Der Verbraucherwiderruf – ein umweltschädliches Recht?

von Akad. Rat a.Z. Dr. Florian Kitzig*

Deutschland ist Europameister

Die Bedeutung des E-Commerce wächst stetig: In den letzten 10 Jahren hat sich der Umsatz im B2C E-Commerce in Deutschland nahezu verdreifacht. 2023 wurden fast 90 Milliarden Euro online umgesetzt. Bei solchen sog. Fernabsatzverträgen steht dem Verbraucher in der Regel ein voraussetzungsloses vierzehntägiges Widerrufsrecht nach §§ 355, 312c, 312g BGB zu. Einige Onlinehändler gewähren Verbrauchern darüber hinaus freiwillig ein erweitertes Widerrufsrecht von oft 30 Tagen oder mehr. Deutsche Händler ermöglichen Verbrauchern mit durchschnittlich 53 Tagen deutlich länger eine Rücksendung als Händler im übrigen Gemeinschaftsgebiet (30 Tage). 

Schlagzeilen in diesem Bereich machte jüngst der deutsche Marktführer Amazon, da er die Widerrufsfrist für einige Artikel auf das gesetzliche Mindestmaß von 14 Tagen zurückführt. Mutmaßlich soll damit die Retourenquote gesenkt werden. Nach einer Schätzung der Forschungsgruppe Retourenmanagement am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre der Otto-Friedrich-Universität Bamberg wurden im Jahr 2021 rund 530 Millionen Pakete in Deutschland retourniert, wobei der Großteil der Rücksendungen auf den Bereich Fashion entfällt. Insgesamt betrug die Retourenquote 24,2%. Damit ist das, was wir uns für Juli wünschen bei der Retourenquote bereits Realität: Deutschland ist Europameister.

Im Fall der Rücksendung muss der Unternehmer neben dem Kaufpreis nach § 357 II 1 BGB die Kosten für die Lieferung zurückgewähren. Die Kosten der Rücksendung trägt nach § 357 V 1 BGB zwar grundsätzlich der Verbraucher, in der Praxis tragen die großen Onlinehändler allerdings nahezu sämtlich freiwillig die Rücksendekosten. Der Anteil der Händler, die kostenlose Rücksendungen ermöglichen, liegt in Deutschland mit 89% deutlich über dem Wert der anderen Mitgliedsstaaten (52%). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Dynamik in einem Land von einigen wenigen Big Playern vorgegeben wird und die kostenlose Rücksendung ein wichtiges Auswahlkriterium bei der Wahl eines Online-Shops ist. Insgesamt verfolgen deutsche Händler eine sehr liberale und verbraucherfreundliche Rücksendepolitik, was zu Lasten der Umwelt geht. Studien weisen auf eine Korrelation zwischen der Rücksendepolitik eines Unternehmens und der Rücksendequote hin: je niedriger die Rücksendekosten und je länger die Rückgabefrist, desto höher die Rücksendequote.

Betriebswirtschaftlich effiziente Warenvernichtung

Diese Statistiken führen unweigerlich zu der Frage nach dem Schicksal der zurückgesandten Waren: In Deutschland werden nach der Studie 93% der Waren als neuwertig wiederverkauft und nur 1,3%, was in absoluten Zahlen allerdings 17 Millionen Artikeln entspricht, entsorgt. Hingewiesen werden muss jedoch darauf, dass in diesen Zahlen die Entsorgung durch Wiedervermarkter und Kunden nicht enthalten ist. In älteren Studien wurden auch schon höhere Zahlen bis zu 4% genannt. Nicht erfasst ist zudem die Vernichtung nicht verkaufter Ware. Wie groß die Warenvernichtung wirklich ist, bleibt ungewiss, da es an belastbaren Studien mangelt. Die Warenvernichtung ist möglicherweise größer als angenommen: Investigativjournalisten weisen in regelmäßigen Abständen auf die systematische, massenhafte Vernichtung von Retouren hin.

Die Motive für die Warenvernichtung sind vielfach betriebswirtschaftlich. Die Bearbeitungskosten für die Kontrolle und erforderlichenfalls Aufbereitung, Reinigung und Reparatur der Ware betragen im Durchschnitt ca. 10 Euro pro Artikel, variieren aber stark zwischen den einzelnen Bereichen. In vielen Fällen übersteigt die Höhe der Bearbeitungskosten schlicht die Gewinnmarge der Unternehmen, sodass eine Vernichtung betriebswirtschaftlich effizient ist.

Das Steuerrecht als Bremse der Nachhaltigkeit

Doch könnten Unternehmen die zurückgesandten Artikel nicht einfach an gemeinnützige Organisationen spenden? Ein Blick in das Recht zeigt: Sie können. Doch ist eine Spende in ihrem Interesse? Ertragssteuerlich wirken sich die Sachspenden bei Unternehmen innerhalb gewisser Grenzen als Betriebsausgaben oder Sonderausgaben steuermindernd aus. Zudem greift das Buchwertprivileg. Als Hemmschuh erweist sich indes das Umsatzsteuerrecht: Spenden sind als unentgeltliche Wertabgaben umsatzsteuerbar, was unionsrechtlich zwingend vorgegeben ist. Unternehmen können in gewissen Grenzen Spielräume ausnutzen, indem sie die Ware niedrig bewerten oder die Ware zu sehr geringen Preisen verkaufen. Eine pauschale Bewertung mit 0 Euro ist bei noch verwendbarer Ware jedenfalls nicht zulässig. In jedem Fall entsteht ein hoher Verwaltungsaufwand sowie ein Risiko, nach einer Betriebsprüfung Steuernachzahlungen leisten zu müssen, weil zu niedrig bewertet wurde oder die Veräußerung z.B. wegen Gestaltungsmissbrauchs nicht anerkannt wird (für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik sei auf Meyering/Hintzen/Keitel, Die umsatzsteuerliche Behandlung von Sachspenden an gemeinnützige Organisationen im Lichte der BMF-Schreiben v. BMF 18.3.2021, DStR 2021, 2614 verwiesen). Deshalb kann eine Vernichtung betriebswirtschaftlich sinnvoller als eine Spende sein.

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz als zahnloser Tiger

Auf der Homepage des BMUV (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz) finden sich vielerlei Informationen zum Thema Warenvernichtung. Zur Lösung des Problems verweist der Gesetzgeber insbesondere auf das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), welches in § 23 KrwG die Produktverantwortung von Herstellern und Händlern beziehungsweise Vertreibern regelt. Allerdings regelt das KrWG in § 23 I 3 KrWG lediglich eine Obhutspflicht als dauerhafte Grundpflicht, aus welcher sich allein noch keine durchsetzbaren materiell-rechtlichen Pflichten ergeben. Konkret erzwingbare Rechtspflichten müssen erst in Rechtsverordnungen gem. §§ 23 IV, 24 und 25 KrWG erlassen werden. Dafür sieht § 25 I Nr. 9 KrWG u.a. die Schaffung einer umfangreichen Transparenzpflicht in Berichtsform vor. Zudem können aufgrund von § 24 I Nr. 10 KrWG Handlungspflichten geregelt werden. An solchen nationalen Verordnungen fehlt es bisher, was das Kreislaufwirtschaftsgesetz insoweit zu einem zahnlosen Tiger macht, da ohne konkrete Pflichten auch keine Bußgelder erlassen werden können. Als Grund für die Untätigkeit beim Erlass der Verordnungen nennt das BMUV das Streben nach einer Lösung auf EU-Ebene, da die Warenvernichtung sonst in andere Länder verlagert werden könne.

Ein europäisches Vernichtungsverbot

Die Bemühungen waren erfolgreich. Am 30. März 2022 veröffentlichte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine EU-Ökodesign-Verordnung („EU-Regulation on Ecodesign for Sustainable Products“ im Rahmen der „Sustainable Products Initiative“ (SPI)). In der Verordnung sollten u.a. die Grundlagen für ein Vernichtungsverbot in Form eines delegierten Rechtsakts geschaffen werden. Nun hat das EU-Parlament vor wenigen Tagen am 23.4.2024 die Ökodesign-Verordnung (2022/0095/COD) verabschiedet. Für ein Wirksamwerden der Verordnung bedarf es noch der Zustimmung des Rates.

Die Verordnung sieht für den Bereich Fashion (inkl. Schuhen) in Artikel 20a sogar ein unmittelbares Vernichtungsverbot vor, für das sich wohl auch das BMUV eingesetzt hatte. Im Übrigen können Vernichtungsverbote in Form von delegierten Rechtsakten erlassen werden. Allerdings sieht die Verordnung auch einige von Ausnahmevorschriften vor, die eine Warenvernichtung bei u.a. Beschädigungen erlauben. Die Vernichtungsverbote werden frühestens in zwei Jahren greifen. Mittlere Unternehmen unterfallen der Regelung sogar erst in sechs Jahren. Kleine Unternehmen und Kleinstunternehmen sind gänzlich ausgenommen. Da es weiterhin an nationalen Verordnungen zur Umsetzung des KrWG mangelt, bleibt eine Warenvernichtung also weitere zwei bzw. sechs Jahre möglich. 

Noch mehr Bürokratie…?

Aber warum denn einfach nur die Warenvernichtung bekämpfen, wenn man doch auch über die Warenvernichtung berichten kann? Flankiert wird das Vernichtungsverbot von Berichts- und Veröffentlichungspflichten sowie externen Überprüfungsmöglichkeiten (beides Artikel 20). Solange kein Vernichtungsverbot besteht, muss nur über die Warenvernichtung berichtet werden. Im Übrigen muss zusätzlich berichtet werden.

Berichten sollen die Unternehmen nach der Ökodesign-Verordnung u.a. über die Anzahl und das Gewicht der entsorgten Waren (aufgeschlüsselt nach Art oder Kategorie), die Gründe für die Entsorgung, die Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen sowie über Maßnahmen zur Verhinderung der Vernichtung von unverkauften Verbrauchsgütern. Die Informationen müssen gut sichtbar und einfach zugänglich auf der Homepage der Unternehmen veröffentlicht werden. Zusätzlich können sie in die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der Bilanzrichtlinie aufgenommen werden. Auf Verlangen der zuständigen Behörden müssen innerhalb von 30 Tagen detaillierte Informationen vom Unternehmen vorgelegt werden.

Nichts Neues unter der Sonne: Berichtspflichten werden als Panazee der Nachhaltigkeit immer häufiger vom europäischen Gesetzgeber verordnet. Dahinter steht meist die Idee des Nudging, also der Verhaltensbeeinflussung, ohne dabei auf Verbote und Gebote zurückgreifen oder ökonomische Anreize setzen zu müssen. Eine derartige Verhaltenssteuerung durch Berichtspflichten ist der Inbegriff der Bürokratie. In jüngerer Zeit weisen sowohl Wirtschaftsvertreter als auch Politiker zu Recht auf die hohe Belastung der Unternehmen und die Notwendigkeit eines Bürokratieabbaus hin. Nun wird also wieder eine neue Berichtspflicht geplant. Ob die Einführung einer Berichtspflicht wirklich sinnvoll ist, muss daher hinterfragt werden, insbesondere da eine Verhaltenssteuerung hier ohnehin durch Hard law in Form des Vernichtungsverbots erfolgt. Zumindest kann man hoffen, dass dadurch die behördliche Kontrolle erleichtert wird.

Umweltschutz mit den Mitteln des Zivilrechts

Wegen der hohen betriebswirtschaftlichen Kosten werden Unternehmen weiter geneigt sein, nach Mitteln und Wegen zu suchen, ihre Produkte zu entsorgen. Zwei Möglichkeiten dazu werden von der neuen Ökodesign-Verordnung nicht erfasst: Sowohl der Export der Kleidung aus der EU als auch das Vorhalten von noch nicht importierter Kleidung im Drittland unterfallen der Verordnung nicht.

Deshalb müssen weitere Mittel für den Umweltschutz in den Blick genommen werden. Möglicherweise könnte auch das Zivilrecht seinen Teil zu einer nachhaltigeren Konsumwirtschaft leisten. Die eingangs dargestellten Statistiken haben gezeigt, dass die Länge der Widerrufsfrist und die Kostentragung der Rücksendekosten mit der Rücksendequote korrelieren. Sowohl eine zwingende Kostentragungspflicht der Rücksendekosten (oder eine Gebühr) durch den Verbraucher als auch die Beschränkung auf die vierzehntätige Widerrufsfrist könnten die Rücksendequote senken. Dies würde sich nicht nur auf Fashion, sondern sämtliche Warengruppen auswirken. Zwar dürften derartige Maßnahmen die Überproduktion von Kleidung freilich nicht verhindern, allerdings dürften sich die Maßnahmen positiv auf Praktiken wie das verlängerte Ausprobieren, „Ausleihen“ von Artikeln oder das Bestellen mehrerer Größen auswirken. Auch die Reduzierung der Rücksendungen hilft – unabhängig von der Warenvernichtung – bereits der Umwelt, da der Rücktransport entfällt. Insbesondere die Bedeutung einer Kostentragungspflicht oder Gebühr sollte nicht unterschätzt werden. Auch geringe Beträge wirken sich bereits auf das menschliche Verhalten aus, da nunmehr ein wirtschaftliches Risiko, eine Betroffenheit besteht. Dies wird übermäßige und unüberlegte Bestellungen reduzieren („Brauch ich das wirklich?“). Die Reduzierung der Rücksendequote wird sich wegen der hohen Bearbeitungskosten und des teilweise beschädigten Zustandes der zurückgesandten Waren zudem positiv auf die Warenvernichtung auswirken. Den größten positiven Effekt für das Klima hätte wohl die ersatzlose Abschaffung des Widerrufsrechts. Dadurch würden allerdings die Rechte des Verbrauchers stark eingeschränkt, welcher eine Ware kauft, die er noch nie gesehen hat. Angesichts der Verankerung des Verbraucherschutzes in der AEUV erspare ich mir diese Donquichotterie und versuche nicht, dem Klagelied der Privatautonomie vom mündigen Bürger eine Strophe über den Klimaschutz beizufügen.

Erwogen werden sollte deshalb eine Einschränkung des Widerrufsrechts auf das gesetzliche Mindestmaß. Dem könnte man nun entgegenhalten, dass der Gesetzgeber unzulässig in die Privatautonomie zwischen Unternehmen und Verbrauchern eingreift. Mit dem zwingenden Widerrufsrecht im Fernabsatz hat der Gesetzgeber jedoch ohnehin in die Privatautonomie eingegriffen. Große Unternehmen haben dann ihre Marktmacht zur Implementierung von verbraucherfreundlichen, aber umweltschädigenden, erweiterten Widerrufsrechten genutzt. Mit dem gesetzlichen vierzehntägigen Widerrufsrecht ist der Verbraucher bereits ausreichend geschützt. Unter diesen Prämissen spricht wenig dagegen, aus Umweltschutzgründen die Dauer der Widerrufsfrist zwingend auf die gesetzliche Frist zu beschränken und eine Kostentragungspflicht oder Rücksendegebühr zu Lasten des Verbrauchers einzuführen. Die Reduzierung auf das gesetzliche Minimum ist für den Verbraucher hinnehmbar, da 14 Tage ausreichend Zeit sind, ein Produkt auszuprobieren und ihm bei Mängeln ohnehin Gewährleistungsrechte zustehen. Regulierend tätig werden müsste insoweit der europäische Gesetzgeber, da das EU-Verbrauchsgüterkaufrecht vollharmonisiert ist. Auf eine Selbstregulierung des Marktes sollte der Gesetzgeber nicht hoffen. Bei der Rückführung der Widerrufsfrist für einige Artikel hat Marktführer Amazon sicher nicht altruistisch gehandelt, wie sich an der Begrenzung der Rücknahme auf wenige Produktgruppen zeigt. Solche Großunternehmen folgen stets betriebswirtschaftlichen Kennzahlen.


*Dr. Florian Kitzig, Diplom-Finanzwirt (FH) ist Akademischer Rat a.Z. und Habilitand am Institut für Nachhaltigkeit, Unternehmensrecht und Reporting (INUR) sowie am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln. (Link / LinkedIn)

Zitiervorschlag: Kitzig, Der Verbraucherwiderruf – ein umweltschädliches Recht, INUR-blog v. 02.05.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/der-verbraucherwiderruf-ein-umweltschadliches-recht/; zuletzt abgerufen am: ).