Bodo Wartke beweist (Wandel)Mut im Wohnzimmerkonzert

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Von Philipp Lojak

Im Foyer tummeln sich die Leute, versuchen kurz vorher noch einen Sekt herunterzustürzen. Der Saal ist noch nicht ganz gefüllt, in Trippelschritten suchen die Konzertgänger*innen ihren Platz in der Stadthalle Bielefeld. Schließlich geht das Licht aus, es wird leise und die Spannung steigt. Alle sitzen gebannt und warten in Vorfreude auf den Künstler, die Welt vor den Türen des Saals vergessend. Nur die grün beleuchteten Notausgangschilder weisen auf eine Welt außerhalb dieses Konzertes hin. Dann kommt er auf die Bühne …

So hätte es vor etwa drei Monaten sein sollen. Ich hatte eine Karte für Bodo Wartkes Präsentation seines neuen Programms „Wandelmut“ in der Stadthalle Bielefeld, ein Geburtstagsgeschenk, das gebührend zelebriert werden sollte. Doch nachdem das Konzert des Klavierkabarettisten aus bekannten Gründen abgesagt wurde, sitze ich nun hier, vor meinem Monitor, und schaue mir sein Konzert auf der Videoplattform Youtube an.

Der Veranstalter „TV Noir“, der für die Produktion von Konzerten mit gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre, meistens in Schwarzweiß, bekannt ist, hat bereits in der frühen Phase der Corona-Krise im März und April Musiker*innen unterstützt und ihnen eine Plattform geboten. Musiker*innen, hauptsächlich Liedermacher*innen und Singer-Songwriter*innen, streamen über die Plattform „TV Noir“ aus ihrem eigenen Wohnzimmer. Die Konzerte sind behelfsmäßig aufgenommen, haben nicht immer den besten Ton, aber sie spiegeln das Lebensgefühl der Covid-19-Zeit wider. Denn nicht nur die Zuschauer*innen sind an ihr Zuhause gebunden, sondern auch die Künstler*innen, die durch freiwillig gezahlte Tickets unterstützt werden.

Das Konzert Bodo Wartkes fand am 26. April statt, als Livestream, diesmal aus dem Wohnzimmer des „TV-Noir“-Moderators Tex. Durch das Wohnzimmer wird ein Vorhang gespannt, eine Zimmerpflanze und eine Stehlampe zieren die provisorische Bühne. Am alten, verstimmten Flügel sitzt Wartke und spielt Songs der letzten Jahre, aber auch aus seinem neuen Programm „Wandelmut“. Dabei ist auffällig, wie unter den Umständen des Social Distancing bereits bestehende Lieder neue Bedeutung gewinnen. Ältere Titel wie „Bei dir heute Nacht“ (2015) oder „Dein Duft“ (2011) treffen auf das aktuell aufgrund von Social Distancing unerfüllte Bedürfnis zwischenmenschlicher, physischer Kontakte. Das Programm ist – typisch für Wartke – eine gute Mischung aus Humoresken und Liebesliedern, jeweils wortakrobatisch umgesetzt. Aus der Reihe fallen die zwei neuen, erst in der Quarantäne entstandenen Songs: zum einen eine Hommage an Christian Drosten, den virologischen „Fels in der Brandung“ in Deutschland, zum anderen eine Huldigung an die Zuschauer*innen, die zugleich das Bedürfnis Wartkes beschreibt, wieder live spielen zu wollen. In üblicher Wartke-Manier decken die Lieder eine stilistische Bandbreite ab: von treibender Boogie-Begleitung und Walking Basses zu stereotypischen, lateinamerikanischen Akkordbrechungen und kleinen Jazzimprovisationen. Das hat man allerdings schon alles einmal von Wartke gehört: Auch wenn das neue Album „Wandelmut“ als Titel trägt, hätte Wartke auch tatsächlich Wagemut zu etwas stilistisch Neuem beweisen können, zumal Wandelfähigkeit zu seinen großen Stärken gehört.

Im Unterschied zu der Situation im Konzertsaal führt nicht Wartke selbst, sondern „TV-Noir“-Moderator Tex durch den Abend, der zwischen den Songs Kurzinterviews mit dem Künstler führt und Fragen aus dem Live-Chat stellt. Wie lernt er neue Songtexte auswendig? Wann hat er das Lied geschrieben? Eine kleine Plauderei zwischen Freunden im Wohnzimmer. Dass das Konzert öffentlich im Netz gestreamt wird, scheint völlig ausgeblendet, die Frage nach Authentizität stellt sich gar nicht. Ab und zu verspielt oder verhaspelt sich der Musiker – nicht tragisch. Die Wohnzimmeratmosphäre suggeriert einen „safe space“ (unter Freunden ist doch alles erlaubt). Dies ist auch die große Stärke gegenüber den Konzertfilmen, die im Falle von „Was, wenn doch?“, Wartkes letztes Programm, bestenfalls mit der Gemütlichkeit eines Wohnzimmers kokettierten. Die kleinen Imperfektionen des Livestreams aber, das Provisorium, die schlecht sitzende Frisur Wartkes, sind hier das Vehikel, das den Zuschauer in das Geschehen zieht und Teil des Konzertes werden lässt. Es geht hier nicht um die Illusion eines Wohnzimmerkonzertes (wie bei „Was, wenn doch?“), der Zuschauer schaut wie durch ein Fenster in ein real existierendes Wohnzimmer. Und hier wird erst der Wandelmut wirklich bewiesen; denn um diese Imperfektionen zuzulassen, braucht es Mut.

Diesen zeigten auch viele andere Musiker*innen in den Streams von „TV Noir“: unter anderen die Singer-Songwriter*innen Dota Kehr, Mira Lu Kovacs und Francesco Wilking. Kovacs streamte ihre Musik aus ihrer Wohnung, Wilking aus seinem eigenen Studio, Dota Kehr traf sich wie Wartke mit Tex in dessen Wohnzimmer. Die Streams sind weiterhin abrufbar (unbedingt anschauen!) und ein kulturelles Zeugnis der Corona-Zeit.

… ich schalte den Bildschirm aus. Normalerweise würde nach so einem Konzert der Gang in die kühle Nachtluft folgen. Durchatmen, die Musik in einem resonieren lassen. Doch ich bin zu Hause: Ein unaufgeräumter Schreibtisch glotzt mich an, Stille hüllt mich ein. Das Glas, das vor einer Stunde noch mit Lagavulin gefüllt war, ist leer. Es hat etwas melancholisches, diese Art von Konzert. Es ist kein geselliges Happening, es ist privat und intim. Und das tut manchmal auch ganz gut.

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