Programm


23.10.2024 von 18 – 19:30 Uhr: Vernachlässigung und Gewalt im Episodenroman: Angelika Klüssendorf „Risse“

Angelika Klüssendorf

© Sarah Wolff

Risse — Inhalt

Das Mädchen ist zurück: In zehn Geschichten entfaltet Angelika Klüssendorf ein Kinderleben in der DDR in den 60ern und 70ern, geprägt von Ungeborgenheit und Sehnsucht. Nach dem Tod der geliebten Großmutter muss das Mädchen Übergriffen und Teilnahmslosigkeit begegnen. Es ringt darum, seine Eltern auszuhalten und zu verstehen und die Schwester zu beschützen. Lichtblicke liefern Bücher, das Lesen bietet selbst im Kinderheim noch einen Ausweg.

Die Kaschnitz-Preisträgerin erzählt die Vorgeschichten zum Erfolgsroman „Das Mädchen“ neu, die vor zwanzig Jahren erschienen und nicht mehr lieferbar sind. Und sie überprüft schonungslos, was nicht erzählt wurde und warum. Ist Wahrhaftigkeit im Erzählen von sich möglich? – Autofiktion, radikal und bewegend!

Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis zu ihrer Übersiedlung 1985 in Leipzig; heute wohnt sie auf dem Land in Mecklenburg. Sie veröffentlichte mehrere Erzählbände und Romane und die von Kritik und Lesepublikum begeistert aufgenommene Romantrilogie „Das Mädchen“, „April“ und „Jahre später“, deren Einzeltitel alle für den Deutschen Buchpreis nominiert waren und zweimal auch auf der Shortlist standen. Zuletzt wurde sie mit dem Marie Luise Kaschnitz-Preis (2019) ausgezeichnet. Die französische Übersetzung ihres Romans „Vierunddreißigster September“ stand auf der Longlist des Prix Femina 2022. Ihr Roman „Risse“ wurde für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2023 nominiert.


06.11.2024 von 18 – 19:30 Uhr: Bildungsaufstieg und Generation im Campusroman: Lydia Lewitsch „Der Fall Miriam Behrmann“

Lydia Lewitsch

Der Fall Miriam Behrmann – Inhalt

An der fiktiven Wiener Maximilians-Universität ereignet sich ein Skandal. Zum ersten Mal wird ein Professor, eine Professorin sogar, entlassen. „Psychischer Missbrauch“ titelt die Tageszeitung „Der Standard“ und ruft auf „zum Kampf für gerechten Umgang“. „Unermüdlich gegen Miriam Behrmann“, so der Appell gegen die Leiterin des an die Universität angeschlossenen Philosophie-Instituts THACT, kurz für Think Act.

In ihrem Debutroman „Der Fall Miriam Behrmann“ schildert Lydia Lewitsch die Perspektive der Protagonistin vom Moment der Suspendierung bis zur Entlassung unter Verwendung zahlreicher Rückblenden. Miriams Vergehen: An ihre Doktorandin Selina Aksoy dieselben Anforderungen von Leistung gestellt zu haben, die auch sie selbst erfüllen musste, um sich einen Platz innerhalb der männlich dominierten Wissenschaftselite zu erkämpfen. Beide Frauen verbindet eine Lebensgeschichte mit Migrationshintergrund, in der ein biographischer Milieuwechsel vollzogen wurde. In die Figur der Polin Miriam mischen sich ganz offensichtlich autobiographische Erfahrungen der Autorin, die als Kindmit ihrer Familie von Polen nach Deutschland emigrierte.

Lydia Lewitsch wurde in Polen geboren. Unter dem zunehmenden Druck des kommunistischen Systems migrierten ihre Eltern mit ihr 1979 in die damalige Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Philosophie. Unter anderem Namen schreibt sie Essays zu literarischen und gesellschaftspolitischen Themen sowie wissenschaftliche Aufsätze für verschiedene nationale und internationale Zeitschriften. Der Fall Miriam Behrmann ist ihr erster Roman.


20.11.2024 von 18 – 19:30: Klasse und Geschlecht in der Autosoziobiographie: Marlen Hobrack „Klassenbeste“

Marlen Hobrack

© Marcus Engler

Klassenbeste – Inhalt

Die Wäschekörbe waren immer voll – nicht mit Wäsche, sondern mit unbezahlten Rechnungen, die ihre Mutter trotz harter Arbeit nicht pünktlich bezahlen konnte. Wenn Marlen Hobrack an ihre Kindheit in Armut in einem bildungsfernen Haushalt denkt, stellt sie immer wieder fest, wie wenig ihr Aufwachsen mit den Herkunftserzählungen der Mittelschicht gemeinsam hat, zu der sie als erfolgreiche Journalistin zählt. Aber gehört sie als Grenzgängerin zwischen den Klassen wirklich dazu? Als alleinerziehende Ostdeutsche, die mit 19 Mutter wurde?
 Prägnant und erhellend räumt „Klassenbeste“ mit Mittelklassemythen von Chancengleichheit und sozialem Aufstieg auf – und zeigt, dass jede identitätspolitische Debatte im Kern eine Klassenfrage ist.

