Reformvorschläge zum 74. Deutschen Juristentag – Ein Überblick (Teil I)

von Theresa Belke*

Vom 25. bis zum 27. September tagt der 74. Deutsche Juristentag in der Stuttgarter Liederhalle. In der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des DJT dreht sich in diesem Jahr alles um den Klimaschutz und den dazu passenden Gutachtenauftrag: Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts? Schon über den Schwerpunkt der Fragestellung lässt sich trefflich streiten, sodass es nicht wundert, dass die gutachterlichen Thesen viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auch die Literatur hüllt sich nicht in Schweigen, sondern prescht vielmehr mit meinungsstarken Beiträgen in die Diskussion vor (vgl. nur Bachmann, NJW 2024, 2734; Harnos, AG 2024, S28; Kalss, JZ 2024, 766; Roth, NZG 2024, 1103). Der folgende Beitrag macht einen kleinen Rundflug über das Gutachten von Prof. Dr. Marc-Philippe Weller sowie die Thesen der Referenten Prof. Dr. Joachim Hennrichs, Vera Obernosterer und Dr. Friederike Rotsch. Ein zweiter Teil erscheint im Anschluss an die Tagung und soll die Ergebnisse der wirtschaftsrechtlichen Abteilung zusammenfassen und einordnen.

I. Handlungsbedarf auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts

Sofern man sich mit dem Gutachtenauftrag fragt, wie Maßnahmen gegen den Klimawandel im Gesellschaftsrecht aussehen könnten, muss man sich zunächst die Frage stellen, ob Maßnahmen gegen den Klimawandel im Gesellschaftsrecht überhaupt richtig verortet wären. Prof. Dr. Marc-Philippe Weller, der das diesjährige Gutachten der wirtschaftsrechtlichen Abteilung verfasst hat, gelangt zu dem Schluss, das Gesellschaftsrecht könne und solle als Regulierungsstandort für den Klimaschutz dienen (Weller,These 2). Für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen empfiehlt er eine sog. Klimatrias, die sich aus einer Klimaquote (II.), einem Rechtsformzusatz „klimaneutral“ (III.) sowie verschiedenen Klimagovernance-Instrumenten (IV.) zusammensetzt.

II. Klimaquote und Klimaplan

1. Klimaquote nach Weller

Im Zentrum des Gutachtens steht die sog. Klimaquote, § 76a AktG-E[1]. Die Klimaquote soll den Vorstand einer Aktiengesellschaft in einem ersten Schritt dazu verpflichten, einen Klimaplan zu erstellen und umzusetzen, mit dem das jeweilige Unternehmen das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen möchte. In einem zweiten Schritt soll der Vorstand aus dem Klimaplan jährliche Quoten fest- und offenlegen, in welcher Höhe das Unternehmen seine CO2-Emissionen im jeweils nächsten Jahr reduziert. Die Idee der jährlichen Quote orientiert sich an der Quotenregelung in § 76 Abs. 4 AktG zur Frauenzielgröße. Diesem Beispiel folgend kann der Vorstand über die Höhe der Emissionsreduktion völlig frei entscheiden, sich also ab einer Quote von 0 % jegliche Ziele vornehmen, ohne dass deren Verfehlen sanktioniert wäre. Vielmehr soll die Klimaquote durch Verhaltensanreize in Form von Transparenz und Reputation zur Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen und so den Vorstand nicht nur zu einem pflichtgemäßen, sondern darüber hinaus zu einem ambitionierten Verhalten incentivieren. Ob die Klimaquote dieses Ziel erreichen kann, beurteilt die Referentin Obernosterer in ihren Thesen eher kritisch (vgl. Thesen 8, 12).

2. Klimaplan nach Art. 22 CSDDD und dessen nationale Umsetzung

Mit diesen Regelungen hat der Gutachter zunächst neue regulatorische Wege beschritten, wurde aber inzwischen vom europäischen Gesetzgeber überholt: Die CSDDD verpflichtet Unternehmen in Art. 22 ebenfalls zur Erstellung eines Klimaplans und weist damit in eine ähnliche Richtung wie § 76a AktG-E. Die Richtlinie musste allerdings vor ihrer Annahme eine Achterbahnfahrt durchleiden, deren Ergebnis vom ursprünglichen Entwurf wenig übrigließ. Konsequenz dessen ist, dass § 76a AktG-E in einigen Vorgaben nun von denen des Art. 22 CSDDD abweicht, vor allem hinsichtlich des Anwendungsbereichs und den erfassten Emissionen. Für eine richtlinienkonforme Umsetzung von Art. 22 CSDDD bedarf es daher einiger Anpassungen.[2] Auf diesen Aspekt weisen auch Obernosterer und Hennrichs in ihren Thesen hin (Obernosterer, These 4; Hennrichs, These 13). Neben den Detailmodifikationen stellt sich aber die Frage, ob die Vorgaben des Art. 22 CSDDD überhaupt im Aktiengesetz umgesetzt werden sollten. Einige prominente Stimmen fordern vielmehr eine Umsetzung in das bereits bestehende nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).[3]

III. Rechtsformzusatz „klimaneutral“

Als zweites Element der Klimatrias sieht das Gutachtendie Einführung eines Rechtsformzusatzes „klimaneutral“ in einem neuen § 20 HGB-E vor. Diesen Rechtsformzusatz sollen Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform führen dürfen, sofern sie die vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen. Rotsch ist der Ansicht, dass die bereits existierenden privaten Zertifizierungen im Bereich der Nachhaltigkeit schon etabliert und daher naheliegender sind (These 8). Dem stimmt auch Obernosterer zu, stehtder Einführung eines Rechtsformzusatzes aber dennoch offen gegenüber (These 20).

