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Klimaklagen als gesellschaftliches Korrektiv: Wie Unternehmen das finanzielle Risiko von Klimaklagen unterschätzen – Teil 1

von Chiara Arena* und Raphaël Beermann**

20 Mrd. EUR an geschätzten Schäden im Ahrtal im Jahr 2021, 200 Mio. an geschätzten Schäden im Saarland im Mai dieses Jahres – beides verheerende Hochwasserkatastrophen, deren Wahrscheinlichkeit und Intensität durch die Klimakrise erheblich erhöht wird. Diese Zahlen verdeutlichen, was mittlerweile auch Unternehmen und Finanzbranche endlich verstehen: die Klimakrise birgt erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Risiken, auch in Deutschland.

Bisher ist politisch und gesetzlich aber noch weitestgehend ungeklärt, wer diese Risiken zu tragen hat. Bleibt es beim rechtlichen und politischen Status quo, so werden der Großteil der Risiken und Kosten auf die Allgemeinheit fallen. Währenddessen führen klimabedingte Katastrophen, deren erhöhte Wahrscheinlichkeit und die Tatenlosigkeit von Politik und Wirtschaft immer häufiger zu Klagen gegen diejenigen, die als Verursacher der Klimakrise wahrgenommen werden. Dieser Beitrag soll aufzeigen, wie Klagen der Zivilgesellschaft im Kontext der Klimakrise und den damit verbundenen finanziellen Risiken als nötiges gesellschaftliches Korrektiv zur Umverteilung dieser Risiken und den damit verbundenen Kosten genutzt werden.

Was sind Klimaklagen?

Laut einer jährlichen Analyse des LSE Grantham Institutes wurden seit der Verabschiedung des Pariser Klimaschutzabkommens im Jahr 2015 weltweit in etwa 1,860 Klimaklagen registriert. Allein im Jahr 2023 wurden 233 neue Klagen vorgebracht. Davon ist ein stetig ansteigender Anteil gegen Unternehmen gerichtet. Beklagte reichen von realwirtschaftlichen Unternehmen, über Pensionskassen und Banken bis hin zu dem Unternehmensvorstand. Einer der prominentesten Fälle in Deutschland betrifft die Klage eines peruanischen Bauern und Bergführers gegen den Energiekonzern RWE, in welcher er vom Konzern eine Beteiligung an den erforderlichen Schutzmaßnahmen vor Klimafolgen fordert.

Der Begriff der Klimaklagen wird von Gerichten selbst meist nicht verwendet, dementsprechend variieren diese Zahlen je nach der angenommenen Definition von Klimaklagen. Für den Zweck der vorliegenden Analyse wird in Anlehnung an die LSE-Studie ein breites Verständnis von Klimaklagen angelegt: Jegliche rechtliche Auseinandersetzung, in der Klimawissenschaft, -politik, oder -recht eine maßgebliche Rolle spielen.

Was sind klimabezogene finanzielle Risiken

Klimabezogene finanzielle Risiken können sich für Unternehmen sowohl aus den physischen Folgen des Klimawandels als auch aus dem gesellschaftlichen Wandel hin zu einer klimaneutralen Zukunft ergeben. Das erste breitflächig angewandte Risikoanalyse- und Reportingsystem der Taskforce on Climate-Related Financial Disclosures geht daher von zwei Kategorien von finanziellen Klimarisiken für Unternehmen aus: physische Risiken und transitorische Risiken (siehe Schaubild 1).

Schaubild 1. Quelle: Recommendations of the Taskforce on Climate-related Financial Disclosures 2017, p.8

Physische Risiken erfassen dabei bspw. die Schäden an der Infrastruktur oder innerhalb der Lieferketten von Unternehmen durch Waldbrände und Hochwasser. Dagegen werden unter transitorische Risiken solche zusammengefasst, die durch die Transition zu einer klimafreundlichen und resilienten Wirtschaft (durch sogenannte Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen) aufkommen können. Erfasst sind bspw. strengere Klimaschutzgesetze, die Geschäftsumstellung auf neue Technologien oder auch die Auswirkungen von einer CO2-Besteuerung auf Produktionskosten. Insbesondere transitorische Risiken können dazu führen, dass Vermögenswerte “stranden”, also massive oder komplette Wertverluste erfahren, bspw. wenn Kohlekraftwerke in Folge von Klimaschutzmaßnahmen stillgelegt werden (sogenannte stranded assets). Auch die hier zu behandelnden Haftungs- und Klagerisiken werden typischerweise in der Kategorie der transitorischen Risiken erfasst.

