Fünf gute Gründe, Nachhaltigkeit nicht auf die „lange Bank“ zu schieben

von Dr. Daniela Kelm, LL.M.*

Fakt ist, dass viele Betroffene beim Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung Berührungsängste und Unsicherheiten dahingehend empfinden, wie man sich dem Thema erfolgreich nähern sollte. Fakt ist aber auch, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung für sehr viele Unternehmen unausweichlich ist. Zur Motivation, das Thema anzupacken und nicht zu vertagen, dienen die folgenden fünf Gründe und der Ausblick.

1. Die Länge der Bank, das heißt die noch zur Verfügung stehende Zeit, ist kürzer als sie aussieht!

Die Tatsache, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung für die nächste Gruppe von Unternehmen, die von der Berichterstattungspflicht erfasst werden, „erst ab 2026“ greift, sollte nicht als (zu) komfortabel wahrgenommen werden. Denn mit Blick auf die „Bank“ ist dies eine optische Täuschung: Da die Berichterstattung dem Geschäftsjahr, über das berichtet wird, nachgelagert ist, stehen bereits jetzt Vorbereitungsmaßnahmen an. Datenerhebungen und Datenadministration sind regelmäßig Problemfelder, die – neben den entsprechenden Verantwortlichkeiten – im Unternehmen geklärt sein müssen. Denn die Daten, die am Ende mit der Berichterstattung transparent werden, müssen nachvollziehbar und verlässlich sein. Dies ist nur mit entsprechend implementierten Prozessen zur Datenerfassung, Dokumentation und Kontrolle, unter anderem durch eine Integration in das Risikomanagementsystem möglich. Insofern sollten alle großen Unternehmen, die nicht etwa aufgrund einer Kapitalmarktorientierung bereits für das aktuelle Geschäftsjahr 2024 eine nichtfinanzielle Berichterstattung vorlegen müssen, in den Startlöchern stehen. Alle großen Unternehmen müssen mit Beginn des Geschäftsjahres 2025 bereit sein, neben den finanziellen auch die nichtfinanziellen Unternehmenskennzahlen richtig zu erfassen und über sie zu berichten.

2. Die Regulatorik ist unausweichlich, auf gravierende Erleichterungen im deutschen Umsetzungsgesetz ist nicht zu hoffen!

Für viele Unternehmen steht bei den Überlegungen ihrer Transformation in nachhaltiges Wirtschaften die Regulatorik im Vordergrund: gesetzliche Normen müssen erfüllt werden, Compliance mit den zahlreichen Vorgaben der EU-Kommission (insbesondere der EU-Taxonomie, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der European Sustainability Reporting Standards (ESRS)) und des deutschen Gesetzgebers bei der zum Teil erforderlichen Umsetzung (die CSRD ist bis zum 6. Juli 2024 in den Mitgliedstaaten in nationales Recht zu gießen) ist ausfüllend und anspruchsvoll genug. Dabei geraten andere „Treiber“ und vor allem auch Chancen einer solchen Transformation in den Hintergrund. Richtig ist aber in jedem Fall, dass die Regulatorik insofern berechenbar ist, als bereits komplexe Teile der kommenden Pflichten durch EU-Regelwerke festgelegt und somit nicht mehr „verhandelbar“ sind. Dies gilt, auch wenn in Deutschland wie in vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die erforderliche Umsetzung der CSRD noch nicht abgeschlossen ist – immerhin hat das Bundesministerium der Justiz den lange erwarteten Referentenentwurf eines Umsetzungsgesetzes am 22. März veröffentlicht. Stellungnahmen zum Referentenentwurf können im Rahmen der sogenannten Länder- und Verbändebeteiligung bis zum 19. April 2024 an das BMJ übermittelt werden.

3. Die Nachhaltigkeits-Reputation eines Unternehmens ist ein nicht zu unterschätzender Teil des Wettbewerbs!

Mit Nachhaltigkeitsinformationen kann sich ein Unternehmen am Markt auch positionieren, einen guten Ruf auf- oder ausbauen und im Wettbewerb profitieren. Nicht nur Privatkunden gehen zunehmend bewusster mit Nachhaltigkeitsthemen insbesondere aus den die Umwelt tangierenden Bereichen um – Nachhaltigkeit, entsprechende Siegel, Zertifikate und Scores spielen eine größer werdende Rolle bei ihren Kaufentscheidungen. Auch die Öffentlichkeit insgesamt hat hierzu ein neues Bewusstsein entwickelt, das durch eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit „bedient“ wird.

Schließlich sind auch Lieferantenbeziehungen in diesem Zusammenhang zunehmend von Nachhaltigkeitsfaktoren bestimmt: Lieferanten sehen sich insofern mit dem Wunsch der Geschäftspartner nach einer „sauberen Lieferkette“ konfrontiert. Ein sogenannter Code of Conduct für Lieferanten und Geschäftspartner dient manchen Unternehmen dazu, mit Statements wie „Wir machen nur Geschäfte mit sauberen Partnern“ zu werben. Wer die Nachhaltigkeit seiner Produkte auch mit der Nachhaltigkeit der einzelnen Produktbestandteile begründen, also mit einer nachhaltigen Lieferkette werben und sich somit im Wettbewerb hervorheben möchte, sollte die Nachhaltigkeit auch im Lieferantenmanagement verankern.