IV. Klimagovernance

1. Vorstand

Um die Klimatransformation des Gesellschaftsrechts weiter voranzutreiben, nimmt das Gutachten als drittes Element Governance-Instrumente in den Blick. Als eines dieser Instrumente wird in der Literatur diskutiert, die §§ 76, 93 AktG um die Berücksichtigung von Umweltbelangen zu ergänzen.[4] Sowohl das Gutachtenals auch die Referentin Rotsch lehnen es aber ab, §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 2 AktG materiell aufzuladen, da sie lediglich weiteren bürokratischen Aufwand und einen nur geringen Mehrwert für das Klima befürchten (Weller,These 17; Rotsch, These 9).

Daneben plädieren manche Stimmen für die Einführung eines Chief Climate Officers. Diese verpflichtende Vorstandsposition soll zu mehr Aufmerksamkeit für den Klimaschutz im Unternehmen führen. Dagegen wird aber vom Gutachten und Referentin Rotsch vorgebracht, dass eine derartige Verpflichtung sehr weit in die Leitungsautonomie des Vorstands eingreifen und die Organisationsfreiheit der Gesellschaft unabhängig vom individuellen Unternehmenszuschnitt zu stark beschränken würde. Beide raten daher von der Einführung eines Chief Climate Officers ab (Rotsch, These 10).

2. Aufsichtsrat

Für die Klimatransformation der Unternehmen schlägt das Gutachten auch vor, die Aufsichtsratsstrukturen entsprechend zu reformieren. Der Gutachter empfiehlt die Einführung eines neuen § 105 Abs. 5 S. 2 AktG-E, wonach der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit über eine Klimaexpertise verfügen solle. Zusätzlich sollen börsennotierte oder mitbestimmte Aktiengesellschaften nach § 107 Abs. 5 AktG-E einen speziellen Klimaausschuss einrichten, der sich um klimabezogene Aufgaben wie die Vorbereitung von Entscheidungen zur Billigung des Klimaplans kümmern würde. Diese Vorschläge trafen indes bei allen Referenten auf Ablehnung: Eine Verpflichtung zur Klimaexpertise und zur Bildung eines Klimaausschusses sei nicht notwendig, da der Aufsichtsrat seine bestehenden Organisationsbefugnisse bereits nutzen könne, um entsprechende Kompetenzen intern zu bündeln (Hennrichs, These 12; Obernosterer, These 18; Rotsch, Thesen 12, 13).

3. Hauptversammlung und Aktionäre

Die wachsende Bedeutung von Klimaschutzfragen ist auch für Aktionäre zunehmend von Interesse. Daher sollen auch sie in die Klimabemühungen der Unternehmen durch ein sog. Say on Climate eingebunden werden. So sieht auch das Gutachten in § 120b AktG-E – nach dem Vorbild des Say on Pay – vor, dass die Aktionäre ein Mitspracherecht in Form eines unverbindlichen Konsultativbeschlusses zum Klimatransformationsplan erhalten. Dieses Instrument könnte die Aktionäre stärker in die Klimastrategie des Unternehmens einbinden und so einen Dialog zwischen Unternehmensleitung und den Aktionären etablieren, der zu mehr Transparenz und einem gesteigerten Bewusstsein für Klimafragen führen könnte. Das Stimmungsbild zum Say on Climate ist in den Reihen der Referenten eher durchwachsen – während Hennrichs eine Regelung befürwortet, verweist Rotsch eher zurückhaltend auf die fehlenden empirischen Befunde zur Wirksamkeit des Beschlusses (Hennrichs, These 14; Rotsch, These 15). In diese Richtung tendiert auch Obernosterer, die das Say on Climate vor allem vor dem Hintergrund der sonstigen Nachhaltigkeitsregulierung eher kritisch betrachtet (These 12). Darüber hinaus weist Obernosterer noch auf den Modebegriff der Collaborative Sustainability Engagements hin: Sei es nicht nur erlaubt, sondern im Rahmen eines Say on Climate möglicherweise sogar gewünscht, dass sich Aktionäre gemeinsam für den Klimaschutz einsetzen, dürften sie in ihren Bemühungen nicht eingeschränkt werden. Daher bedürfe es einer Ausnahmeregelung im Tatbestand des Acting in Concert, sollte sich der Gesetzgeber für ein Say on Climate entscheiden (Thesen 16, 17).