Wie werden diese Risiken gehandhabt?

Viele Unternehmen, insbesondere in der Finanzwirtschaft, integrieren inzwischen die Auswirkungen der Klimakrise in ihr Risikomanagement. Es vermehren sich jedoch Anzeichen, dass sowohl physische Risiken als auch insbesondere Klimaklagerisiken bislang unzureichend berücksichtigt und eingepreist wurden:

Dies gilt bereits für Versicherungsunternehmen. Diese fallen aufgrund der Natur ihrer Geschäftstätigkeit unter die ersten Akteure, auf welche sich finanzielle Klimarisiken in Kosten niederschlagen. Risikomanagement und -einpreisung gehören daher zum Kern ihrer Tätigkeit. Obwohl diese Unternehmen die Klimakrise früh erkannt und die Folgen intern modelliert haben, scheinen sie vom Ausmaß der physischen Risiken überrascht zu werden, sodass Versicherer nun in manchen Bereichen die Deckung solcher klimabezogenen Risiken (bspw. Hausversicherungen in Flut-gefährdeten Gebieten) aufgrund massiver Verluste zunehmend verweigern. Teilweise wird sogar von einer bald nicht mehr versicherbaren Welt gesprochen.

Selbst wenn Versicherer oder andere Unternehmen Risikomanagementkonzepte verwenden, adressieren diese hauptsächlich physische und politische Risikofaktoren. Klimaklagerisiken scheinen nur als Randerscheinung behandelt zu werden: Aktuelle Unternehmensberichte, bspw. jene der Deutschen Bank, VW und Munich Re, lassen vermuten, dass Klimaklagerisiken bislang nur in Einzelfällen systematisch berücksichtigt werden. Angesichts dieser mangelnden Berücksichtigung mehren sich Warnungen von Aufsichtsbehörden und Experten. So mahnte beispielsweise Frank Elderson, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, in seiner Rede auf einer EZB-Konferenz im Jahr 2023 an, dass Banken dringend Klimaklagen besser verstehen und Strategien für die Minderung der damit verbundenen finanziellen Risiken entwickeln müssen. Auch der Verbund der Zentralbanken für Klimaschutz “Network for Greening the Financial System (NGFS)” drängt nun Finanzinstitutionen dazu, sich vermehrt mit Klimaklagen und deren finanziellen Implikationen zu befassen.

Diese finanziellen Implikationen sind auch aufgrund methodischer Herausforderungen bisher nur gering erforscht. Abgesehen von den direkten Kosten für beklagte Unternehmen (bspw. Anwalts- und Prozesskosten) wird von erheblich höheren indirekten Kosten ausgegangen, insbesondere ausgelöst durch Reputationsschäden. Erste quantitative Analysen der LSE zeigen, dass ein für das Unternehmen nachteiliges Urteil oder sogar nur die Einreichung einer Klimaklage gegen sog. “Carbon Majors” – die 122 größten Kohle, Öl, Gas- und Zementunternehmen – den Unternehmenswert im Durchschnitt um 0,41 % (im Vergleich zum erwarteten Wert) senken können. Zunehmend werden in der Literatur Stimmen laut, die unterstreichen, dass Klimaklagen in ihrer Tragweite und in ihren möglichen Wirkungen deutlich unterschätzt werden. Im Folgenden wird auf Grundlage dieser Analysen dargelegt, welches finanzielles und gesellschaftliches Korrektivpotenzial Klimaklagen innewohnt und wieso für Unternehmen an der umfassenden Einpreisung klimabezogener Risiken kein Weg vorbeiführt.

Welche Klimaklagerisiken gibt es und warum unterschätzen Unternehmen sie?

