Dennoch lässt sich die Prozessführungsbefugnis der Klimakläger nicht verneinen. Es reicht richtigerweise schon aus, dass der Kläger im eigenen Namen behauptet, ihm stehe das geltend gemachte Recht zu. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist – auch wenn die materielle Rechtsinhaberschaft wie in den Klimaverfahren offensichtlich zweifelhaft erscheint – ausschließlich eine Frage der Begründetheit der Klage.

Daneben wurden in der zivilprozessualen Klimarechtsprechung zwei weitere Zulässigkeitsfragen besonders kontrovers diskutiert: ob Klimaklagen wegen Rechtsmissbräuchlichkeit unzulässig sind (dazu 1.) und, ob die so genannte Political Questions Doctrine auch in Deutschland eine Prozessmaxime darstellt (dazu 2.).

1. Missbrauchseinwand

Die Zulässigkeit könnte zunächst abzulehnen sein, weil die Klägerseite mit den Klimaklagen neben der Durchsetzung subjektiver Rechte auch weitere, insbesondere gesellschaftliche oder umweltpolitische Interessen oder Belange verfolgt (vgl. die Entscheidung des OLG Stuttgart). Wenn eine Klage nicht offensichtlich nutzlos ist, sondern für die Durchsetzung eines hypothetischen materiellen Rechts sorgen könnte, scheidet es aber aus, unter Verweis auf vermeintlich prozesszweckfremde Zusatzmotive einen Verstoß gegen Treu und Glauben zu bejahen. Dafür spricht schon, dass die Bejahung eines Missbrauchs den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Justizgewähranspruch) einschränkt. Die mit der Gegenauffassung einhergehende erhöhte Gefahr von Fehlurteilen ist mit einer dienenden Prozessrechtskonzeption, bei der es schlussendlich dem materiellen Recht überlassen bleiben soll, zu bestimmen, welche Interessen rechtlich geschützt sind, unvereinbar.

Abgesehen davon, könnte man in den Klimaklagefällen eine missbilligenswerte Art umgedrehter gewillkürter Prozessstandschaft am Werk sehen. Man könnte argumentieren, dass Herr Lliuya im RWE-Fall zwar potenziell in eigenen Rechten verletzt und damit prozessführungsbefugt ist, tatsächlich von der hinter ihm stehenden Umweltschutzorganisation Germanwatch aber nur vorgeschoben, d.h. als „Marionette“ gebraucht wurde. Die Auslegung des § 242 BGB muss sich an dieser Stelle aber von der allgemeinen Überlegung leiten lassen, dass prozessführungsbefugte Einzelpersonen in „hybriden“ Prozessführungssituationen auf Dritte wie Finanzierer oder klimawissenschaftliche Expertise liefernde NGOs angewiesen sein können, um ihre Prozessführungsbefugnis überhaupt zu kennen und dann wahrnehmen zu können. Das Ideal des allein aus sich selbst heraus rechtsuchenden Bürgers kann jedenfalls in diesen Situationen nicht die Auslegung anleiten. Zudem werden Klimaklagen von den beteiligten Verbänden nicht aus finanziellen Interessen betrieben. Der in den vergangenen Debatten prominent diskutierte Aspekt einer durch das Gewinnstreben Dritter motivierten Klageerhebung (Stichwort: „Klageindustrie“) spielt hier keine Rolle.

2. Der Judicial Self-Restraint als Prozessmaxime?

Ein letzter für die Zulässigkeitsprüfung von Klimaklagen zentraler Aspekt ist, dass die Gerichte hier teilweise aufgefordert werden, unter Rückgriff auf eine mittelbare Horizontalwirkung der Grund- und Menschenrechte neue klimaschützende Verkehrs- und Sorgfaltspflichten zu entwickeln. Im Angesicht dessen wird von der Gegenseite an die Gerichte appelliert, richterliche Selbstbeschränkung zu üben. In den USA hat der Supreme Court unter Berufung auf die sog. Political Questions Doctrine etwa im Jahr 2011 entschieden, dass deliktische Klagen einzelner Bundesstaaten gegen Energieunternehmen durch den öffentlich-rechtlichen Clean Air Act und die darauf fußenden Befugnisse der Environmental Protection Agency gesperrt seien. Schlussendlich kommen aber weder judicial self-restraint noch Political Questions Doctrine als Zulässigkeitsvoraussetzungen des deutschen Zivilprozesses in Betracht. Wie sich aus § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO und § 132 Abs. 4 GVG ablesen lässt, ist die Rechtsfortbildung gerade „Aufgabe der staatlichen Gerichtsbarkeit“. Ihr bereits auf Zulässigkeitsebene einen Riegel vorzuschieben, liefe zudem Art. 19 Abs. 4 GG und dem Justizgewähranspruch zuwider. Damit soll keinesfalls behauptet werden, dass der deutschen Zivilgerichtsbarkeit die Political Questions Doctrine gänzlich unbekannt wäre. Sie drückt sich hier aber erst auf Ebene der Begründetheit aus.