V. Nachhaltigkeitsberichterstattung

Neben den gutachterlichen Vorschlägen weist insbesondere Hennrichs auf einen dringenden Anpassungsbedarf der Nachhaltigkeitsberichterstattung hin. Die Berichterstattung sei ein wichtiges Instrument der klimaschutzbezogenen Regulierung im Gesellschaftsrecht, ufere allerdings in jüngster Zeit zu sehr aus. Insbesondere die Verhältnismäßigkeit und die hohen Rechtsbefolgungskosten würden eine Anpassung der Reportingpflichten überlegenswert machen (Hennrichs, Thesen 6, 7, 8).

VI. Zusammenschau und Ausblick

In einer Zusammenschau der regulatorischen Vorschläge fällt auf, dass das Gutachten aus dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vor allem das Aktienrecht (und am Rande das GmbH-Recht) als richtigen Regelungsstandort für den Klimaschutz auserkoren hat. Dieser Auswahl ist insofern zuzustimmen, dass Großunternehmen oftmals Aktiengesellschaften oder GmbHs sind, auf die ein hoher Anteil an THG-Emissionen entfällt.

Die Einführung eines Klimaplans im nationalen Recht erscheint sinnvoll und – mit Blick auf Art. 22 CSDDD – auch notwendig. Der Mehrwert einer zusätzlichen jährlichen Klimaquote, wie sie das Gutachtenvorschlägt, springt hingegen nicht unmittelbar ins Auge, sodass die CSDDD nicht über das notwendige Maß hinaus umgesetzt werden sollte. Der Vorschlag eines Rechtsformzusatzes kann umgesetzt werden, erscheint aber vor dem Hintergrund, dass bereits zahlreiche etablierte private Zertifizierungen bestehen, nicht zwingend notwendig. Die Governance-Instrumente, insbesondere Klimaexpertise und Klimaausschuss im Aufsichtsrat, sind kritisch zu betrachten. Diskussionsbedürftig ist allerdings der Vorschlag eines Say on Climate, dessen Notwendigkeit und Erfolg maßgeblich vom Legal Design der Vorschrift abhängt. Insofern ist sich hinsichtlich der überwiegenden Mehrheit der gesellschaftsrechtlichen Vorschläge der Meinung Bachmanns anzuschließen: „Kann man machen, muss man aber nicht!“[5] Ob dem Klima mit solch punktuellen Maßnahmen indes geholfen ist, bliebe abzuwarten, was im Hinblick auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes eine eher ernüchternde Erkenntnis ist.

Zu den Referenten lässt sich resümieren: Während sich Hennrichs eine holistische Brille aufzieht, betrachtet Rotsch die Vorschläge aus Unternehmensperspektive. Obernosterer sieht die gutachterlichen Vorschläge vor allem im Pendelblick zur europäischen Gesetzgebung und ordnet sie deswegen als tendenziell überflüssig ein. Wie die Beschlussfassungen beim DJT letztendlich aussehen werden, bleibt mit Spannung zu erwarten. Jedenfalls sollte die wirtschaftsrechtliche Abteilung bedenken, dass jedes Klimaschutzinstrument auf seine Effektivität überprüft werden muss. Sollte es an dieser fehlen, sollte auch dringend von der Einführung weiterer Regelungen abgesehen werden.


[1] Eine Parallelvorschrift für die GmbH ist in § 36a GmbHG-E vorgesehen.

[2] S. hierzu den Vorschlag einiger Anpassungen von Wellers Klimaquote zur richtlinienkonformen Umsetzung von Art. 22 CSDDD ins AktG Weller/Schwemmer, AG 2024, 517 ff.

[3] Hübner/Lieberknecht, NJW 2024, 1841 Rz. 22; Schäfer/Schütze, BB 2024, 1091, 1093.Eine vollständige 1:1-Umsetzung der CSDDD ist aus Gründen des Verschlechterungsverbots aus Art. 1 Abs. 2 CSDDD nicht möglich. Vielmehr dürfte das nationale Schutzniveau des LkSG durch die Umsetzung des enger gefassten Anwendungsbereichs der CSDDD nicht abgesenkt werden, vgl. näher hierzu Mittwoch, NJW 2024, 2353 ff.

[4] Dazu kursieren verschiedenste Formulierungsvorschläge wie auch der Vorschlag der VGR zu § 76 Abs. 1 AktG, um nur ein Beispiel zu nennen: „Der Vorstand hat die Gesellschaft unter eigener Verantwortung im langfristigen Interesse des Unternehmens unter angemessener Berücksichtigung von Umwelt- und Gemeinwohlbelangen zu leiten.“, s. Habersack/J. Vetter/Bergmann, in: VGR, Reformbedarf im Aktienrecht, Rz. 2.9.

[5] Bachmann, NJW 2024, 2734 Rz. 28.


*Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und ist als Studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Jens Koch am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Abteilung Gesellschaftsrecht beschäftigt (LinkedIn).

Zitiervorschlag: Belke, Reformvorschläge zum 74. Deutschen Juristentag – Ein Überblick (Teil I), INUR-blog v. 18.09.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/reformvorschlage-zum-74-deutschen-juristentag-ein-uberblick-teil-i/; zuletzt abgerufen am: ).