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Nachlese zum 74. DJT – Gesellschaftsrecht als Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel? (Teil II)

von Theresa Belke*

Vom 25. bis zum 27. September tagte der 74. Deutsche Juristentag in der Stuttgarter Liederhalle. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die diesjährige Gutachtenfrage: Empfehlen sich im Kampf gegen den Klimawandel gesetzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts? Während ein erster Beitrag (Belke, Reformvorschläge zum 74. Deutschen Juristentag – Ein Überblick (Teil I), INUR-blog v. 18.09.2024 [abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/reformvorschlage-zum-74-deutschen-juristentag-ein-uberblick-teil-i/] bereits einen Überblick über das für die wirtschaftsrechtliche Abteilung verfasste Gutachten von Prof. Dr. Marc-Philippe Weller, die Thesen der Referenten Prof. Dr. Joachim Hennrichs, Vera Obernosterer und Dr. Friedericke Rotsch sowie weitere Vorschläge aus der Literatur gegeben hat, soll der folgende Beitrag die Diskussion (I.) und die letztendlich gefassten Beschlüsse (II.) wiedergeben und einordnen.

I. Diskussion

1. Referate und Einstieg in die Diskussion

Der erste Tag des Fachprogramms der wirtschaftsrechtlichen Abteilung begann mit den Referaten. Den ersten Aufschlag machte Obernosterer und konzentrierte sich dabei auf zwei der vom Gutachten vorgeschlagenen Regelungen: die Klimaquote und das Say on Climate. Beides ordnete sie vor dem Hintergrund des Art. 22 CSDDD als Überregulierung im nationalen Recht ein. Anschließend stellte Rotsch ihre Thesen vor und äußerte – wie schon die vorab veröffentlichten Thesen durchblicken ließen – Bedenken gegen die gutachterlichen Vorschläge aus Sicht der Unternehmenspraxis (vgl. jeweils den Überblick zu ihren Thesen in Teil I). Nach einer kurzen Pause erhielt Hennrichs das Wort und äußerte ebenfalls Bedenken. Er stellte u.a. die Frage in den Mittelpunkt, ob ein nationaler Alleingang in der Nachhaltigkeitsregulierung überhaupt sinnvoll ist oder nicht eine internationale Lösung gefunden werden müsse. Hennrichs plädierte für eine alternative Klimatrias in Form von globaler Kooperation, Innovation und Anpassung. Gutachter Weller betonte in seinem sich anschließenden Statement, dass die rechtliche Verantwortung Deutschlands im Klimaschutz klar sei, da Deutschland zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens völkerrechtlich verpflichtet sei. Insbesondere sei es dem nationalen Gesetzgeber nicht erlaubt, Klimaschutzmaßnahmen mit dem Einwand zu unterlassen, dass andere Staaten noch weniger unternehmen würden. Dies habe auch die jüngste Entscheidung des EGMR gegen die Schweiz gezeigt.[1]

Daraufhin lud Abteilungsvorsitzender Prof. Dr. Jochen Vetter die Teilnehmer des Fachprogramms der wirtschaftsrechtlichen Abteilung zu Wortbeiträgen ein. Als ein erster Dreh- und Angelpunkt der dadurch entfachten Diskussion erwies sich das von Hennrichs erwähnte Stichwort „Wasserbetteffekt“[2]. Einige Diskutanten griffen die Bedenken gegen eine nationale Regulierung auf. Dadurch war die Diskussion anfänglich von einer gewissen Skepsis gegenüber der Rolle und Eignung des deutschen Gesellschaftsrechts im Kampf gegen den Klimawandel geprägt.

Diesem Trend entgegnete sodann Prof. Dr. Jens Koch, er habe aus dem bisherigen Diskussionsverlauf – der schon vor dem eigentlichen DJT begann – drei Haupteindrücke mitgenommen: Zum einen habe das Gutachten im Wesentlichen die Instrumente aufgezeigt, mit denen das Gesellschaftsrecht einen Beitrag zum Klimaschutz leisten könne. Dabei falle aber zweitens auf, dass sich im Gesellschaftsrecht nicht sonderlich viele solcher Klimaschutzinstrumente fänden. Den dritten Eindruck untermauerte Koch mit einer vorab geäußerten Feststellung von Prof. Dr. Holger Fleischer,[3] das Gesellschaftsrecht sei nach anderen Regelungsstandorten und -instrumenten stets nur die dritt- oder viertbeste Lösung. Konsequenterweise sei dann aber – wie zuvor schon von Hennrichs in seinem Referat zitiert – nach Montesquieu zu folgern: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Er appellierte an die Abteilung, dass in der folgenden Diskussion anstelle von allgemeinen Ausführungen auf die Beschlussvorschläge eingegangen werde.