IV. Wie sind Klimaklagen zu bewerten?

Klimaklagen können anhand unterschiedlicher Maßstäbe bewertet werden. Hinterfragt werden kann etwa, ob sie ein ökonomisch effizientes Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels sind. Sofern man hingegen die Bewertung der Klimaklagen aus Sicht des Zivilprozesses als Institution in den Mittelpunkt stellt, muss man fragen, ob den Zivilgerichten hier eine sinnvolle neue Aufgabe zuteil wurde oder vielmehr de lege ferenda alles daran gesetzt werden muss, künftige Klimakläger abzuschrecken. Nicht von der Hand zu weisen ist insofern, dass bei Klimaklagen eine erhöhte Gefahr einer Prägung der materiellen Zivilrechtslage durch den Prozess besteht. Diese Gefahr ist einem auch auf Rechtsfortbildung ausgerichteten Zivilrechtssystem aber immanent.

Darüber hinaus kann man der Klägerseite in den Klimaverfahren wohl das Bewusstsein unterstellen, dass ihre Klage auch bei vollem Durchlaufen des Instanzenzugs mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig Aussicht auf Erfolg hat. Der Prozess ist der Klägerseite vielmehr ein geeignetes Mittel, um etwa den aus klimawissenschaftlicher Sicht eindeutigen Zusammenhang zwischen dem emittierenden Verhalten von RWE in Deutschland und dem die peruanische Stadt Huaraz bedrohenden Abschmelzen eines Gletschers öffentlichkeitswirksam vorzuführen. Die Klimaklagenkritik muss sich daher daran entzünden, dass die Rechtsdurchsetzung hier nicht von ökonomischen Effizienzgesichtspunkten geleitet wird. Was Empörung oder gar Wut hervorrufen mag, ist der Umstand, dass die Klimaklagen als eine Störung der zivilprozessualen Maschinerie erscheinen. So berechtigt die Kritik daran ist, muss doch beachtet werden, dass auch dieser Störungseffekt von den Klageinitiatoren durchaus intendiert sein kann. Im Lichte dessen haben die deliktsrechtlichen Klimaklagen durchaus Ähnlichkeiten mit den Sachbeschädigungen der selbst ernannten „Letzten Generation“, und die Klimakläger dürfen sich glücklich schätzen, dass sich vor den Zivilgerichten weniger raue Gestalten tummeln als auf deutschen Straßen.

IV. Rechtspolitik

Wie sollte vor diesem Hintergrund der rechtspolitische Blick auf die Klimaklagen aussehen? Eine Option scheidet – auch wenn es entsprechende Vorschläge bereits gab – aus: Man kann Klimaklagen in ihrer derzeit verbreiteten Form, unabhängig davon, ob man es für sinnvoll hielte, nicht verbieten, indem man eine neue Prozessvoraussetzung kreiert. Dem steht der grundgesetzlich verbürgte Justizgewähranspruch entgegen. Denkbar wäre es allenfalls, Gerichten, entsprechend Art. 5 und 9 der neuen EU-Anti-SLAPP-Richtlinie, de lege ferenda die Möglichkeit einzuräumen, Klimaverfahren frühzeitig abzuweisen, wenn sie offenkundig unbegründet sind. Daneben müssen insbesondere drei rechtspolitische Ansätze für ein Sonderklimaprozessrecht diskutiert werden:

