Platons Raumschiff.
Gedanken über den Einfluss der Antike auf die Science Fiction
Antike und Science Fiction? Stellen die zweiundmehrtausend Jahre alte Vergangenheit und die literarisch erfasste Zukunft nicht einen Antagonismus dar? Keinesfalls, denn die in der Antike formulierten Gedanken und die aus ihr überlieferten Empfindungen und Weltbilder sind aus zwei Gründen bei Weitem nicht Vergangenheit, sondern immer noch so aktuell wie sie es auch in der Zukunft bleiben werden.
Erstens beginnt das rationale Denken, die Wissenschaft – der Science-Teil des Genrebegriffs also – in der Antike und alle Antworten, die Sach- wie fiktionale Literatur als Antwort auf sumerische, ägyptische, indische, chinesische, griechische und römische Denkerinnen und Denker geliefert haben, beziehen sich auf Fragen, die in diesem Zeitraum ein halbes Jahrtausend vor und nach der Zeitenwende gestellt wurden. Antworten und Ansichten, die auch die Science Fiction gestern, heute und morgen wiedergab, wiedergibt und wiedergeben wird, sind untrennbar mit antikem Denken verbunden.
Zweitens haben wir Menschen uns in dieser Zeit kaum geändert. Wir wissen mehr, weil die Ratio uns Vieles gelehrt hat, doch wir haben den irrationalen Teil unseres Wesens darüber nicht verloren. Wir können ihn gar nicht verlieren, wenn wir unsere Menschlichkeit behalten wollen, denn Irrationalität ist ja nichts Schlechtes, sondern nichts weiter als der korrekte Terminus für unser Gefühlsleben. Was die Menschen der Antike bewegte, bewegt uns heute noch, bewegt Autorinnen und Autoren noch und bewegt das Genre Science Fiction in ungebrochener Weise.
Das Fühlen um das, was wir uns wünschen und fürchten, sowie das Nachdenken, wie wir es erreichen oder vermeiden können, das sind die Themen, über die Science Fiction in Metaphern mit seinem Publikum spricht. Das Scheitern eines Wissenschaftlers im Laboratorium, das suchende Raumschiff auf dem Weg nach Alpha Centauri sind die Bilder, die Ursula Le Guin – eine der wichtigsten Autorinnen des Genres – dafür benutzt. Und es sind antike Bilder, auch wenn der Ionenantrieb die Ruder und Segel der Galeere ersetzte und nicht länger flackerndes Kerzenlicht die Labore der modernen Homunkulizüchter erhellt.
Diese Spuren entlang der Entwicklung des Genres unter dem Einfluss der Antike seit der Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts nachzuzeichnen und die permanente Verbindung von Realität und Fiktion in den Ausdrücken antiker Vorbilder und Fragen aufzusuchen, ist das Ziel der Arbeit über die Spuren von Platons Raumschiff in den modernen Visionen, die einen Überblick über das Verhältnis von Antike und Science Fiction geben wird.
Frank Weinreich, Jahrgang 1962, lebt als freier Lektor, Autor und Übersetzer in Bochum. Studium der Philosophie, Kommunikationswissenschaften und Politik an der Ruhr Universität Bochum, Promotion mit einer Arbeit über Ethik an der Universität Vechta, ehem. wissenschaftlicher MItarbeiter an den Hochschulen Bochum, Vechta, Dortmund. Vielfältige Publikationen insbesondere zur phantastischen Literatur (Publikationsliste: http://www.textarbeiten.com/–schreiben.html), zweimaliger Gewinner des Deutschen Phantastikpreises für Sekundärliteratur, Mitherausgeber der wissenschaftlichen Jahresschrift der Deutschen Tolkiengesellschaft und der „Edition Stein und Baum“, Peer der „Zeitschrift für Fantastikforschung“ sowie Scientific Advisor für „Walking Tree Publishers“.