Klimaklagen bergen möglicherweise ein viel breiteres finanzielles Risiko als bisher angenommen. Die Betrachtung von finanziellen Klimaklagerisiken sollte sich nicht darin erschöpfen, wie hoch Verfahrenskosten anfallen, welche etwaigen Zahlungen am Ende des Verfahrens angeordnet werden könnten, sowie welche direkten Reputationsschäden für das beklagte Unternehmen zu erwarten sind. Zu berücksichtigen sind unter anderem auch erhöhte Versicherungskosten, bspw. wenn Versicherungsunternehmen als Reaktion auf Klimaklagen (oder der Wahrnehmung eines erhöhten Klimaklagerisikos bei ihren Kunden) ihre Deckungskonditionen ändern und/oder Prämien für besonders risikoexponierte Unternehmen erhöhen. In ähnlicher Weise können sich für beklagte Unternehmen auch erhöhte Finanzierungskosten durch eine beeinträchtigte Kreditwürdigkeit ergeben. Dies kann bspw. eintreten, wenn Kreditgeber die Klimaklagerisiko-Exposition eines Unternehmens als so hoch bewerten, dass es sie dazu veranlasst ihre Vertragsbedingungen anzupassen und höhere Zinszahlungen zu verlangen. Ebenso können Anleger ihre bestehenden Investitionen überdenken oder sogar selbst derivative Haftungs(klima)klagen unterstützen. Die bloße Zugehörigkeit zu einer besonders beklagten oder klagegefährdeten Branche (bspw. Energiesektor) kann dabei schon zu Reevaluierungen auf Seiten von Finanzierern und Versicherern führen. Darüber hinaus könnten manche Klimaklage-Konstellationen je nach Ausgang des jeweiligen Verfahrens ganze Geschäftsmodelle bedrohen (bspw. die Klagen gegen Shell oder VW) oder bspw. auch eine über das einzelne Verfahren hinausgehende Haftung für ganze Branchen bzw. besonders emissionsintensive Unternehmen begründen (bspw. die RWE-Klage).

Weiter wird am Beispiel von Finanzinstitutionen noch deutlicher, wie von Klimaklagen bedingte Risiken sowohl direkt beklagte Unternehmen als auch dritte, mit diesem nur mittelbar verbundene Unternehmen, erfassen können.

Schaubild 2. Quelle: Javier Solana, „Climate change litigation as a financial risk“, Green Finance, 2(4): 344–372.

Es leuchtet schnell ein, wie gegen Kunden von Finanzinstitutionen gerichtete Klimaklagen das von der Finanzinstitution getragene Bonitätsrisiko beeinflussen können, wenn die Zahlungsfähigkeit ihres Kunden beeinträchtigt wird. Darüber hinaus könnten aufgrund der finanziellen Verbindung zum beklagten Unternehmen etwaige Reputationsschäden und damit einhergehende Kosten teilweise auch auf die jeweiligen Finanzinstitutionen überschwappen. Über diese Verbindung könnten sich ebenfalls für die Finanzinstitution erhöhte Versicherungs- und Finanzierungskosten ergeben. Außerdem kann die finanzielle Beziehung zu klimaklagerisikoexponierten (und damit in der Regel emissionsintensiven) Unternehmen dazu führen, dass Finanzinstitutionen selbst aufgrund der Finanzierung von Emissionen vermehrt zum Ziel von Klimaklagen werden. Allmählich scheinen sich einige Akteure des Finanzsektors dieser größeren Tragweite von Klimaklagerisiken zumindest teilweise bewusst zu werden. Die weiterreichenden Auswirkungen von Klimaklagen auf klimabezogene Risiken scheinen jedoch weiter unterschätzt und missverstanden zu werden. Aktuelle Risikomanagement-Konzepte berücksichtigen nur unzureichenderweise die rechtliche Dimension von klimabezogenen Risiken, welche ihre Größe und Verteilung maßgeblich mitbestimmt. Auf Grundlage dieser falschen Annahmen werden jedoch fehlgeleitete Risiko-Abwägungen vorgenommen und letztendlich Finanzierungsentscheidungen getroffen, was im Ergebnis einem Blindflug gleicht.

Währenddessen ist sich die Zivilgesellschaft dieser potenziell weitreichenden Auswirkungen durchaus bewusst und macht sich Klimaklagen als potenten Hebel zu Nutzen.

Dieser Beitrag wird im nächste Woche erscheinenden zweiten Teil fortgesetzt. (Link folgt)


*Chiara Arena ist unter anderem als Beraterin für Sustainable Finance und Klimarecht bei Green Legal Impact e.V. tätig. Sie beschäftigte sich bereits in ihrem LLM und als Mercator Fellow mit Klimaklagerisiken und deren Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft. (LinkedIn)

**Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Berliner Rechtsanwaltskanzlei und unterstützt Green Legal Impact als Sustainable Finance Berater. (LinkedIn)

Zitiervorschlag: Arena/Beermann, Klimaklagen als gesellschaftliches Korrektiv: Wie Unternehmen das finanzielle Risiko von Klimaklagen unterschätzen – Teil 1, INUR-blog v. 14.11.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/klimaklagen-als-gesellschaftliches-korrektiv-wie-unternehmen-das-finanzielle-risiko-von-klimaklagen-unterschatzen-teil-1; zuletzt abgerufen am: ).