Für alle Adressaten von Nachhaltigkeitsinformationen, die hieraus einen eigenen, subjektiven Wert ableiten und zu einem guten Ruf des Unternehmens (auch durch Berichte oder Kommentare in den sozialen Medien) beitragen, sind die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Informationen entscheidende Faktoren.

4. Die eigenen Mitarbeiter werden es danken, für künftige Mitarbeiter mag die Nachhaltigkeit des Arbeitgebers ein Auswahlkriterium sein.

Chancen bieten sich aus einer frühzeitig vom Unternehmen selbst aufgegriffenen und authentisch verfolgten Transformation hin zu nachhaltigerem Wirtschaften mit Blick auf eine sehr wichtige Zielgruppe: die (bestehenden und potenziellen) Mitarbeiter. In Zeiten des Wettbewerbs um berufliche Nachwuchskräfte und Fachkräfte sollten Unternehmen sich die Chance nicht entgehen lassen, mit einer glaubwürdig gelebten Nachhaltigkeitsstrategie und entsprechender Berichterstattung sich von etwaigen Wettbewerbern abzuheben. Ein entsprechender Ruf des (potenziellen) Arbeitgebers kann insbesondere bei jüngeren Menschen mit einem gegebenenfalls stärker ausgeprägten Wunsch nach Identifikation mit dem Arbeitgeber eine bedeutende Rolle spielen.

5. Nachhaltigkeitsinformationen spielen im Rahmen der Kreditvergabe beziehungsweise bei Investoren eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Schließlich kann sich die ernsthafte Befassung mit Nachhaltigkeitsaspekten und einer etwaigen Umstellung oder Anpassung des Geschäftsmodells positiv im Rahmen von Kreditvergaben (etwa durch niedrigere Finanzierungskosten) oder beim Anwerben von Investoren über den Kapitalmarkt auswirken. Auf der anderen Seite der Medaille steht das Risiko, dass für bestimmte Vorhaben gar keine Finanzierung mehr, beziehungsweise nur noch eine Finanzierung unter extrem schlechten Konditionen erhältlich ist.

Fazit und Ausblick: Es liegen viele gute Gründe auf der Hand, die Nachhaltigkeitsbemühungen nicht auf die lange Bank zu schieben. Vielmehr sind verschiedene Anreize offenkundig, die einem „Vertagen“ dieses wichtigen Themas entgegenstehen. Demzufolge sollte die verbleibende Zeit sinnvoll genutzt werden.

Die oft zitierten 15.000 Unternehmen, die für das kommende Geschäftsjahr erstmalig einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen müssen, haben in diesem Sinne auch größtenteils jedenfalls begonnen, zunächst mit einer Betroffenheitsanalyse auch den Status quo zu erheben, in diesem Zusammenhang die bestehenden Unternehmensprozesse zu betrachten und diese mit den CSRD-ESRS-Anforderungen abzugleichen. Viele haben von ihren Wirtschaftsprüfern oder Beratern anhand eines sogenannten ESRS-Readiness-Checks eine Identifikation von Lücken und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt bekommen sowie Handlungsempfehlungen erhalten. Die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette wurde ggf. noch stärker betrachtet, Nachhaltigkeitskennzahlen erfasst, Ziele definiert.

In der (fortgeschrittenen) Vorbereitung der erstmaligen Nachhaltigkeitsberichterstattung spielt sodann die Wesentlichkeitsanalyse eine wichtige Rolle, denn von den über 1.100 Datenpunkten der 82 Disclosure Requirements der ESRS steht ein großer Teil unter dem Wesentlichkeitsvorbehalt, der insbesondere im Mittelstand für eine große Erleichterung sorgen kann. Wesentlichkeitsvorbehalt bedeutet, dass nur über jene Datenpunkte berichtet werden muss, die sich auf „material topics“ beziehen – dies sind weitaus weniger als die zunächst erfassten grundsätzlich relevanten Nachhaltigkeitsaspekte. Die Wesentlichkeitsanalyse ist demnach ein wichtiges Instrument, mit dem in verschiedenen Stufen, das heißt unter Berücksichtigung der Ansichten von externen Experten, Stakeholdern und Peer-Groups als auch unter Beurteilung der doppelten Wesentlichkeit (das ist zum einem die Auswirkungswesentlichkeit aus der Inside-Out-Perspektive und zum anderen die finanzielle Wesentlichkeit aus der Outside-in-Perspektive) die Datenpunkte individuell herauskristallisiert werden, die tatsächlich für das Unternehmen zu berichten sind.

Es ist naheliegend, dass eine sorgfältige und frühzeitig begonnene Planung der erstmaligen Berichterstattung eine solide Basis für die künftige angemessene Berichterstattung legt und somit mehr als – in einem etwas anderen Sinne – nachhaltig ist.


*Die Autorin ist Rechtsanwältin und Partnerin bei RSM Ebner Stolz. Zuvor war sie 15 Jahre beim Institut der Wirtschaftsprüfer tätig, davon die letzten 7 Jahre als geschäftsführende Vorständin. (Link)

Zitiervorschlag: Kelm, Fünf gute Gründe, Nachhaltigkeit nicht auf die „lange Bank“ zu schieben, INUR-blog v. 04.04.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/funf-gute-grunde-nachhaltigkeit-nicht-auf-die-lange-bank-zu-schieben/; zuletzt abgerufen am: ).