Marlen Hobrack, geboren 1986 in Bautzen, studierte Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaften und arbeitete im Anschluss für eine Unternehmensberatung. Seit 2016 schreibt sie hauptberuflich für diverse Zeitungen und Magazine, u.a. für der Freitag, Die Zeit, Die Welt und das Kunstmagazin Monopol. 2023 erschien ihr Debütroman »Schrödingers Grrrl« im Berliner Verbrecher Verlag. Sie wurde mit dem Jörg-Henle-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet. Marlen Hobrack lebt und schreibt in Leipzig.


11.12.2024 von 18 – 19 – 30 Uhr: Klassen, Schreiben und essayistische Verfahren: Ilija Matusko „Verdunstung in der Randzone

Ilija Matusko

© Heike Steinweg

Verdunstung der Randzone – Inhalt

»Kein Ruhetag« – so steht es auf der Tafel am Eingang. Ilijas Eltern betreiben eine Gastwirtschaft in Bayern. Er hilft schon als Kind in der Küche, wächst mit Pommes und Fritteusen auf. Wenn das Restaurant nicht mehr läuft, eröffnen die Eltern woanders ein neues.
Weil sein Vater gerne Tennis spielt, ermöglicht er seinem Sohn Tennisstunden. Im Verein findet Ilija neue Freunde und will wie sie aufs Gymnasium. Sein Leben entkoppelt sich zunehmend von dem seiner Eltern, besonders als sein Vater nach Kroatien zurückgeht. Doch etwas begleitet ihn durch die Jahre: »Es riecht nach Pommes, Ilija kommt!« Der Satz eines Mitschülers, der ihn bis heute nicht mehr loslässt, wird zum Ausgangspunkt einer Selbstbefragung: Verrät der Geruch die eigene soziale Herkunft?
Ilija Matusko verknüpft in seinem Debüt persönliche Erinnerungen mit soziologischen Beobachtungen. In zehn essayistischen Kapiteln erzählt er die Geschichte eines Bildungsaufsteigers – mit wachem Blick für die feinen Unterschiede, mit Witz und literarischer Schlagkraft.

Ilija Matusko, geboren 1980, hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert, lebt und arbeitet in Berlin, u. a. für die taz. Er war Stipendiat im Herrenhaus Edenkoben, im Alfred-Döblin-Haus und im Künstlerdorf Schöppingen. Verdunstung in der Randzone ist sein Debüt, für das er vor Erscheinen ein Stipendium des Fritz-Hüser-Instituts erhielt.


08.01.2025 von 18-19:30 Uhr: Armut, Krankheit und Autobiographie im antiklassistischen Schreiben: Olivier David „Von der namenlosen Menge“ und „Warum Armut psychisch krank macht“

Oliver David

© Martin Lamberty

Warum Armut psychisch krank macht – Inhalt

Geschichten von der unteren Klasse, Literatur über soziale Herkunft – meist sind das Erzählungen von Aufbruch und Aufstieg. Olivier Davids Essays kreisen um diejenigen, die unten geblieben sind. Die, mit den schmerzenden Körpern, die Nachtarbeitenden, die Vergessenen – und um ihn selbst. Wie fühlt es sich an, mit dem eigenen Körper und der eigenen Gesundheit den Wohlstand höherer Klassen zu bezahlen? Was bedeutet es, unten zu bleiben, damit die oberen ihren Status, ihre Macht, ihre Privilegien behalten können? Wie selbstbestimmt kann die Entscheidung, allein zu bleiben sein, wenn soziale Beziehungen durch Vereinzelung, Geldmangel und eingeschränkte Teilhabe unter Druck stehen? Wie soll Geschichte weitergegeben werden, wenn es kein kollektives Gedächtnis armer Menschen gibt?

Olivier David ist Schriftsteller und Kolumnist. 2022 erschien sein Debüt „Keine Aufstiegsgeschichte“, in dem er sich mit dem Zusammenhang von psychischer Erkrankung und Armut beschäftigt. Im Mai 2024 erschien der Essayband „Von der namenlosen Menge“. In ihm beschäftigt sich David mit Aspekten des (fehlenden) Klassenbewusstseins, der Vereinzelung, mit den Körpern Armutsbetroffener und politischen Gefühlen wie Wut und Einsamkeit.


22.1.2025 von 18 – 19:30 Uhr: Prekarität und familialer Zusammenhalt im Kinderbuch: Will Gmehling, Die „Bukowski“-Reihe

Will Gmehling

© Maryam Kazakmurzaeva

Die Bukowski Reihe – Inhalt

Will Gmehlings Kinderroman Freibad. Ein ganzer Sommer unter dem Himmel (Peter Hammer Verlag 2019) erhielt mehrere Auszeichnungen, u.a. den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020und den LUCHS von ZEIT und Radio Bremen. 

Sein Bilderbuch Pizzakatze(Peter Hammer Verlag 2023), illustriert von Antje Damm, war unter den Lyrik-Empfehlungen für Kinder 2024 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung et.al.. Zuletzt erschien sein Kinderbuch Molly Blume, illustriert von Anna Schilling (Peter Hammer Verlag 2024). Es stand auf der Liste Die besten 7 Bücher für junge Leser des Deutschlandfunks und der Bestenliste Leselotse des Börsenblatts für den deutschen Buchhandel.

Will Gmehling, geboren 1957, hat lange Zeit Bilder für Erwachsene gemalt, bis er anfing, Bücher für Kinder zu schreiben. 1998 erschien sein erstes Kinderbuch Tiertaxi Wolf & Co (Sauerländer) und es folgten viele Bilder- und Kinderbücher, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden