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Neue Wege in der Vergütung: ESG-Ziele für langfristigen Erfolg

von Kai Michael Beckmann*

Mit dem Aufkommen neuer gesetzlicher Anforderungen und der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung stehen Unternehmen vor der Aufgabe, ihre Vergütungsstrukturen anzupassen. Welche Rolle kann dabei die Integration von ESG-Zielen (ESG – Environmental, Social, Governance) in Vergütungssysteme spielen und welche Herausforderungen sind damit verbunden?

Seit dem Geschäftsjahr 2021 sind Unternehmen durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) dazu verpflichtet, erweiterte Offenlegungspflichten bezüglich der Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung zu erfüllen. Ergänzt wird dies durch eine Aktualisierung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), in der neben einer individualisierten Darstellung der Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat auch die Einbindung von Nachhaltigkeitszielen empfohlen wird. Der durch das ARUG II eigenständige Vergütungsbericht ersetzt und erweitert die bisher im Lagebericht und Anhang veröffentlichten Informationen.

Zusätzlich verpflichten neue Standards in der Nachhaltigkeitsberichterstattung, insbesondere die ESRS (European Sustainability Reporting Standards), Unternehmen dazu, im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) anzugeben, inwieweit die Anreizsysteme für Vorstand und Aufsichtsrat nachhaltigkeitsbezogene Aspekte beinhalten.

Die Bedeutung von ESG in der Unternehmensführung

Warum lohnt es sich, über die Integration von ESG-Kriterien in die Managementvergütung nachzudenken? ESG-Kriterien fördern nachhaltige Geschäftspraktiken und sind ein Indikator für die langfristige Wertsteigerung eines Unternehmens jenseits von finanziellen Kennzahlen. Beispielsweise können Unternehmen durch die Reduzierung ihres CO2-Fußabdrucks einerseits Kosten sparen und andererseits ihre Marktposition stärken, da immer mehr Kunden und Investoren Wert auf unternehmerische Nachhaltigkeit legen. Zudem kann ein durch Nachhaltigkeitsaspekte erweitertes Risikomanagement Risiken frühzeitig erkennen und besser bewältigen. Zum Beispiel können so Klimarisiken berücksichtigt werden, die aufgrund des kurzen Zeithorizonts im klassischen Risikomanagement oft unberücksichtigt bleiben.

Die Integration von ESG-Zielen in die Vergütungssysteme der Vorstände schafft Anreize für deren Umsetzung. Der Vorstand kann diesen Prozess weiter beschleunigen, indem auch im Middle-Management entsprechende ESG-Ziele in die Vergütung integriert werden. Mithilfe des Trickle-Down-Effekts kann so sichergestellt werden, dass sich eine Kultur der Nachhaltigkeit und Verantwortung im Unternehmen etabliert und alle Mitarbeitenden auf die gleichen Ziele hinarbeiten.

Die Integration von ESG-Zielen in die Vergütung kann nicht nur intern ein Signal senden, sondern auch der externen Kommunikation mit Stakeholdern dienen. Durch die Integration von ESG-Zielen in ihre Vergütungssysteme können Unternehmen den steigenden Erwartungen der Stakeholder an ihre ESG-Performance gerecht werden. Denn es stärkt sowohl die Glaubwürdigkeit der ESG-Ambitionen der Unternehmen als auch die Reputation allgemein, was wiederum ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

Aktuelle Entwicklungen in der Praxis

Eine aktuelle Studie von Kienbaum zeigt, dass sich derzeit vor allem der Vorstand und das Senior-Management mit ESG-Themen beschäftigen, während Aufsichtsräte bisher weniger involviert sind. Und auch bei den Verantwortlichkeiten gibt es Unterschiede: Während etwa ein Drittel der börsennotierten Unternehmen die ESG-Verantwortung dem Gesamtvorstand zuordnet, ordnet sie ein Großteil einem bestimmten Ressort zu. In den meisten Fällen wird ESG dann dem Ressort des CEO zugeordnet, die Verantwortlichkeit kann aber auch beim CFO-, HR-, Produktions- oder einem separaten Sustainability-Ressort liegen. Durch die Zuordnung zu einem einzelnen Ressort setzen die Unternehmen Schwerpunkte für ihre ESG-Tätigkeiten, eine umfassende Betrachtung der Themen wird dadurch jedoch erschwert. (Kienbaum, 2024)

Diese Spannung zwischen Fokussetzung und gesamtheitlicher Betrachtung spielt auch für die Setzung von Anreizen in Vergütungssystemen eine Rolle: Die ESG-Ziele in den Anreizsystemen sollten sich idealerweise aus den Einflussbereichen und Verantwortlichkeiten ableiten. So kann gewährleistet werden, dass unterschiedliche Ziele operationalisiert und anschließend umgesetzt werden.  

Herausforderungen bei der Implementierung

Das Setting

Eine erfolgreiche Implementierung von ESG in Vergütungssysteme ist leichter gesagt als getan. Erstens wird dem Vergütungssystem durch ESG-Kriterien mindestens eine neue Zieldimension hinzugefügt, was bei gleichbleibender Gesamtvergütung eine Reduktion der Anreize in den bisherigen (finanziellen) Dimensionen bedeutet. Zweitens müssen Unternehmen die Gewichtung der Dimensionen Environmental, Social und Governance sorgfältig festlegen. In der Praxis erfolgt durchschnittlich eine 2:2:1 Gewichtung auf die E-, S- und G-Faktoren (Kienbaum, 2024). Drittens ist es ebenfalls entscheidend die richtigen Zeithorizonte für die ESG-Ziele zu bestimmen. Diese sollten sich sowohl an den strategischen Zielen des Unternehmens als auch an den ESG-Zielkennzahlen selbst orientieren. Auch wenn dabei eine eindeutige und konkrete Bestimmung schwierig sein kann, sollten ESG-Ziele allgemein vorrangig langfristig ausgerichtet sein, da so eine nachhaltige und resiliente Unternehmensführung sichergestellt werden kann.

Tatsächlich gewinnt die Implementierung der ESG-Kriterien in LTI-Plänen (LTI – Long Term Incentives) schon heute stetig an Bedeutung, sodass umweltbezogene Ziele wie die Reduktion der direkten und/oder indirekten CO2-Emissionen mittlerweile auf Platz drei der am häufigsten genutzten Erfolgsziele in LTI-Plänen liegen, hinter aktienkursbasierten und gewinnorientierten Zielen. Eine größere Hürde ist dabei allerdings die Festlegung der zu erreichenden Mindest-, Ziel- und Maximalwerte je Kriterium, weil es belastbare historische Daten und Erfahrungswerte in aller Regel nicht gibt. Vor allem die Festlegung von Erfolgszielen in LTI-Plänen mit längeren Performance-Zeiträumen erweist sich als herausfordernd.

Die Zielauswahl

Anknüpfungspunkte für die Festlegung der Ziele können zum Beispiel die ESRS sein, die 1.178 Datenpunkte enthalten. Die Datenpunkte sind in narrative, quantitative und monetäre Kategorien unterteilt. Einige von ihnen sind grundsätzlich verpflichtend, andere hingegen grundsätzlich freiwillig. Hinzu kommen die Datenpunkte, die berichtet werden müssen, da im Vorhinein die zugehörigen Themen durch eine Wesentlichkeitsanalyse als wesentlich identifiziert wurden. Während einige der narrativen Datenpunkte für spezifische Zielvorgaben weniger geeignet sind, bieten die ESRS dennoch zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Festlegung von spezifischen ESG-Zielen.

Weiterhin sollten Unternehmen in Betracht ziehen, auch Kennzahlen abseits der ESRS zu wählen, da eventuell nur so das Geschäftsmodell und die Geschäftstätigkeit umfassend berücksichtigt werden können. Eine passende Auswahl ist somit immer individuell auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten.

Die Umsetzung

Es gibt zwei große Herausforderungen für eine erfolgreiche Strukturierung der Vergütung: Erstens muss überprüft werden, ob und inwieweit das gesamte Zielportfolio aufeinander abgestimmt ist bzw. sein soll. Beispielsweise können sich für die Reduzierung von CO2-Emissionen Synergieeffekte zwischen den Umwelt- und finanziellen Zielen ergeben. Es ist aber auch denkbar, dass die Maßnahmen für das eine und gegen ein anderes Ziel arbeiten.

Die zweite Herausforderung für Unternehmen liegt in der Datenerhebung. Zum einen müssen für einige Datenpunkte neue Prozesse etabliert werden, um diese prüfungssicher zu erheben. Zum anderen stellt die Messung selbst die Unternehmen vor Herausforderungen, da teilweise subjektive Daten objektiv erfasst werden sollen. So soll zum Beispiel die Mitarbeiterzufriedenheit, die eine individuelle Wahrnehmung widerspiegelt, objektiv gemessen und in eine Kennzahl überführt werden.

Best Practice Empfehlungen: ESG-Ziele sollen …

1. … anhand des Geschäftsmodells hergeleitet und unternehmensspezifisch sein
2. … signifikant gewichtet sein
3. … vorrangig langfristig ausgerichtet sein (LTI)
4. … nachvollziehbar messbar sein
5. … anspruchsvoll sein und transparent offengelegt werden
6. … möglichst integriert in der Unternehmenssteuerung verwendet und berichtet werden
7. … klar definierte Verantwortlichkeiten für die Umsetzung und Erreichung haben

Fazit und Ausblick

Trotz großer Herausforderungen bei der Gestaltung und Umsetzung von ESG-variabler Vergütung stellt die Implementierung eine enorme Chance für die Unternehmen dar. Ausgehend vom Top-Management und dem Aufsichtsrat, der die Vergütungssysteme der Vorstände maßgeblich beeinflussen kann, können durch solche Anreizsysteme Risiken besser minimiert und Chancen besser genutzt werden.

Außerdem fördern ESG-Ziele in der Unternehmensstrategie eine Kultur der Nachhaltigkeit und Verantwortung, was zu einer stärkeren Mitarbeiterbindung und höheren Zufriedenheit führen kann. Die Integration von ESG-Zielen in die Vergütungssysteme schafft somit insgesamt eine starke Basis für nachhaltiges Wachstum und langfristigen Unternehmenserfolg.


Quellen:

Kienbaum. (2024). Vorstandsvergütung in börsennotierten Unternehmen.


*Kai Michael Beckmann leitet das Center of Excellence Sustainability bei Grant Thornton. Im Excellence Center werden alle Aspekte der Nachhaltigkeitsberatung gebündelt und über alle Geschäftsbereiche hinweg bearbeitet. Er verfügt über rund 20 Jahre Projekterfahrung in der Nachhaltigkeitsberatung, unter anderem bei PwC und Mazars. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Integration von ESG in die Unternehmensführung und -überwachung sowie der Bereich der nachhaltigen Unternehmensführung. Kai Beckmann ist seit 2017 CSR Reporting Topic Sponsor beim UN Global Compact und ESG Advisor bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW). Außerdem ist er Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises deutscher Aufsichtsrat e.V. (AdAR) und leitet dort den CSR-Ausschuss (Link / LinkedIn).

Zitiervorschlag: Beckmann, Neue Wege in die Vergütung: ESG-Ziele für langfristigen Erfolg, INUR-blog v. 06.06.2024 (abrufbar unter: https://blog.uni-koeln.de/inur-blog/neue-wege-in-der-vergutung-esg-ziele-fur-langfristigen-erfolg/; zuletzt abgerufen am: ).