1. Stärkung des prozessualen Öffentlichkeitsprinzips

Zunächst sollten die andauernden Bemühungen darum, das prozessuale Öffentlichkeitsprinzip zu stärken, intensiviert werden, um das Recht allgemein besser auf das verstärkt auftretende Phänomen der strategischen Prozessführung einzustellen. Gerade strategisch geführte Klimaverfahren stoßen auf ein besonders starkes Interesse breiter Bevölkerungskreise. Deshalb sollte es rechtspolitisches Ziel sein, eine ausreichende Information der Öffentlichkeit über Corporate Climate Litigation zu gewährleisten. Eine Pflicht der Gerichte zur proaktiven, nicht anonymisierten Open-Access-Veröffentlichung von Klimaentscheidungen ließe sich wohl ohne Weiteres gesetzlich verankern. Zur weiteren Transparenz würde de lege ferenda eine über die §§ 299 Abs. 2, 299a Satz 1 ZPO hinausgehende beschränkte (Online-)Akteneinsicht beitragen. Davon erfasst sein könnte insbesondere ein Recht Dritter, Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften von Klimasachverständigengutachten, die im Rahmen von Klimaverfahren angefertigt werden, zu erhalten.

2. Einführung eines indirekten „Zulassungssystems“

Diskutiert werden muss darüber hinaus, inwiefern es sinnvoll wäre, für Klimaklagen Regeln zum Schutz der Prozessparteien vor einer Einflussnahme Dritter zu schaffen. Als Vorbild könnten insofern die Regeln zu Third Party Funding im VDuG dienen. So kann man sich zumindest theoretisch vorstellen, dass ein Unternehmen, vermittelt durch eine nur zu diesem Zweck gegründete NGO eine Klimaklage initiiert, um damit einem Konkurrenzunternehmen zu schaden oder dass ein Kläger unterliegt und auf den Verfahrenskosten sitzenbleibt, weil die hinter ihm stehende Organisation die Verfahrensfinanzierung nicht sichergestellt hat. Eine Präventivprüfung der Finanzierungsvereinbarungen de lege ferenda vorzusehen, erscheint dann gerade zugunsten eindeutig vulnerabler ausländischer Kläger wie Herrn Lliuya sinnvoll.

3. Bedürfnis nach einem Sonderklimaprozessrecht im engeren Sinne?

Schließlich stellt sich die Frage, inwiefern das Klimaschutzrecht ein Sonderprozessrecht im engeren Sinne ausbilden muss. Der nächstliegende Weg, um dieser Forderung nachzukommen, wäre es, eine klimaschutzrechtliche Verbandsklage einzuführen. Rechtsvergleichend kann insofern auf die in Frankreich bereits existierende Action de Groupe Environnementale verwiesen werden. Schlussendlich ist der damit skizzierte Weg aber nicht zielführend. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Kausalzurechnung ökologischer Auswirkungen menschlichen Handelns stellen, sind zu groß, als dass die Personalisierung der entsprechenden Sachverhalte rechtspolitisch zielführend wäre. Ein als subjektives Recht ausgestaltetes Klimaschutzrecht wäre zudem ständig auf Anstöße von außen angewiesen, weil es für den Einzelnen zu nervenaufreibend wäre, Klimaprozesse zu führen. Diese Anstöße kann es in Form einer Maschinerie aus Verbänden geben, wie sie sich bei den derzeitigen Klimaklagen bereits herausgebildet hat. Man muss sich aber fragen, ob die Zubilligung eines subjektiven Rechts, welches der Rechteinhaber aus sich heraus kaum wahrzunehmen bereit wäre, den Rechtsstaat nicht schlussendlich entwertet. Aus diesem Grund sollte überlegt werden, die privatrechtliche Klimarechtsdurchsetzung gegen Unternehmen losgelöst vom herkömmlichem Prozesszweck auszugestalten. Erneut aufzugreifen wäre vielmehr, wenn man überhaupt eine Notwendigkeit für so weitgehende Änderungen sieht, die Idee, eine unabhängige öffentlich-rechtliche Ombudsstelle als Anwalt des öffentlichen Interesses am Klimaschutz einzurichten.


*Der Autor ist im Sommersemester 2024 Visiting Fellow am Center for Advanced Studies on the Foundations of Law and Finance (Goethe-Universität Frankfurt a.M.) und Akademischer Oberrat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Der Beitrag basiert auf einem Working Paper, dem der Habilitationsvortrag des Verfassers zugrunde liegt. Das Working Paper kann über den Autor bezogen werden. (Link / LinkedIn)

Zitiervorschlag: Markworth, Zivilgerichte und Klimaklagen – Untersuchung eines schwierigen Verhältnisses, INUR-blog v. 25.04.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/zivilgerichte-und-klimaklagen-untersuchung-eines-schwierigen-verhaeltnisses/; zuletzt abgerufen am: ).