2. Klimaplan und Klimaquote

Am zweiten Tag folgte die Diskussion dann der Empfehlung Kochs und fokussierte sich stärker auf die vom Gutachten vorgebrachten Vorschläge. Zu Beginn stand vor allem das Herzstück des Gutachtens – die Klimaquote – im Mittelpunkt. Mit der Aufmerksamkeit der Diskutanten ging aber vielfach Kritik einher. So wurden der Mehrwert und die Notwendigkeit einer zusätzlichen jährlichen Klimaquote – vor allem neben Art. 22 CSDDD – angezweifelt. In diesem Zusammenhang setzte sich vor allem die am Vortag angestoßene Diskussion um den geeigneten Regelungsstandort fort. Prof. Dr. Timo Fest stellte diesbezüglich allerdings infrage, ob es überhaupt so entscheidend sei, ob die Regelungen im öffentlichen oder im privaten Recht umgesetzt würden, da die Regelungen über die Legalitätspflicht der Geschäftsleitungsorgane ohnehin Anwendung fänden. Nach seiner Ansicht bedürfe es eines smart mix aus öffentlichem Recht und Gesellschaftsrecht. Sowohl Prof. Dr. Peter Hommelhoff als auch Fleischer sprachen sich für eine 1:1-Umsetzung von Art. 22 CSDDD ins nationale LkSG aus. Hommelhoff ging zudem auf die Umsetzungsschwierigkeiten hinsichtlich der Scope 3-Emissionen ein und betonte, dass die nur teilweise Berücksichtigung dieser Emissionen über den Spielraum des Art. 22 CSDDD hinausginge.[4] Damit tendierte er in eine andere Richtung als die Überlegungen von Obernosterer, die Scope 3-Emissionen – wie der Wortlaut des Art. 22 CSDDD möglicherweise zuließe – nur dann einzubeziehen, wenn die Einbeziehung zweckmäßig sei, was bei Doppelzählungen innerhalb der Wertschöpfungskette angezweifelt werden könne. Schließlich ergriff Christian Meyer-Seitz (BMJ) das Wort und gewährte der Abteilung einen Insiderblick: Die Regierung plane aktuell, die CSDDD noch in dieser Legislaturperiode 1:1 ins LkSG umzusetzen.[5] Von weiteren Regelungen möchte das BMJ allerdings absehen, wenn diese zu einer zusätzlichen Belastung auf Seiten der Unternehmen führen.

3. Rechtsformzusatz

Besonders kontrovers diskutiert wurde der Vorschlag eines Rechtsformzusatzes „klimaneutral“: Insbesondere Fleischer machte sich für die generelle Idee eines Rechtsformzusatzes stark. Er zeigte auf, dass ein derartiger Zusatz auf der internationalen Bühne kein Novum sei und in anderen Ländern bereits signifikante Wachstumserfolge zeige, kritisierte aber die Beschränkung des Gutachtenvorschlags auf den Klimawandel. Eine derartige Beschränkung sei auch in ausländischen Rechtsordnungen nicht zu finden. Wichtig sei, dass nicht zu viele verschiedene Rechtsformzusätze existierten, da sonst künftig zahlreiche verschiedene Bezeichnungen – wie dann bspw. auch die soziale GmbH – kursieren könnten. Camilla Seemann argumentierte ebenfalls für den Rechtsformzusatz und sah diesen als geeignetes Mittel, um Informationsasymmetrien auszugleichen. Gänzlich anderer Ansicht war hingegen Dr. Christian Müller-Gugenberger (Richter, OLG Stuttgart a.D.). Er hielt die Instrumentalisierung des Firmen- und Registerrechts für einen „Irrweg“. Der Rechtsformzusatz intendiere, Transparenz bzgl. der Haftungsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft zu schaffen, sei aber kein Standort für Werbung zwecks positiver Reputation.[6] Auch Prof. Dr. Johannes Wertenbruch konnte dem Rechtsformzusatz nur wenig abgewinnen. Nach seiner Ansicht seien die Rechtsform und der Unternehmensgegenstand zu trennen. Die Bezeichnung „klimaneutral“ sei stattdessen als Firmenzusatz einzuführen. Er forderte, die formellen und materiellen Voraussetzungen der Aufnahme eines Firmenbestandteils „klimaneutral“ dezidiert zu regeln. Dies würde dann auch zu keiner Be-, sondern zu einer Entlastung der Gerichte führen. Diese Idee fand unter den Diskutanten Anklang und wurde später auch in die Beschlussvorschläge aufgenommen.

4. Varia

Im Gegensatz zur Klimaquote und dem Rechtsformzusatz erfuhren die Vorschläge zur Instrumentalisierung des Aufsichtsrats kaum Aufmerksamkeit. Prof. Dr. Jan Lieder lehnte die Vorschläge zu Klimaexpertise und Klimaausschuss im Aufsichtsrat ab, vielmehr würden – wenn überhaupt erforderlich – DCGK-Regelungen genügen. In eine ähnliche Richtung wies bereits Rotsch in ihrem Referat und hielt die Regelungen für gänzlich entbehrlich, da es den Unternehmen bereits nach aktueller Rechtslage freistünde, ihren Aufsichtsrat entsprechend zu besetzen bzw. auszugestalten. Der Vorschlag eines Say on Climate teilte die Abteilung schließlich in zwei – zahlenmäßig weitgehend ausgeglichene – Lager. So sprach sich Fest grundsätzlich für ein Say on Climate aus, allerdings nur – wie in § 119 Abs. 2 AktG vorgesehen – mit einem Initiativrecht des Vorstands, nicht aber der Aktionäre. Er zweifelte – wie auch schon Obernosterer in ihrem Referat – an der Geeignetheit der binären Beschlussfassung der Hauptversammlung, die Inhomogenität der Aktionäre abzubilden. So könne es Aktionäre geben, denen der Klimaplan zu wenig ambitioniert sei; anderen sei er womöglich zu weitreichend. Beide würden dann allerdings mit „Nein“ abstimmen, wobei deren divergierende Auffassungen im Abstimmungsergebnis nicht erkennbar wären.

Gegen Ende der Diskussion sprachen sich sowohl Prof. Dr. Dörte Poelzig als auch J. Vetter dafür aus, dass der Gesetzgeber den Tatbestand des Acting in Concert so modifiziere, dass den Aktionären keine Steine in den Weg gelegt würden, wenn sie sich gemeinsam für den Klimaschutz – auch im Rahmen eines Say on Climate – engagierten.

II. Diskussion

Zum Abschluss des Fachprogramms folgte schließlich die Beschlussfassung der Abteilung, bei der rund 100 Mitglieder abstimmten.[7] Die Abteilung beschloss, dass angesichts der Dringlichkeit und der Bedrohungen durch den Klimawandel gesetzgeberische Maßnahmen zur Eindämmung desselben gerechtfertigt seien (Beschluss 1). Art. 22 CSDDD, der die Unternehmen zur Erstellung und Veröffentlichung eines Klimatransformationsplans verpflichtet, solle daher zeitnah (Beschluss 2) und möglichst 1:1 (Beschluss 3a) in deutsches Recht umgesetzt werden. Lediglich die Klimaneutralitätsvorgabe soll im Einklang mit dem Bundesklimaschutzgesetz auf 2045 festgesetzt, die CSDDD dahingehend also überschießend umgesetzt werden (Beschluss 3b). Allerdings sollte auf die Verpflichtung zu einer zusätzlichen jährlichen Klimaquote verzichtet werden (Beschluss 3c). Der Vorschlag, Gesellschaften den Rechtsformzusatz „klimaneutral“ zu ermöglichen, wurde von der überwiegenden Mehrheit abgelehnt (Beschlüsse 9a, 9b, 9c). Auch die meisten Klimagovernance-Instrumente, so bspw. die Aufnahme von Klimabelangen in §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 S. 2 AktG (Beschlüsse 10, 11) sowie eine verpflichtende Klimaexpertise oder ein Klimaausschuss im Aufsichtsrat (Beschlüsse 14, 15, 16), wurden abgelehnt. Lediglich der Vorschlag eines sog. Say on Climate wurde mit denkbar knapper Mehrheit angenommen (Beschluss 17). Eine Klarstellungim Tatbestand des Acting in Concert (§ 30 Abs. 2 WpÜG, § 34 Abs. 2 WpHG)wurde vielfach befürwortet (Beschluss 18). Die derzeitigen Vorgaben der CSRD und ESRS stießen nicht zuletzt aufgrund der hohen Rechtsbefolgungskosten auf deutliche Kritik. So beschloss die wirtschaftsrechtliche Abteilung, dass der nationale Gesetzgeber in Zukunft bei europäischen Rechtsakten stärker auf die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz achten solle (Beschluss 7).

III. Abschließende Betrachtung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 74. Deutschen Juristentags die zentrale Bedeutung von Klimaschutzmaßnahmen anerkannt, gleichzeitig aber Bedenken hinsichtlich einer Überregulierung im Gesellschaftsrecht geäußert hat. Die Balance zwischen notwendigen Regelungen und der Vermeidung von Überlastung der Unternehmen stand im Fokus der Diskussion. Letztlich wurde deutlich, dass der Klimaschutz auch auf globaler Ebene und durch öffentlich-rechtliche Maßnahmen unterstützt werden muss. Das Gesellschaftsrecht kann zwar eine Rolle spielen, sollte jedoch gezielt und maßvoll eingesetzt werden.


[1] S. zu diesem Urteil auch Blum, Erfolgreiche Klimaklage vor dem EGMR v. 9.4.2024, INUR-blog v. 10.5.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/erfolgreiche-klimaklage-vor-dem-egmr-v-09-04-2024-ein-startschuss/).

[2] Der Wasserbetteffekt beschreibt das Phänomen, dass die Emissionsreduktion eines Landes in diesem zu einer geringeren Nachfrage nach CO2-Zertifikaten führt, was eine Preissenkung der Zertifikate zur Folge hat. Dadurch steigt die Nachfrage nach Zertifikaten aus anderen Ländern des Emissionshandels, die dann wiederum mehr CO2 emittieren, sodass insgesamt keine tatsächliche Emissionsreduktion erzielt werden kann. S. dazu auch Schmidt, Welche Rolle hat der CO2-Preis im Klimaschutz, in: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hrsg.), Wirtschaft verstehen, Zukunft gestalten, Juli 2023, S. 5 f., abrufbar unter https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/Wirtschaft-Zukunft/Downloads/wvzg-download-text-03.pdf?__blob=publicationFile&v=4.

[3] Fleischer, DB 2024, 2410, 2411.

[4] Vgl. zu dieser Problematik Weller/Schwemmer, AG 2024, 517, 520.

[5] Ob eine 1:1-Umsetzung überhaupt möglich ist, wird mit Blick auf den Anwendungsbereich des LkSG und das Verschlechterungsverbot aus Art. 1 Abs. 2 CSDDD teilweise in Zweifel gezogen, vgl. näher Mittwoch, NJW 2024, 2353 ff. Skeptisch bzgl. dieser Auslegung Schneider/Brouwer, EuZW 2024, 889 ff.

[6] Vgl. zur produktbezogenen Werbung mit dem Wort „klimaneutral“ schon den Blogbeitrag von Geschonneck, Unique selling point oder leere Floskel? – Die rechtliche Entwicklung von Werbung mit Klimaneutralität, INUR-blog v. 19.7.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/unique-selling-point-oder-leere-floskel-die-rechtliche-entwicklung-von-werbung-mit-klimaneutralität/).

[7] Die Beschlüsse sind unter https://djt.de/wp-content/uploads/2024/09/djt_74_Beschluesse_Wirtschaftsrecht.pdf zu finden.


*Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und ist als Studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Jens Koch am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht, Abteilung Gesellschaftsrecht beschäftigt (LinkedIn).

Zitiervorschlag: Belke, Nachlese zum 74. DJT – Gesellschaftsrecht als Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel? (Teil II), INUR-blog v. 23.10.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/nachlese-zum-74-djt-gesellschaftsrecht-als-schlussel-im-kampf-gegen-den-klimawandel-teil-ii/; zuletzt abgerufen am: ).